Sand in den Augen

■ betr.: „Der inszenierte Deal fliegt auf“, „Das große Harakiri“, „Die Wahrheit,nichts als sie“, taz vom 14., 15., 16./17. 12. 95

[...] Verdammt noch mal: wieso redet da nicht mal endlich einer Tacheles? Wie kann man so naiv ein zu glauben, daß ein System, das auf Machterhalt basiert – und das beinhaltet immer schon Unrecht – glaubwürdig ist? Wie kann man ernsthaft glauben, daß Institutionen, die dieser Logik folgend errichtet werden, sich unter ihr nicht auch verbiegen? Da wird nun allerorten gefaselt von der Globalisierung der Märkte, vom notwendigen Schreckgespenst des vereinigten Europa (Brüder und Schwestern, ihr seid dabei!) und es wird fleißig übersehen, welche Strukturen sich in der Erwartung des Profits daraus zwischen Wirtschaft und Politik und ihren „Anhangsorganen“ längst gebildet haben: das nenn ich mafios!

Und diese Strukturen werden nicht über Rücktritte gelöst: Sand in den Augen. Das ist pure Ideologie, die vormacht, in der Hilflosigkeit gegenüber kaum durchschaubaren, scheinbar unbenennbaren Vorgängen gebe es immer noch demokratische Hebel.

Dann: Thema „Lauschangriff“. Fazit des Autors (Wolfgang Gast, immerhin benutzt er das Wort mafios, wenn auch personenneutral); die FDP steht vor ihrer Demission (na, bravo!, da freut man sich doch). Spannend wäre doch, den Zusammenhang dieser beiden politischen Themen zu beleuchten. Nämlich, daß die „verbrecherischen“, mafiosen Machenschaften auf wirtschaftlich-politischer Ebene über die Gläubigkeit (sprich: Wahrheitsunterstellung) an „demokratische Instrumente“ – die aber doch gerade zu den Strukturen gehören, aus denen diese „Mißbildungen“ erwachsen und die sie somit selbst erhalten – beseitigt werden könnten, ist einer der sich selbst nährenden Widersprüche (Perpetuum mobile), welches ein starkes Moment von Ideologie ausmacht. Zugleich wird auf gesellschaftlicher Ebene diese Unglaubwürdigkeit und „Kriminalität“ projiziert: auf Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger, Asylanten, die kollektiv „schmarotzen“ und daher mafios-kriminell sind, auf politische Gruppierungen, die nun unbedingt belauscht werden müssen, ausgemerzt werden müssen, da sie als Spiegel Antwort geben auf das ideologisch Verschleierte. [...] Es ist beredtes Zeichen unserer ideologischen Vernebelung (der Knebel im Hirn), daß nicht längst flächendeckend große Aufschreie erfolgt sind. Polarisierung tut Not. Gebt Euch gefälligst Mühe! Marijke Gerwin, Oldenburg