Wenn das so weitergeht mit der großen Koalition, „... dann haben wir 1997 ganz schlechte Karten“

■ Manfred Fluß, ex-Finanzsenator, über die Erfolge der großen Koalition unter Bürgermeister Scherf und speziell der Finanzpolitik des CDU-Senators Ulrich Nölle / „Große Koalition - eine Halbjahresbilanz“, Interview 2. Teil

Was ist die erste Bilanz, wirtschafts- und finanzpolitisch, der Großen Koalition? Manfred Fluß wollte nach dem Ende der Ampel-Koalition, in der er ein Jahr lang Finanzsenator war, Bremer Bürgermeister werden in einer Koalition mit der CDU.

Der SPD-Landesvorstand entschied sich für Henning Scherf als Kandidaten, der damals für eine rot-grüne Koalition votierte.

Im taz-Interview sagte Kandidat Fluß am am 27.5.95: „Ich gebe Ihnen Recht, mit der CDU ist kein reformerischer Aufbruch zu machen. Aber die Frage ist: Was ist für Bremen jetzt das Wichtigste? Das ist doch, daß wir unsere Finanzen konsolidieren, Arbeitsplätze schaffen.“

Wir wollten von ihm wissen, wie sich seine Erwartungen erfüllt haben. (vgl. Teil 1 des Interviews gestern, taz v. 29.12.)

taz: In der Bremer Bürgerschaft sitzen einige ehemalige Senatorinnen und Senatoren, in der SPD-Fraktion allein vier. Die Mehrzahl von ihnen schweigt schmollend auf der Hinterbank und klatscht manchmal demonstrativ für die falsche Seite.

Manfred Fluß: Ich glaube nicht, ob Sie das richtig beobachtet haben. Ich klatsche oder klopfe sehr wohl differenziert und in der Fraktion beteilige ich mich so aktiv, daß einige schon gesagt haben, ich sollte mich ein wenig mehr zurückhalten. Man muß ja vorsichtig sein, damit man nicht als Besserwisser erscheint, der den Neuen was erzählen will. Andererseits kann man ja auch nicht alles unkommentiert lassen.

In der Bürgerschaft sind die vier ex-Senatsmitglieder der SPD nicht durch große Reden aufgefallen...

Im Parlamentsplenum ist es so, daß die Sprecher und Vorsitzenden in erster Linie reden. In den Deputationen und Ausschüssen ist das anders.

Man ist als Ehemaliger immer in dem Verdacht, daß man alles besser weiß. Haben Sie dieses Problem?

Doch, das muß ich zugeben, das habe ich.

Sie haben vor einem halben Jahr im taz-Interview gesagt, die Verwaltungsreform müsse man „schneller und stärker anpacken“. Das ist ja auch ein Schlüssel zur Senkung der laufenden konsumtiven Kosten. Nun will die Koalition ein Gutachten in Auftrag geben, um herauszufinden, wieso Unterricht ausfällt, während auf der Gehaltsliste der Stadt zu viele Lehrer stehen.

Die Bildungssenatorin würde das bestreiten. Sie will kein Gutachten. Waren das nicht andere, die das wollen?

Sie kann offenbar die Frage nicht beantworten, was die Lehrer machen, die alle auf ihrer Lohnliste stehen.

Das könnte man ohne weiteres feststellen, mit behördeninternen Mitteln. Klarheit an dieser Stelle wäre zudem noch keine Verwaltungsreform.

Ich habe das so verstanden, daß dieses Gutachten, wenn es denn kommt, die Struktur der Behörde durchleuchten soll wie das Ploenske-Gutachten das für die Soziabehörde getan hat oder zunächst wenigstens wollte. Ich würde das begrüßen. Ich habe nie etwas von der „Selbsterfahrungsgruppe“ ISP/OE gehalten...

Von was?

ISP/OE steht für „Institutionelle schulentwicklungsplanung/ Organisations-Entwicklung“. Als SKP-Senator habe ich versucht, das zu verhindern, aber der damalige Bildungssenator hat das ohne den Senat unterschrieben.

Was unterschrieben?

Das Abkommen mit der ÖTV und dem Personalrat.

Was wäre denn stattdessen Verwaltungsreform? Was stünde an?

Wir haben einige wichtige Schritte auf den Weg gebracht, die müßten jetzt mal umgesetzt werden. Das Wichtigste ist Transparenz. Das bedeutet unter anderem: Kosten- und Leistungsrechnung neben der Kameralistik. Die Haushaltsstellen müssen anders organisiert werden.

Zum Beispiel?

Manche Behörden sitzen zur Miete, manche in kommunalen Gebäuden. Bei den einen stehen Mietkosten im Haushalt, bei den anderen nichts – es werden keine fiktiven Mietkosten eingesetzt. Die Posten sind deshalb nicht vergleichbar. Wenigstens müßte man die Abschreibungen einsetzen. Aber das Wort Abschreibungen gibt es in dem ganzen kameralistischen Haushalts-System nicht. Man muß ganz allgemein kennen, was den einzelnen Dienstleistungen an Kosten zuzurechnen ist, z.B.: Was kostet eigentlich ein Feuerwehreinsatz? Ein öffentlicher Toiletten-Besuch? Ein Theaterplatz? Das weiß doch niemand so ganz genau, das spielt bei der Haushaltsdebatte keine Rolle.

