: Problematisch sind allenfalls die Bräute
■ Junge Avantgarde-ModedesignerInnen, Teil 6: Thatchers - schamlos, körperbetont, aber dabei kein bißchen vulgär
Ein Designer-T-Shirt mit dem Brustaufdruck „Sozialfall“ zu tragen zeugt eindeutig von Humor. Zumindest hier in Deutschland. Bei der nächsten Präsentation des Mode- Labels Thatchers, die Ende Januar im Rahmen der „Who's Next?“- Modemesse für „Jeune Createurs“ in Paris stattfindet, dürfte man so etwas jedoch weniger lustig finden.
Man riet den beiden Modedesignern Thomas Mrozek und Ralf Hensellek, die seit vier Kollektionen unter diesem Label arbeiten, jedenfalls deutlich davon ab, so ein Stück auf den Catwalk zu schicken. Natürlich denken sie nicht im Traum daran, ihre Kollektion um dieses Shirt ärmer zu machen. O-Ton Mrozek: „Wir spielen sogar mit dem Gedanken, den Aufdruck ins Französische zu übersetzen.“
Ansonsten sind die Thatchers, die ihren Labelnamen übrigens tatsächlich Margaret verdanken, eigentlich gar nicht so provokant. Denn ihre Mode ist tragbar, und zwar in allen Lebenslagen. So ist es nicht weiter verwunderlich, daß sie nicht nur Stammgäste auf der Berliner AVE sind, sondern bereits auf MTV sowie in verschiedenen Videoclips (für die Members of Mayday sowie Madonna HipHop Massaker) gehypt wurden und das ein oder andere Outfit für die Daily Soap „Gute Zeiten, schlechten Zeiten“ machen durften. Die jüngste Streetwear-Kollektion für den Sommer 96 namens „Beware of Killer Capitalism“, zu der auch das bereits erwähnte Sozialfall-Hemd zählt, macht einen recht sportlichen Eindruck. Ihre enganliegenden T-Shirts, Hosen und Kleider aus schwarzweiß abgesetztem Badeanzug-Inlettmaterial beschreiben sie als „schamlos, körperbetont und gleichzeitig grafisch. „Aber keineswegs vulgär!“ Doch auf den sporty-trendy Trikothälften werden Thatchers in Zukunft kaum verharren. Denn die nächsten Kollektionen sollen eher ins „echt Aufwendige und Glamouröse“ abdriften.
Wirklich schräge und untragbare Sachen zu entwerfen ist eindeutig nicht ihr Ding – höchstens mal für den Laufsteg oder aus Jux. Denn zur Vermarktung eignet sich so etwas bei der momentanen finanziellen Flaute in ihrer Branche kaum. Außerdem könne das ja schließlich jeder – meint der Autodidakt Mrozek und denkt dabei an seine ersten Gehversuche in der Bekleidungsbranche vor zehn Jahren, als er als ungelernter Kostümschneider für die Berliner Off- Theater-Produktionen der Berlin Play Actors tätig war. Wobei das abgedrehte Element seiner Kreationen eine Folge schieren Unvermögens war. Denn da er damals noch nie eine Nähmaschine aus der Nähe gesehen, geschweige denn einen Entwurf gezeichnet hatte, steckte er die Darsteller für „Warten auf Godot“ einfach in mit Zeitungspapier beklebte Mäntel. „Ich kannte ja schließlich meine Möglichkeiten als Schneider.“ Ihre Phase von Recycel- und Schmuddelmode haben die Thatchers längst hinter sich gelassen. Als größte Herausforderung empfinden sie es dagegen, tragbare Mode originell zu gestalten. Das schlechtgekleidete Volk in Berlin wirkt dabei kaum inspirierend auf Thatchers' Entwürfe. „Wie sich der Mythos Berlin seit den zwanziger Jahren hat halten können, ist mir einfach schleierhaft“, so Ralf Hensellek, der übrigens eine Ausbildung als Modedesigner am Lette-Verein absolviert hat.
Dennoch scheinen die BerlinerInnen generell ein dankbares Publikum abzugeben. Schließlich sei es hier „kinderleicht, mit seinem Outfit einen U-Bahn-Waggon in helle Aufregung zu versetzen“, meint Hensellek, „wirklich problematisch sind dagegen die Bräute!“ Die beiden Thatchers sind, wie die meisten Designer der Berliner Modeszene im Subkulturbereich, schwul und haben mit Hochzeiten ganz allgemein demnach nicht viel am Hut, geschweige denn mit kirchlichen. Trotzdem arbeiten sie derzeit an einem Brautkleid für Hochschwangere. So klaffen eigene Maxime und äußerliche Sachzwänge eben manchmal aufs absurdeste auseinander. Kirsten Niemann
Kontakt Thatchers: Kastanienallee 79, Prenzlauer Berg, 4481215.
Teil 1 unserer Serie stellte Next G.U. + R.U. Now vor (9./10.9.), Teil 2 Jörg Pfefferkorn (21.9.), Teil 3 IM Waircraft (13.10.), Teil 4 Frank Schütte (20.10.), Teil 5 Püppies (Ilka Bohnenkamp, 14.12.)
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