Verbrecher sollen Arbeitsplätze sichern

■ Polizeipräsident warnt bei Jahresrückblick auf Kriminalität vor Stellenabbau bei der Polizei. „Eher Ausbau als Abbau“

Gespart werden soll immer bei den anderen. Den Überlegungen zu einem möglichen Stellenabbau bei der Polizei jedenfalls hat Polizeipräsident Hagen Saberschinsky gestern eine Abfuhr erteilt. Bei einer Bilanz der Kriminalitätsentwicklung des vergangenen Jahres meinte Saberschinsky, die bisherigen Ergebnisse der Koalitionsvereinbarungen zwischen SPD und CDU seien „nicht sehr ermutigend“. Der diskutierte Abbau von Polizeistellen sei der falsche Weg: „Das Gebot der Stunde ist aber eher Ausbau als Abbau“, meinte Saberschinsky und untermauerte seine Forderung mit einem Rückblick auf das Jahr 1995 und einem Ausblick auf 1996.

Allein für den Schutz der Bundesregierung an ihrem künftigen Sitz würden 1.000 zusätzliche Wachpolizisten nur zur Bewachung von Gebäuden benötigt. Die Sicherheit der Regierung sei in Berlin aber gewährleistet, obwohl mit einem weiteren Anstieg der Kriminalität in der Hauptstadt zu rechnen sei: „Die innere Sicherheit wird sich in Zukunft nicht entspannen“, sagte Saberschinsky. „Es ist zu befürchten, daß die Probleme deutlich größer werden.“

Für 1995 erwartet der Polizeipräsident in Berlin eine Zunahme der registrierten Straftaten um sechs bis sieben Prozent und damit ein neues Rekordniveau. Im Vorjahr waren 550.843 Delikte erfaßt worden. Die Aufklärungsquote von 42,3 Prozent werde sich wahrscheinlich leicht verbessern.

Große Probleme bereiteten der Polizei die Straftaten der vietnamesischen Zigaretten-Mafia. Rund ein Dutzend Menschen wurden bei den Fehden getötet, wichtige Zeugen würden aus Angst schweigen und Killerkommandos direkt nach den Morden ins Ausland verschwinden. Berlin sei jedoch nicht die „Hauptstadt der Kriminalität“, betonte Saberschinsky. Er räumte aber ein, daß durch die Zunahme der Delikte in einigen Bereichen das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung „besonders belastet“ werde. Zunehmend etabliere sich das Organisierte internationale Verbrechen vor allem durch die wachsenden Wirtschaftsbeziehungen mit Osteuropa.

Besorgniserregend nannte der Polizeipräsident die Zunahme der Gewaltkriminalität insbesondere auch bei Kindern und Jugendlichen, die drei Viertel aller Raubüberfälle auf den Straßen begingen. Dabei habe der Trend zu einer „stärkeren Brutalisierung und Verrohung“ weiter zugenommen. Beim Taschendiebstahl sei ein Anstieg von rund 30 Prozent zu verzeichnen, betonte Saberschinsky. Als Täter agierten hier vor allem Banden aus Rumänien und dem ehemaligen Jugoslawien, die zum Teil auch Kinder und Jugendliche einsetzten.

Es gebe jedoch „auch erfreuliche Rückgänge“ bei einzelnen Delikten: So hätten abgesehen von dem fast aufgeklärten Zehlendorfer Coup die Überfälle auf Bank- und Poststellen sowie Geld- und Kassenboten 1995 abgenommen, betonte Saberschinsky. Auch die Einbrüche in Büros und Geschäfte sowie die Kfz-Diebstähle seien rückläufig. Bernhard Pötter