Zwei Parlamente in Belgrad

■ Weil sie nicht ins serbische Fernsehen kommt, gründet die buntgewürfelte Opposition ein eigenes Parlament

Wien (taz) – In Belgrad gibt es jetzt zwei Parlamente: das offizielle und eines der Opposition. Alle sieben in der serbischen Abgeordnetenkammer vertretenen Parteien entschlossen sich am Dienstag zum Boykott der offiziellen Parlamentsarbeit, nachdem die alleinregierende Sozialistische Partei unter Präsident Slobodan Milošević ihren Antrag abgelehnt hatte, Debatten künftig live über das staatliche Fernsehen zu übertragen. Vorausgegangen war ein seit Monaten schwelender Konflikt über die Gleichschaltung der Medien. Mit dem Protest will die Opposition innere Geschlossenheit demonstrieren, die es jedoch im serbischen Politspektrum nicht gibt. So gehören dem außerparlamentarischen Parlament, das künftig in den Räumen eines kleinen Stadtradios und lokalen Fernsehsenders tagen will, so konträre Parteien an wie das Pazifistenforum der Bürgerallianz und die Radikale Serbische Partei unter dem berüchtigten Neofaschistenführer Vojislav Šešelj. Auch die kurzzeitig mit den Sozialisten liierte Demokratische Partei und die Serbische Erneuerungsbewegung gehören dem Gegenparlament an, außerdem noch der Demokratische Bund der Ungarn aus der Vojvodina und ein ungebundener albanischer Abgeordneter. Wie dieses konfuse Sammelsurium zukünftig Realpolitik machen will, bleibt eine offene Frage.

Die heimischen Medien werden der Opposition nicht mehr Aufmerksamkeit schenken als bisher, im Abgeordnetenhaus wird Milošević die Politik weiter zu seinen Gunsten instrumentalisieren und Unterstützung aus dem Ausland können die Oppositionellen ebenfalls keine erwarten – ihr Ruf ist diskreditiert. Bis heute haben sich die meisten der sieben Oppositionsparteien von den Verbrechen der bosnischen Serbenführer Radovan Karadžić und Ratko Mladić nicht distanziert. Die großen Oppositionsparteien vertreten die These, alle Konfliktparteien hätten Kriegsverbrechen begangen, jetzt sei der Zeitpunkt gekommen, die Untaten zu vergessen und an einer neuen Balkan-Föderation mitzuwirken. Diese Politik des Vergessens verfolgen jedoch auch Gegenspieler Milošević und seine Sozialisten – nur viel effektiver als die Opposition. Schon spielt der Serbenpräsident mit dem Gedanken, vorgezogene Parlaments- und Präsidentenwahlen auszurufen. Der Schreibtischtäter hält den Zeitpunkt für günstig, als Friedensfürst seine Herrschaft abzusichern. Bei einer möglichen Zweidrittelmehrheit könnte sich Milošević sogar zum Staatschef auf Lebenszeit wählen lassen.

Die Zeit drängt jedoch. Noch versucht das Regime, der Bevölkerung die katastrophale Wirtschaftslage als Spätfolge der Sanktionen zu erklären. Unabhängige Ökonomen weisen aber bereits darauf hin, daß es weniger der Handelsboykott als vielmehr die Vettern- und Mißwirtschaft der Staatsbetriebe war, die Serbien in den Ruin stürzte. Karl Gersuny