: Die Schokolade dick auftragen
Das Bürgerbüro Berlin-Brandenburg informiert über die Länderfusion. Obwohl es auch die Kritik an der Fusion erläutern soll, halten die Oppositionsparteien das Büro für zu einseitig für die Vereinigung ■ Von Julia Gerlach
In der Kleingartensiedlung in Köpenick gibt es ein Problem. Zu gerne würden die Laubenpieper statt ihrer Wohnwagen kleine Hütten auf ihre Grundstücke stellen. Nach Berliner Recht dürfen sie das nicht. In Brandenburg hingegen, also nur wenige Kilometer weiter, wäre es erlaubt. „Wie wird das denn nach der Fusion“, fragt die Anruferin im Bürgerbüro, „dürfen wir dann Lauben bauen?“ Ein Fall für Michael Dur: Er ist Leiter des Bürgerbüros Berlin-Brandenburg.
Seine Aufgabe ist es, die BerlinerInnen über die geplante Fusion der beiden Bundesländer zu informieren. Der große, blonde Mann mit der Hornbrille lehnt sich auf seinem Bürosessel zurück und nimmt den Telefonhörer in die andere Hand. Also, versprechen könne er den Piepern nichts. Die Laubenfrage sei nicht im Fusionsvertrag geregelt. Aber falls die Länderfusion bei der Volksabstimmung am 5. Mai beschlossen werde, trete eine Rechtskommission zusammen, die eine Angleichung der Gesetze in beiden Ländern erarbeite, erklärt er der Frau am anderen Ende der Leitung. Vorläufig muß sich die Frau mit einem Paket bunter Hochglanzbroschüren über die Fusion im Allgemeinen begnügen, das ihr vom Bürgerbüro zugeschickt wird.
„Wir verstehen uns nicht als Verkaufsbüro für die Länderfusion“, erklärt Dur sein Konzept. Es gehe darum, den Menschen möglichst viele Informationen zu bieten, so daß diese sich ihre eigene Meinung bilden könnten und am 5. Mai auch wüßten, worüber sie eigentlich abstimmen sollten.
Das Büro ist in einem repräsentativen alten Fabrikgebäude gut sichtbar von der U-Bahnlinie 1 am Tempelhofer Ufer untergebracht. „Durch unsere gute Lage kommen auch häufiger Leute vorbei, um sich zu informieren“, betont Dur. Seine Hauptaufgabe besteht jedoch darin, Anfragen telefonisch zu beantworten. An manchen Tagen seien es bis zu hundert Anrufe. Dur selbst hat seit der Gründung des Bürgerbüros am 13. April schon mehr als 120 Seminare, Treffen und Diskussionen zum Thema Fusion gehalten. Meistens seien dies Veranstaltungen in Universitäten und Schulen, wie zum Beispiel in der Kopernikus-Oberschule in Steglitz, wo die Fachlehrerkonferenz für Geographie und Politische Weltkunde mit ihm das Für und Wider diskutieren will.
Die LehrerInnen sind gut vorbereitet. „Die Fusion steht auf dem Lehrplan für die zehnten Klassen“, erklärt Fachbereichleiter Bernd Geisler den Grund für die freiwilligen Überstunden. Dur erklärt, er freue sich immer über kritische Nachfragen und gute Argumente gegen die Fusion. „Ich habe bisher viel zu wenig plausible Gründe dagegen gehört“, fügt er hinzu. „Wie ist es denn mit der Arbeitsplatzgarantie im öffentlichen Dienst?“ fragt eine der Lehrerinnen. Dur erklärt ihr, daß im Staatsvertrag festgelegt sei, daß niemand fusionsbedingt entlassen werde. Versetzungen könne es allerdings geben. Die Frau beäugt ihn mißtrauisch. Dur beruhigt sie: „Aber ich denke, daß es in Brandenburg genug Lehrer gibt.“ Wie das genau werde, das könne allerdings erst nach der Fusion gesagt werden, wenn die entsprechende Kommission zusammentrete. Dur hat immer eine Antwort parat: Auf Fragen nach der Finanzierung der Fusion hält er Untersuchungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung bereit. Auf Fragen nach dem Sinn einer solchen Fusion zitiert er das Bundesverfassungsgericht, das schon 1952 für eine „vernünftige Neugliederung“ der Bundesländer plädiert hat. Fünf Millionen Einwohner sei die Untergrenze für ein funktionstüchtiges Bundesland, erklärt der Fusionsfachmann. Da fallen dem Lehrerkollegium auch keine Gegenargumente mehr ein.
Das Hauptproblem sieht der Leiter des Bürgerbüros darin, bis zur Volksabstimmung genügend BerlinerInnen für das Thema zu interessieren, damit überhaupt die geforderte Wahlbeteiligung erreicht werde. Das erforderliche Quorum von 25 Prozent aller Wahlberechtigten für die Fusion sieht er als Herausforderung. Mit der Informations- und Werbekampagne hat der Senat die private Werbeagentur Prinz Medien beauftragt, die auch das Bürgerbüro betreibt. Insgesamt läßt sich der Senat die Werbung für die Fusion 1,9 Millionen Mark kosten.
Davon erhält das Bürgerbüro 50.000 Mark monatlich. Ein ähnliches Büro wurde auch von der brandenburgischen Landesregierung in Potsdam errichtet. In den kommenden Monaten soll die Informationsarbeit verstärkt werden: 40 Außenstellen des Bürgerbüros und seiner Zweigstelle in Potsdam sollen in Bezirks- und Bürgermeisterämter eingerichtet werden. Information und nicht Werbung ist die Aufgabe des Büros. „Wir stellen auch die Position der Fusionsgegner dar“, sagt Dur und zieht aus dem untersten Fach seines Info-Regals ein paar Flugblätter der PDS.
Marian Krüger, Mitglied im PDS-Landesvorstand, sieht die Arbeit des Bürgerbüros trotzdem kritisch: In der Informationskampagne gehe es nur darum, das Bild blühender Landschaften zu entwerfen. Die Regierung gebe sehr viel Geld dafür aus, die Bevölkerung herumzukriegen. Viele wirklich entscheidende Punkte, wie Sozialpolitik und Umweltschutz, seien ja auch im Fusionsvertrag gar nicht geregelt, erklärt er die Ablehnung der PDS gegen den Vertrag.
Auch Hartwig Berger, Fusionsexperte der Berliner Bündnisgrünen, findet die Arbeit des Bürgerbüros zu einseitig: „Die wenden die Holzhammermethode an“, es müsse aber darum gehen, die Leute mit Argumenten zu überzeugen, nicht sie zu ihrem „Ja“ am Wahltag zu überreden. Dazu sollte auch die Position der FusionsgegnerInnen diskutiert werden. Genau das vermisse er jedoch an der Arbeit des Bürgerbüros: „Das ist ein ausgesprochenes Pro-Büro“, sagt er. Er sei ja auch für die Fusion, halte es jedoch für falsch, den Leuten nur die Schokoladenseiten zu zeigen. „Vor allem, wenn man dann noch die Schokolade zu dick aufträgt.“
Bürgerbüro Berlin-Brandenburg, Tempelhofer Ufer 23/24, 10963 Berlin, Telefon: 215 05 300.
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