■ Das „V.I.P. Autogramm-Magazin“
: Wo die wilden Kerle wohnen

Der entscheidende Moment in der popkulturellen Sozialisation eines Kindes ist nicht etwa der Kauf der ersten eigenen Single, sondern der des ersten Albums für Sammelbilder. Damit legt man den Grundstein für spätere obsessive Beziehungen. In der Pubertät verlagert sich das Interesse von Klebebildern auf Autogramme – die nächste signifikante Entwicklungsstufe. Jetzt ist Phantasie gefordert (wenn es nicht möglich ist, per Post die Unterschrift eines Stars zu bekommen) oder Stehvermögen (wenn man sich durchsetzen muß gegen andere Fans oder Leibwächter). Wer über das Sammeln von Autogrammen lästert, hat keine Ahnung davon, wie wichtig Idole sind.

Es ist also grundsätzlich lobenswert, wenn jemand eine Zeitschrift übers Autogrammsammeln herausbringt, und deshalb können Marco Gerhardt aus 35112 Fronhausen, Ralph R. Rogner aus 82041 Deisenhofen und Jürgen Schwarz aus 63464 Maintal, die das alle zwei Monate machen, auch keine schlechten Menschen sein.

In so einer Zeitschrift könnten Autoren kurzweilige und anekdotenreiche Texte schreiben über ihre Sammlungen, über Geschichten, die sie mit bestimmten Autogrammen verbinden und über Unterschriften, die sie verzweifelt gesucht, aber nie bekommen haben. Könnten. Doch im V.I.P. Autogramm-Magazin findet man fast nichts anderes als Adressen, Adressen, Adressen – Schauspieler, Maler, Köche, Adelige, Kardinäle. Oder auch die von Mitgliedern der österreichischen Regierung und den deutschen WM-Kickern von 1958. Darüber hinaus erfahren wir, daß man ein Jahr auf ein Autogramm von Fanny Ardant warten muß, drei Monate auf eins von Charles Bronson und nur sieben Tage auf eins von Claus Biederstädt. Kaum Hoffnung dagegen für Fans des Mannes, der mal Prince hieß – er führt die Rangliste der „10 schlechtesten Autogrammgeber“ an. Und völlig aussichtslos ist die Lage für Maniacs, die ihre Sammlung auffüllen wollen mit den Signaturen von John W. Young, Brester H. Shaw und Robert Parker. Die Herren – sie gehörten zur Besetzung des neunten Space-Shuttle-Fluges – „unterschreiben generell nichts“, wie das V.I.P. Autogramm-Magazin weiß. Vermutlich nicht mal ihre Schecks.

Die Zeitschrift listet nicht nur sogenannte erfolgreiche Adressen auf, sondern auch „falsche & veraltete“. Einen Teil dieses Service wollen wir auch den taz-Lesern nicht vorenthalten: Falls Sie gerade dabei sind, einen Autogrammwunsch an die Village People zu formulieren, senden Sie ihn nicht an D. Fishoff Prod., 888 – 7th Avenue, N.Y., NY 10019. Bringt nichts! Und Sie verschwenden auch Ihr Porto, wenn Sie ein Autogramm des ehemaligen „Kopfball-Ungeheuers“ Horst Hrubesch in der Borsigstraße 15 in 24145 Kiel anfordern.

Das V.I.P. Autogramm-Magazin macht es seinen Lesern einfach. Und genau das ist verkehrt, denn Autogrammsammeln macht keinen Spaß, wenn man die Unterschriften seiner Idole nahezu problemlos erhält. Der Weg ist zwar nicht das Ziel, aber missen möchte man ihn auch nicht. Das ist bei jeder anderen Sammelmanie genauso.

Die Textbeiträge in der Zeitschrift? Allenfalls putzig. So wird Drew Barrymore über ihren Umgang mit Autogrammwünschen befragt: „Differenzieren Sie in Ihren Antworten zwischen großen und kleinen Fotos oder Karteikarten?“ – „Nein, solche Differenzierungen mache ich nicht.“ Dennoch: Einen genialen Einfall hatte das V.I.P. Autogramm-Magazin. Die Rubrik mit Kurzbiographien über verstorbene Stars heißt: „Sie geben keine Autogramme mehr...“ René Martens