Vergnügen ohne Umsatz

■ Weihnachtsfeier im Puff: Statt Tannengrün und Stollen gab es ein Büffet mit Dildos, Besuche von Eltern und Stammkunden und ein Wochenende auf der Schönheitsfarm

Eine weißhaarige Dame mit weißer Rüschenbluse hält ein dünnes Metallgebilde in der Hand und betrachtet es voller Interesse. „Das sind Brustwarzenquetscher?“ fragt sie in einem Tonfall, als handele es sich um eine neue Usambaraveilchenzüchtung. „Tut das nicht weh?“ will sie besorgt wissen. Doch als ihr ihre Tochter mit der tiefen Stimme versichert, daß die Kunden für den Schmerz sogar noch zahlen, glätten sich die Falten auf ihrer Stirn. Fast liebevoll streifen ihre Blicke die hölzerne Prügelbank und die schwarzen Lederriemen mit Metallketten. Die Tochter muß es ja wissen. Schließlich arbeitet sie hier im Puff.

Damit ihre Mutter endlich einmal sieht, wo sie das Geld für Weihnachtsgeschenke verdient, hat die Tochter sie zur Weihnachtsfeier in den Seitenflügel eines Hinterhauses in Wedding eingeladen, wo auf mehreren Etagen angeschafft wird. „Ich finde es schön, endlich mal zu sehen, wo du arbeitest“, freut sich die etwa 70jährige Dame und läßt sich auch das Massagezimmer zeigen. Als sie ihren Kopf in den kleinen Raum mit der roten Couch und der Arztpritsche steckt, wird sie von den fünf Frauen und dem Mann mit Seidenschal herzlich begrüßt. „Ach, das ist also deine zweite Mutter“, rufen sie entzückt, als die Tochter sie als „meine Berliner Mutter“ vorstellt. Denn die Frau kann gar nicht ihre Tochter sein: eigentlich ist sie ein Mann. Höflich lehnt die weißhaarige Dame den angebotenen Joint ab und begibt sich zum Büffet.

Weihnachtsfeier im Puff: An einem Ort, wo jeden Tag irgendwie Bescherung ist, kann getrost auf dumpfe Besinnlichkeit mit Kinderchorliedern, Stollen und Geschenken verzichtet werden. Nur für die Chefin haben die freizügigen Frauen gesammelt. Ob das Wochenende auf einer Schönheitsfarm Ausdruck ihrer Dankbarkeit oder ein gemeiner Seitenhieb auf ihr nicht mehr ganz taufrisches Gesicht ist, wird nicht verraten. An diesem Abend soll keine schmutzige Wäsche gewaschen werden. Vergnügen ohne Umsatz ist angesagt. Freunde, Stammkunden und Nachbarn sind geladen. Da ist die über 1,90 Meter große Frau mit einem phantastischen weinroten Hutgebilde, die sich als Chefin eines benachbarten Sportstudios vorstellt und von „richtigen“ Fitneßeinrichtungen wie „Jopp“ nicht viel hält. Oder der Mittvierziger, der Maler ist und seinen Intellekt mit einem voluminösen Seidenschal zum Ausdruck bringt. Er hat die familiäre Besinnlichkeit unterm Adventskranz gegen einen Platz auf der Massageliege getauscht. Stolz erzählt er, Gattin und Schwiegermutter gesagt zu haben, wohin er geht: Zu einer privaten Weihnachtsfeier.

Die Grenzen sind fließend, und das Büffet ist üppig. Statt Tannennadeln, die so gerne unbemerkt in der Mayonnaise des Kartoffelsalats landen, sind zwischen Wurstsalat, Lachs und Bouletten Dildos aller Größen, Formen und Farben drapiert. Viele Sektkisten verstellen die Wege zu den kleinen Zimmern. Doch weil es nicht halb so viele Stühle wie Betten gibt, sind sie eine ideale Sitzgelegenheit.

Für die Preislisten, die von 50 bis 400 Mark für jeden Geldbeutel und Geschmack etwas bieten, interessiert sich in dieser wenig „Stillen Nacht“ niemand. Während die Frauen in kleinen Grüppchen zusammensitzen und über Puffs klagen, wo Billignutten für eine Nummer (ohne Kondom!) gerade mal zwanzig Mark verlangen, bevölkern Dutzende von Männern die Stufen des engen Treppenhauses. Sie wissen genau, daß die Frauen, die die Treppen hoch- oder runterlaufen, nur zwei Möglichkeiten haben: sich unter den Rock gucken zu lassen oder auf den Knien Platz zu nehmen, die den Weg verstellen. Auch ohne Lametta und fromme Lieder ist Weihnachten im Puff ein Fest der Nächstenliebe. Barbara Bollwahn