Dittmeyers Fernsehjahr '95

■ Weil "eine Serie auch in der vierten Staffel noch mit Überraschungen aufwarten kann": Die unwichtigsten Fernsehereignisse des Jahres - gewissenhaft aufgelistet, wegsortiert und abgehakt

ARD – Laut Programmdirektor Dr. Günter Struve „der Mercedes unter den TV-Sendern“. Meint wohl: Ist behäbig, braucht viel Sprit, bietet aber etlichen Insassen Platz. So langsam wird's freilich Zeit für eine eingehende Inspektion samt nachfolgender Generalüberholung. Anderenfalls erfolgt eine finale Rückrufaktion!

BEGRÜNDUNG – Die Gebrüder Grimme verschleuderten ihren zumeist als renommiert apostrophierten Preis in diesem Jahr unter anderem an „Liebling Kreuzberg“ – weil Autor Plenzdorf nach Meinung der Jury bewies, „daß eine Serie auch in der vierten Staffel noch mit Überraschungen aufwarten kann ...“ So gesehen, hätte die „Tagesschau“ schon längst eine Auszeichnung verdient. Auch „Kommissar Rex“ wäre nach dieser Logik ein brandheißer Anwärter auf das Marler Blechgestell.

COPYRIGHT – Koschi! Schmidtchen! Haben Lettermans Production designer eigentlich schon die Rechnung geschickt fürs Abgucken? Und? Wieviel? – Eines aber bleibt Letterman auf ewig versagt: ein volksdeutscher Schäferhund wie Kommissar Rex.

DOUBLE-X – Ist seit kurzem schwer en vogue. Sat.1 wies den Weg mit „FUXX '95 – Die Fußball- XXL-Party“ und „XXO – Fritz & Co“. Auch Kommissar Rex wird demnächst umgetauft in MR. REXX. Wiff wiff, wuff wuff, wiXX wiXX.

EISERNE JUNGFRAUEN – Barbara Eligmann und ihre Klone: Kerstin Graf, Sabine Noethen, Michaela Papke, Birgit Schrowange... Unbefleckt zu empfangen via Kabel oder Satellit. Es sei denn, man bevorzugt den warmblütigen Kommissar Rex.

FANGQUOTE – Frage: Wie locken deutsche Fernsehsender möglichst viele Zuschauer ins Netz? Antwort: Sie legen einen Köter aus. Siehe „Kommissar Rex“, „Zwei Partner auf sechs Pfoten“, „Gottschalk“ u.v.a.m.

GLETSCHER-CLAN – Zu Kabel 1 abgeschoben und dort zweitausgestrahlt, kam die Alpensaga trotz besten Leumunds wieder nicht über die Runden. Das wird wohl niXX mehr. Allenfalls mit einem Lawinensuchhund namens Rex wäre die Angelegenheit noch zu retten gewesen.

HEIMATSERIEN – Anna Maria geht weiterhin ihren Weg und tritt den höheren Anspruch mit Füßen. Bayern tummeln sich auf Rügen, Bullen in Bad Tölz. Und was macht das ZDF? „Forsthaus Falkenau“, „Der Landarzt“, „Schloßhotel Ort“, „Weißblaue Geschichten“, „Das Traumschiff“ ... Marlitt noch mal, hört das denn nie auf?

INFOTAINMENT – Bewährtes Grundrezept: Taff ran und zak nach Hause.

JUXXREKLAME – Wigald Boning trat in der Toyota-Werbung die Nachfolge des überaus beliebten Affenpärchens an. Nicht jeder erkannte auf Anhieb einen Unterschied.

KOINZIDENZEN – Sonntag, 19. November: Sat.1 zeigt einen Film der Reihe „Schwurgericht“ – Regie: Ulrich Stark, Musik: Birger Heymann, Darsteller: Oliver Stritzel, Wolfgang Müller. Die ARD zeigt einen Film der Reihe „Polizeiruf 110“ – Regie: Uli Stark, Musik: Birger Heymann, Darsteller: Oliver Stritzel, Wolfgang Müller. Na so was.

LETTERMAN – Wurde von RTL 2 kurzerhand in die tiefe Nacht abgeschoben. Aber nehmt ihn uns bitte nicht ganz weg – wir wollen die Pointen frisch vom Erzeuger und nicht erst ein bis zwei Tage später in deutscher Vulgärübersetzung von Harald Schmidt!

