Fußball für den inneren Frieden

George Opong Weah, liberianischer Stürmer vom AC Mailand, wurde vor Jürgen Klinsmann zu „Europas Fußballer des Jahres“ gewählt  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) – Obwohl es in diesem Jahr erstmals möglich war, daß ein Nichteuropäer den begehrten „Goldenen Fußball“ des französischen Magazins France Football gewinnen konnte, ist George Weah keineswegs der erste Afrikaner, der „Europas Fußballer des Jahres“ wurde. Vor 30 Jahren siegte bei der seit 1956 durchgeführten Wahl Benfica Lissabons Star Eusebio. Dessen Heimatland Mosambik war damals jedoch noch portugiesische Kolonie, und Eusebio galt somit als Europäer, was besonders der Nationalmannschaft Portugals zugute kam, für die der begnadete Stürmer in 67 Länderspielen 40 Tore schoß.

George Weah spielt in der Auswahl von Liberia, wo das Toreschießen erheblich schwieriger ist. Immerhin qualifizierte sich das Team dank seiner Leistungen – sportlicher und finanzieller Art – erstmals für die Endrunde des Afrika-Cups, die vom 13. Januar bis zum 3. Februar in Südafrika ausgetragen wird. Während jener Zeit wird der 29jährige seinem Verein AC Mailand in der italienischen Liga bitterlich fehlen, denn, wie schon zuvor bei AS Monaco und Paris St. Germain, ist es Weah auch beim wohl schwierigsten Klub der Welt gelungen, auf Anhieb zur festen Größe zu werden. Er hat die Lücke geschlossen, die der endgültig zum Sportinvaliden gewordene Niederländer Marco van Basten hinterließ, und natürlich schoß der Liberianer auch am letzten Samstag beim 2:2 des Tabellenführers im Stadion von Verfolger AC Florenz brav sein Tor.

Der überlegene Gewinn des Goldenen Fußballs vor Jürgen Klinsmann und dem Finnen Jari Litmanen ist jedoch vor allem Weahs Auftritten im Trikot von Paris St. Germain in der Champions League geschuldet. Mit 7 Toren war er der Torschützenkönig des Wettbewerbs, unvergessen seine Slalomläufe durch eine hilflose Bayern-Abwehr in den Gruppenspielen. Erst die Soli des bei der Wahl unverdienterweise nicht unter den ersten zehn vertretenen Dejan Savicevic beendeten im Halbfinale gegen den AC Mailand Weahs und St. Germains Siegeszug und verhinderten das Traumfinale gegen Ajax Amsterdam, welches vermutlich erheblich spektakulärer ausgefallen wäre als die taktische Ballschieberei zwischen Ajax und Milan. Fußballerisch kann man George Weah durchaus mit seinem großen Vorgänger Eusebio vergleichen, dessen herausragende Fähigkeit es ebenfalls war, Technik, Kraft und die Freude am raffinierten Spiel resolut auf ein Ziel auszurichten: das Tor. Mit exzellenter Körperbeherrschung und einem explosiven Antritt ausgestattet, ist der 1,84 m große Weah zu Richtungs- und Rhythmuswechseln in der Lage, denen die meisten Verteidiger hilflos gegenüberstehen. Mit Vorliebe setzt er die Hacke hinter dem Rücken zur Ballfortbewegung ein und läßt dadurch den Abwehrspieler völlig im unklaren darüber, wo sich die Kugel gerade befindet. „Mit jeder seiner Aktionen erfindet er den Fußball neu“, schwärmt Italiens Nationalcoach Arrigo Sacchi. Weahs Fähigkeit, selbst in komplett von Gegnern überfüllten Strafräumen den Ball zu behaupten und die Lücke zum Torschuß zu finden, läßt ihn auch in den dichten italienischen Abwehrnetzen erfolgreich sein.

„Entdeckt“ wurde George Opong Weah, als er 1988 an der Seite von Roger Milla bei Tonnerre de Yaoundé spielte. Kameruns französischer Nationaltrainer Claude Le Roy war sofort begeistert: „In jedem Spiel war ich von seinen Fähigkeiten am Ball hingerissen, aber auch von seiner Muskelkraft, seiner Tapferkeit, seiner Risikobereitschaft und seiner Lebhaftigkeit. Da war ein ganz Großer des Weltfußballs zu mir gekommen.“ Le Roy empfahl den Stürmer dem AS Monaco, der holte Weah nach Frankreich und dieser ist dafür heute noch dankbar: „Mein größtes Glück war es, als mir Monaco eine Chance gab. Wir Afrikaner brauchen noch die europäischen Klubs, um uns entwickeln zu können.“

In Liberia ist „Mister George“ natürlich ein berühmter Mann, aus der Politik in dem vom Bürgerkrieg erschütterten Land hält er sich jedoch tunlichst heraus. „Ich spiele für die Befreiung von Liberia“, sagt er zwar, fügt aber hinzu: „Ich ergreife nicht Partei, ich bin ein Mann des Volkes.“ Fußball betreibe er nicht für sich selbst oder für Geld, sondern „für den inneren Frieden“.

Der in Monrovia aufgewachsene Fußballer engagiert sich stark im sozialen Bereich, besucht Flüchtlingslager und unterstützt Hilfsprojekte in seiner Heimat. Für die Nationalmannschaft bezahlte er Ausrüstung, Flugtickets, Löhne und ermöglichte so erst die Qualifikation zum Afrika-Cup. „Ich will nicht, daß mein Land in den Nachrichten ist, weil es alle möglichen Rechnungen nicht bezahlt hat“, sagt der glühende Bob- Marley-Verehrer („Er war ein Symbol für alle unterdrückten Völker“).

Seine europäische Karriere will Weah beim AC Mailand beenden („Höher geht es nicht“), dann vielleicht noch in der US-Liga spielen. Ein Teil seiner Familie lebt in New York, wo er ein Restaurant sowie drei Häuser besitzt und einen Teil seiner Freizeit verbringt.

„Wirklich glücklich“, daran läßt er jedoch keinen Zweifel, „bin ich nur in Liberia.“ Einziger Makel einer großen Karriere: er wird wohl nie bei einer Weltmeisterschaft Triumphe feiern können. Weah: „Die größte Enttäuschung meines Lebens.“