: Bezahlen mit der Zukunft
■ Als "Sonderfinanzierungen" strecken Private dem Land 1,5 Millarden Mark vor und kassieren später. Trotz Spareffekt gibt es Kritik an der "Budgetkosmetik"
Unter Kaufleuten gilt der Wechsel als heikles Zahlungsmittel. Er ermöglicht auch klammen Unternehmern den Kauf von Waren, aber drei Monate später kann er die Pleite bringen. Dann steht der Wechsel zur Zahlung an. Das Land Berlin stellt derzeit munter solche Wechsel auf die Zukunft aus. Nur heißen sie an der Spree „Sonderfinanzierungen“. Das sind Gelder, die private Investoren dem Land auslegen, um damit öffentliche Gebäude zu finanzieren und zu bauen. Berlin ist solche Verträge bereits im Wert von 1,5 Milliarden Mark eingegangen. Der Dreh: Die Verpflichtungen erscheinen nicht im Investitionshaushalt des Landes. Und bezahlt werden die Sonderfinanzierungen zu einem Zeitpunkt, wo es Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU) kein Kopfzerbrechen mehr bereitet.
Das Land Berlin muß die Rechnung aber irgendwann begleichen. Für den alternativ finanzierten Ausbau der Messe sind ab 1998 jährlich 127 Millionen Mark an Raten fällig. 80 weitere Millionen je Rückzahlrate kämen ab 2000 hinzu, wenn die Berliner Haushälter den auf Eis gelegten vierten Abschnitt des Messebaus doch noch beschließen. Das ist, bei aller Finanznot, keineswegs undenkbar. Sonderfinanzierungen machen es im Prinzip nämlich möglich, daß das Land ein Mammutprojekt mitten ins gähnende Haushaltsloch hinein bauen kann. Zum Beispiel durch Forfaitierung. Die Forfaitierung gehört, neben Leasing und Mietkauf (siehe Kasten), zu den neuen, immervollen Finanztöpfen und geht so: Fremde Investoren strecken dem Land das Geld für ein Projekt vor – und halten später die Hand dafür auf. Die Raten für die Messe werden ab 1998 die HaushälterInnen zehn Jahre lang knebeln. „Budgetkosmetik“ nennt der Finanzwissenschaftler Charles Blankart von der Humboldt-Universität das: „Es ist eine Möglichkeit, das Defizit optisch niedriger zu machen.“ Tatsächlich tauchen die Raten für Leasing, Mietkauf und Forfaitierung im Abschnitt „Investitionen“ des aktuellen Haushaltsplans gar nicht auf. Und auch der Landesrechnungshofpräsident Horst Grysczyk warnt, vor lauter alternativen Finanzierungen die notwendigen Haushaltskürzungen nicht zu vergessen.
Das aber kann allzuleicht geschehen. Man muß die dicke blaue Schwarte aus Pieroths Haus schon bis Seite 1745 durchblättern. In Anlage 5 findet sich dort der schüchterne Hinweis, daß die „künftige Belastung pro Jahr“ für die Messe 127,39 Millionen Mark beträgt. Der Rechnungshof hatte gefordert, die Raten für Sonderfinanzierungen in den Haushaltsplan einzufügen. „Das ist nämlich das Problem dieser Finanzierungen“, meint der Sprecher des Landesrechnungshofes, Peter Zimmermann, „daß es im Haushalt bislang keine Rubrik für sie gab.“
Denn der Etat muß nur die im anstehenden Haushaltsjahr abzuwickelnden Einnahmen und Ausgaben verzeichnen. Die Fans der Sonderfinanzierung stoßen sich gar nicht erst an buchhalterischen Fragen. „Außerordentlich positiv“ beurteilt der Finanzstaatssekretär Peter Kurth das neue Instrument der Geldbeschaffung. Er schwärmt für den bündnisgrünen Frankfurter Kämmerer Tom Koenigs, der im Sommer Furore machte, als er das Rathaus der Stadt an einen privaten Investor verkaufte und sogleich wieder zurückleaste. Die leeren Stadtsäckel können laut Koenigs qua alternativer Finanzierung umgangen werden.
„Eine Palette neuer Finanzierungsmöglichkeiten“ will denn auch Wolfgang von Eckartsberg von der Deutschen Bank dem Staat anbieten. Ihr Vorteil: Das Geld stehe schnell zur Verfügung, der Staat könne wichtige Aufgaben erledigen, und es gebe Steuervorteile. Die aber nutzt dem Staat nichts – ihm würden dabei nur eigene Einnahmequellen versiegen.
Trotzdem kann das Land durch Sonderfinanzierungen Geld sparen. Beim Leasing oder Mietkauf wird nämlich nicht nur die Finanzierung von Dritten besorgt. Auch Planung und Bau führen Private aus. „Das kommt meist kostengünstiger als die Eigenbauvariante“, sagt der Finanzpressesprecher Thomas Gayda. Der Clou dabei ist die effizientere Abwicklung. In der Regel bauen Private ein Objekt an Stelle des Staates. Der mietet es oder das Objekt wird geleast, und das Land behält sich eine Kaufoption vor. Der Staat fährt dabei immer noch günstiger, als wenn seine Bürokratie plant und baut. Bestes Beispiel dafür ist die Kfz-Zulassungsstelle Hohenschönhausen. Sie stand in der staatlichen Finanzplanung mit 54 Millionen Mark zu Buche. Nun soll sie, von Privaten ausgeführt, gerade mal die Hälfte kosten: 27 Millionen.
„Warum baut die Bauverwaltung nicht so billig?“ Die Frage des bündnisgrünen Haushälters Arnold Krause eint nahezu alle Finanzexperten. Wenn sich auf diesem Wege gezeigt habe, daß Private billiger planen und bauen können, dann „besteht größerer Personalanpassungsbedarf“ (Staatssekretär Kurth), „dann muß man Bauabteilungen schließen“ (Professor Blankart), oder solche „Investorvorhaben müssen Auswirkungen auf den Personalbedarf der Bauverwaltung haben“ (so die deutschen Rechnungshöfe).
Nur die Bauverwaltung „findet das Managementmodell nicht so toll“, sagt Johann-Michael Fischer. Der Hauptabteilungsleiter für Hochbau ist nicht glücklich, daß man ihm Projekte „so früh wegnimmt“ und sie von anderen machen läßt. Man könne gar nicht beweisen, ob die Privaten schneller und besser bauen. Und selbst wenn es so wäre, hat Fischer schon eine neue Aufgabe für seine Verwaltung: „Wir wollen ganz klar wissen, was gebaut wird“, meint er und besteht zu diesem Zweck „auf einer eigenen Prüfung“. Personalabbau ist für ihn tabu. Im Vergleich zu den normalen Bauinvestitionen seien die Sonderfinanzierungen „so untergeordnet, das spielt bei uns noch keine Rolle“. Christian Füller
Der Artikel beschließt eine taz-Serie zu den Berliner Finanzen: Am 22.12.: „Berlin verdient am Frankreich-Streik“ über die Kreditaufnahme des Landes; am 1.12.: „Der Berliner Sozialstaat wird abgebaut“ über geplante Kürzungen; am 27.11.: „Das Berliner Kapital arbeitet nicht“ über unrentablen Landesbesitz und am 24.11: „Jetzt wird der Sparhammer ausgepackt“ über das Finanzloch nach der Wahl.
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