MARKEN-QUALITÄT – Die Schaffung derselben ist laut ZDF-Intendant Stolte die vornehmste Aufgabe seiner Anstalt. Zur Erreichung dieses Ziels setzt er auf die Schärfung des Profils der Informationsangebote am Abend. Wenn er sich da mal nicht geschnitten hat ...

NULL-ZEIT – Innovation des Jahres. Hofft Sat.1. Spötter sprechen von der Zeit der Nullen.

OTTO-SHOW – Viel Aufwand für wenig Pointen. Selbst Kommissar Rex hat gegähnt.

PRO-SIEBEN-SPORT – Paradebeispiel für ein Ungetüm von einem Titel. Gegenvorschlag der Kommission: Blut, Schweiß und Thränhardt.

QUALVOLL – ... versuchte die ARD, behufs einer schlachthofmäßigen Rindviecherei namens „Subito“ den Samstagabend mit einem Portiönchen Humor aufzupeppen und item der RTL- „Samstag Nacht“ Paroli zu bieten. Dort aber ging man doch ein bißchen ausgeschlafener zu Werke.

REDSELIG – Beim ZDF hat die ParadoXXie ein gemütliches Zuhause gefunden. Dort macht man Jugendprogramme für Zuschauer über 50 und eine sterbenslangweilige Talkshow namens „Live“. Johannes Gross soll's im neuen Jahre richten. Der hat mal ein Buch geschrieben mit dem Titel „Absagen an die Zukunft“.

SHOWVIEW – Dichtung: Soll auch dem simpelsten Gemüt ermöglichen, den Videorecorder wunschgemäß zu dressieren. Wahrheit: Grandioser Flop.

TM3 – Wenn schon Spartenkanal, dann für die größtmögliche Zielgruppe. Warum nicht. Immerhin wurde es der ersten Reihe recht bang ums Herz – ruckzuck verbreiterte man das Angebot für's weibliche Publikum, das freilich in nicht knappem Maße vor allem für Kommissar Rex schwärmt.

UNTERHALTUNGSMUSIK – Konnte über Konjunktur nicht klagen. Vier Musikkanäle und zunehmende Anstrengungen auf dem privaten wie öffentlich- rechtlichen Sektor sprechen für sich. Selbst Kommissar Rex hat bereits bei Intercord eine CD eingespielt: „Jingle Bells (Dancing Dogs Mix)“.

VERWIRREND – Beim ZDF gab's tranigen Eskapismus mit Rosamunde Pilcher, bei Sat.1 doppelt kritisches Engagement zum Thema Rinderwahnsinn – hält sich denn niemand mehr an bewährtes Schubladendenken? Das alarmierte Volk erwartet baldige Klärung der Frage, ob auch beliebte Fernsehhunde von BSE befallen werden können ...

WITZVERSUCH – Recht kühn wähnte man sich vermutlich bei der ARD, als man vermöge der schauerlichen „Private Life Show“ die denunziatorischen Manieren der privaten Konkurrenz zu dekuvrieren suchte. Aber nicht die Kommerzfunker, sondern das öffentlich-rechtliche ZDF schickte ein Format similären Kalibers über den Sender – es hieß „Das ist Liebe“ und war zu unserem großen Leidwesen KEIN Fake.

XX-AKTEN – Vermutlich brütet irgendwo schon jemand (Rainer Holbe vielleicht?) über eine deutsche Variante der erfolgreichen Spuk- und Gruselgeschichten – obskure Sekten in den bayrischen Wäldern, UFOs über Nordfriesland, mutierte Reptilien in Hamburgs Fleeten... Allein die Vorstellung läßt das Brusthaar zu Berge stehen.

YEAH – Die Reunion-Charts des Jahres: 1. John (†), Paul, George und Ringo. 2. Hape Kerkeling und die ARD. 3. Oliver Kalkofe (Kalkofes Mattscheibe) und Klaus Baumgart (Klaus & Klaus).

ZWITTER – Schon wieder unangenehm aufgefallen: Das ZDF mit „Zwischen Tag und Nacht“ und dem tolldreisten Versuch, „Guldenburg“-Idylle und jugendorientierte Sujets zur Deckung zu bringen. Möge Kommissar Rex über euch kommen ...