Smells like Mülltrennung

■ Was spaltete Punk in anarchische Suff- und protofaschistische Glatzköpfe? Nachlaßbegutachter Büsser liest aus den Trümmern den Keim einer neuen Revolte

Im Juli 1978 erschien die Single „If The Kids Are United“ von Sham 69. Kaum ein Song, kaum eine andere Band brachte Glorie und Tragik von Punk besser auf den Punkt. Nicht die Sex Pistols, schon gar nicht The Clash.

Als Sham-69-Sänger Jimmy Pursey die ersten Male voller Inbrunst sang „If the kids are united / They will never be divided“, war Punk für den einen oder die andere – zumindest im Rückblick – schon wieder tot. Exemplarisch spaltete sich die Bewegung an Sham 69 in anarchische Suff- und faschistische Glatzköpfe, immer mehr rechte Skinheads kamen zu ihren Konzerten, die Band löste sich schließlich deshalb auf. Nicht ohne bis fast in die 90er Jahre hinein bei gottesdienstähnlichen Konzerten weiterhin die Einheit zu beschwören.

Nicht umsonst hat Martin Büsser, Schreiber bei Deutschlands wichtigstem Hardcore-Fanzine ZAP, sein Buch nach dem Song von Sham 69 benannt. Eine „komplette Geschichte einer der bedeutendsten Jugendkulturen unserer Zeit“, verspricht der Verlag, dabei will Büsser doch genau das nicht – und dafür viel mehr. Wer eine musikalische Historie erwartet, wird enttäuscht. Kein beim Fleischer ertappter Henry Rollins oder andere Anekdoten, kein Kapitel, das nun endgültig klärt, wer denn nun den Pogo erfunden hat, keine Betroffenheitsberichte von Chaostagen. Büsser will, so schreibt er einleitend, „die Phänomene an sich fassen und historisch bewerten“. Was für ihn nahezu ausschließlich bedeutet, die Geschichte von Punk und Hardcore politisch und teilweise auch soziologisch zu lesen.

Dazu werden Baudrillard, Foucault und Adorno bemüht. Für Büsser sind Punk – und vor allem der sich daraus entwickelnde Hardcore – weniger Stil als „Bewegung“, denn, und da hat er sicher recht: Das Spektrum, das sich selbst Hardcore nennt (oder von den Fans als Hardcore bezeichnet wird), reicht nun mal von Chumbawambas Subversiv-Pop über den Funk-Core von Fugazi bis zum Splatter-Core von Carcass. Einziges verbindendes Element ist „attitude“, die Einstellung – zwar grob als links eingeschätzt, aber in einer Spannbreite von der autonomen Stadtguerilla bis zum mülltrennenden Futon-Benutzer vorzufinden.

„If The Kids Are United“ umkreist diese Definitionsschwierigkeiten, sucht das gemeinsame einer Szene, der der Autor vielleicht zu lange zu innig verbunden war und ist. In einem ersten, den größten Teil des Buches ausmachenden Teil beschreibt Büsser die Entstehung von Punk, die Ausdifferenzierung und Umwandlung in Hardcore und dessen – seiner Meinung nach – Krise und Ende. Sein Bemühen um Objektivität ist zwar offensichtlich, aber nicht zu selten spielen ihm die Adjektive einen Streich, ist Metal halt prinzipiell „oberflächlich“ und Hardcore im Idealfall eben „subversiv“.

Das kann man ihm nachsehen, nicht aber, daß er den kommerziellen Erfolg und mithin das Ende von Hardcore nahezu ausschließlich dem amerikanischen Label SST in die Schuhe schiebt. Und zwar nur, weil es eine – nun mal meine Meinung – unausweichliche stilistische Weiterentwicklung dokumentierte und anerkannte, daß auch Punk eine Geschichte hatte, auf die er sich bezog. Für Büsser war Punk ein die Geschichte verleugnender Neuanfang und ist SST verantwortlich für Crossover und Grunge – „die sinnentleerte, weil keinerlei Utopien mehr formulierende Revolte“.

Büsser ist ein Fundi, was man sympathisch finden sollte, was ihn aber halt auch hin und wieder moralinsauer werden läßt: „Wenn Punk in MTV gespielt werden ,darf‘, wenn Krieg und Zerfall zum Inhalt von Klamottenwerbung werden ,darf‘, werden Widerstand und sogar Dokumentation zum Sprachrohr der Industrie, der Macht.“ Zwar äußert Büsser Verständnis für jede Band, die es leid ist, sich für null bis gar kein Geld durch Jugendzentren zu spielen, aber immer noch sieht er die Wurzel alles Bösen in der Plattenindustrie, die seine Bewegung immer noch aufsaugt, um sie kommerziell zu verwerten.

Eine Musikgeschichte schreibt Büsser nicht – was bedeutet, daß der/die geneigte LeserIn tunlichst eine gewisse Vorstellung von den vorkommenden Bands haben sollte. Und von dem einen oder anderen Begriff: So wird „straight edge“ (Kein Alkohol, keine Drogen, kein Nikotin, statt dessen fitter Geist in einem fitten Körper) zwar oft ins Feld geführt, aber nirgendwo erklärt. Ebenso ärgerlich, daß kein Register vorhanden ist. Aber Büsser will auch nur „einen Anfang“ machen, liefert vor allem einen Diskussionsbeitrag, der zusammenfaßt und weiterführt, was in Fanzines wie ZAP, bei den „Gralshütern des Underground“ von Spex und teilweise auch im bürgerlichen Feuilleton Ende 1992 diskutiert wurde – das Aufgehen des Punkrock in den kulturellen und vor allem ökonomischen Mainstream.

So wird „If The Kids Are United“ auch am interessantesten, wenn der Autor seine Objektivität im zweiten, sehr viel kürzeren Teil fahren läßt und sehr persönlich die ideologische Krise beschreibt. Schon daß für ihn bereits im Punk die Saat der späteren Trennung „in faschistische Schläger und Anarchos“ angelegt war, dürfte die meisten Anhänger der reinen Lehre auf die Palme bringen (auch wenn diese These nicht gerade neu ist). Büsser beklagt vor allem ein „rückerlangtes Spießertum“ des späten Hardcore im Gegensatz zum zwar „infantilen Kampf“ des frühen Punk, der aber die „erste und einzige“ umfassend-authentische „Gegenbewegung“ gewesen sei, wenn auch nur „für kurze Zeit, an manchen Orten“, so immerhin mit „den eigenen Lebensweg tief prägender Wirkung“. Wie sehr es ihn quält, daß die Kids nun eben doch wieder divided sind, das spürt man. Und das ist gut so.

So bleibt nur die deprimierende Erkenntnis: „Im gelungenen Miteinander von Theorie und Praxis“ sind sowohl Punk als auch Hardcore „gescheitert“. Das trotzige Aufbegehren von Büsser, das seinen Text beschließt, kann man zwar verstehen, es ist aber logisch schlicht nicht mehr nachvollziehbar. „Das Ende und die Vernichtung haben wir doch immer nur beschworen, um zu zeigen, wie lebendig wir selbst noch sind.“ Schlußendlich muß jeder für sich selbst und allein entscheiden, ob er den Leichnam noch riechen kann. Thomas Winkler

Martin Büsser: “... if the kids are united ... - Von Punk zu Hardcore und zurück“. A-Verlag, c/o Jens Neumann, Nerotalstr.38, 55124 Mainz, 140 Seiten, 16,80 DM