Maulkorb von Jassir Arafats Geheimdienst

■ Kritischer palästinensischer Zeitungsjournalist zum Verhör nach Jericho verschleppt

Tel Aviv (taz) – Ein leitender Redakteur der Ost-Jerusalemer Tageszeitung al- Quds soll vom palästinensischen Geheimdienst verhaftet und verschleppt worden sein. Der Grund: Der Redakteur soll sich geweigert haben, einen Lobartikel auf den Chef der palästinensischen Selbstverwaltung, Jassir Arafat, auf der Titelseite der Zeitung zu veröffentlichen. Nach Informationen aus palästinensischen Kreisen in Ost-Jerusalem war Maher al-Alami (55) wegen seines „Vergehens“ von den palästinensischen Behörden zum Verhör nach Jericho bestellt worden. Weil er nicht erschien, sollen ihn Agenten am Montag gewaltsam dorthin gebracht haben.

Bei dem umstrittenen Artikel handelt es sich um einen Bericht über ein Treffen Arafats mit dem griechisch-orthodoxen Patriarchen von Jerusalem. Dabei soll der Geistliche Arafat als Erben des zweiten islamischen Kalifen Umar gepriesen haben. Angeblich hatten die palästinensischen Behörden angeordnet, den Bericht auf der Titelseite von al-Quds zu veröffentlichen. Al-Alami plazierte ihn dann jedoch auf Seite 8.

Gestern kursierten Gerüchte, wonach al-Alami nach einer persönlichen Intervention des Inhabers der Zeitung beim Chef des palästinensischen Geheimdienstes, Dschibril Radschub, wieder auf freien Fuß gesetzt worden sei. Als sich diese Nachricht aber bis zum Nachmittag nicht bestätigen ließ, machte sich eine Delegation von „Reporter ohne Grenzen“ auf den Weg nach Jericho. Die Organisation ist von der Europäischen Union beauftragt, die palästinensischen Medien während des Wahlkampfs zum palästinensischen Autonomierat zu beobachten. Aus Kreisen der Familie des verhafteten Journalisten hieß es, seine Frau habe ihren Mann „einmal für weniger als zwei Minuten“ im Gefängnis besuchen dürfen.

Al-Quds ist die meistgelesene palästinensische Tageszeitung. Obwohl das Blatt als ausgesprochen loyal zu Arafats Autonomieverwaltung gilt, hatte es mehrfach Schwierigkeiten mit den palästinensischen Behörden. Wegen angeblich zu kritischer Berichterstattung durfte es vor einigen Monaten mehrere Tage nicht erscheinen.

Amos Wollin Seite 2