Alles läuft für Erbakan

■ Türkei: Große Koalition wird Islamisten nutzen

Auch nach den Nationalwahlen wird es in der Türkei zu keiner stabilen Regierung kommen, die die Lösung der dringenden Probleme des Landes anpeilt. Vielmehr wird eine Koalition zusammengezimmert werden, deren Existenzrecht ausschließlich in dem Schreckgespenst der islamistischen „Wohlfahrtspartei“ begründet ist.

Unter Verweis auf extremistische Islamisten wird die harte Linie in der Kurdenpolitik fortgesetzt werden. Ein scharfes Austeritätsprogramm, die Privatisierung der staatlichen Betriebe und eine höhere Arbeitslosenquote nach der Zollunion mit der EU stehen an. Die Ärmeren werden ärmer werden – die Praxis der neuen Regierungskoalition wird den Zuspruch der Islamisten stärken. Der Wahrheit zuliebe muß hinzugefügt werden, daß die bürgerlichen Parteien, die immer, wenn es in ihren Kram paßt, Erbakan als Bedrohung ausmalten, in den vergangenen Jahren den Islamisten wichtige Konzessionen gemacht haben. Ihre politische Kontrolle vorausgesetzt, haben sie nicht gegen die Islamisierung der Gesellschaft Stellung bezogen, sondern haben sie im Gegenteil gefördert.

Erbakan, der Chef der „Wohlfahrtspartei“, hat gut lachen. Die Mitte zersetzt sich, seine Partei erstarkt. Keine schlechten Chancen, um bei den nächsten Wahlen eine Alleinregierung zu stellen. Das Schlimmste, was Erbakan passieren kann, ist eine Mitverantwortung an der Regierung. So hofft er, daß die große Koalition ihm den Weg für einen endgültigen Sieg ebnet.

Ohne Frieden mit den Kurden, ohne Frieden mit den Aleviten, ohne Frieden mit den Arbeitern wird es keine Stabilität geben, sondern nur Zündstoff, der letztendlich Erbakans islamischer Männerpartei nutzt. Doch statt die Steuern in sozialen Programmen zur Abfederung der Wirtschaftskrise einzusetzen, verpulvern die bürgerlichen Parteien lieber neun Milliarden US- Dollar, um Panzer und Flugzeuge für Kurdistan zu kaufen.

Der Nichteinzug der kurdischen „Demokratischen Volkspartei“ (Hadep) ins Parlament – sie scheiterte an der 10-Prozent-Hürde – hat verheerende Folgen. Im Parlament werden kurdische Interessen nicht vertreten. Guerillachef Öcalan will die nicht gewählten Hadep-Kandidaten in seinem Exilparlament sehen. Ein türkisch-kurdischer Dialog im Rahmen des Parlaments in Ankara ist mit diesem Wahlergebnis ausgeschlossen. So bleiben in dem Konflikt nur das türkische Militär und die kurdische PKK (Arbeiterpartei Kurdistans). Die schießen bekanntlich aufeinander. Ömer Erzeren