Zweitens müßte man Verantwortung im Öffentlichen Dienst dezentralisieren und Eigenbetriebe weiter entwickeln in GmbH–s.

Oft sind es auch nur Kleinigkeiten. Zum Beispiel sollte das elektronische Zeiterfassungssystem überall eingeführt werden. Aber wenn das Rathaus ist schlechtem Beispiel vorangeht... Nach meiner Meinung wäre auch dringend darüber zu reden, die Beamtenarbeitszeit eher zu verlängern. In Niedersachsen oder Bayern sind 40 Stunden üblich. Die Lehrerpflichtstundenzahl auch. Wir sind in einer Haushaltsnotlage...

Bei den Lehrern hat sich Scherf als Bildungssenator vertraglich gebunden, das nicht zu tun..

Das ist ein Vertrag der Behörde mit der GEW, der kann nicht eine Verordnung des Senats oder einen Beschluß der Bürgerschaft ersetzen. Der Senat könnte sofort handeln...

Der Vertrag ist nicht bindend?

Nein. Der kann doch nicht die Bürgerschaft binden, wenn die Bürgerschaft das nicht beschlossen hat und dafür zuständig ist.

Wir sind beim Solidarpakt. Die große Koaliton will die Arbeitszeit der Beamten nicht verlängern, sondern verkürzen.

Der Ansatz ist, Personalkosten zu sparen. Aber die Arbeit ist ja nicht weniger geworden im Öffentlichen Dienst, im Gegenteil. In dem einen Jahr, in dem ich Finanzsenator war, sind zwei Prozent der Stellen abgebaut worden. Das muß sich gemäß den Personalentwicklungsplänen fortsetzen. Das kann man nicht mit Arbeitszeitverkürzung schaffen.

Wird es zu dem geplanten Solidarpakt mit den Gewerkschaften kommen?

Ich glaube nicht. Wir haben übrigens in Bremen seit langem eine enorm flexible Regelung für Teilzeit, bei den Lehrern sogar stufenlos. Wer seine Arbeitszeit verkürzen will, kann das.

Warum haben Scherf und Nölle das Modell Arbeitszeitverkürzung für alle erfunden?

Das richtige Ziel war, Personalkosten zu sparen. Ich meine aber, man hat die rechtlichen Rahmenbedingungen – Bundesbeamtengesetz, Tarifverträge - nicht realistisch genug gesehen und deswegen ist jetzt dieser schrittweise Rückzug. Eine klare Erklärung jetzt würde gewisse Unruhe im Öffentlichen Dienst, die es ja gegeben hat, zurücknehmen, und würde eher die Bereitschaft bringen, auf anderen Feldern Verwaltungsreform mitzugestalten.

Derzeit laufen die Haushaltsberatungen für den Etat 1996/7. Aus verschiedenen Deputationen hört man, daß die vom Senat beschlossenen Eckwerte nicht eingehalten werden können.

Ich bin noch bis zum 31.12. Obmann der SPD für den Kulturbereich, da kann ich das beurteilen..

Das Theater wird nicht sterben?

Uberhaupt nicht. Da ist ja auch viel Theater beim Theater gemacht worden. Das Theater kriegt jetzt 41,7 Millionen Fehlbetrag und wollte 1996 43 Millionen haben. Wenn es bei ca. 42 Millionen bleibt, muß man keine Sparten schließen.

Bei einigen Ressorts wird es schwierig werden, im Sozialbereich, im Sportbereich, im Bildungsbereich. Da sind die Senatorinnen gefordert.

Der Haushalt kommt im kommenden Sommer zustande?

Es kommt ein Haushalt zustande.

Nur irgendeiner oder der, dessen Eckwerte die große Koaliton sich verordnet hat?

Hoffentlich ein realistischer. Es nützt ja nichts, wenn man die Heizungskosten im Haushaltsansatz halbiert und hinterher kommt doch ein kalter Winter.

Die große Koalition plant keine Entschuldung, sondern eher 4,8 Milliarden Neuverschuldung in den nächsten Jahren.

Ich weiß nicht, wie man auf 4,8 Milliarden kommt. Das ISP hat bis zum Jahre 2004 diese Höhe, aber im Moment planen wir für diese Legislaturperiode. Da beträgt das ISP ca. 1,6 Milliarden. Das Grundproblem sehe ich aber auch: Wir stehen vor der Frage, tilgen wir überhaupt nichts mehr, halten wir an dem gesamten ISP fest mit einer sogenannten „Minus-Tilgung“? Aufgrund der geringeren Steuereinnahmen müßte man meiner Ansicht nach das ISP etwas zurückschrauben. Ich denke, eine Schuldentilgung hat auch einen hohen symbolischen Wert. Bremen muß mit dem Geld, das jährlich von Bonn kommt, auch Schulden tilgen. In dem Jahr, in dem ich als Finanzsenator für den Abschluß verantwortlich war, haben wir 330 Millionen getilgt, obwohl im Juli Haushaltspolitiker wie Herr Metz noch gesagt haben, das schafft der nie. Herr Nölle hat es jetzt schwerer, aber es muß jedes Jahr eine Tilgung herauskommen, sonst haben wir ganz, ganz schlechte Karten 1997 bei eventuellen Nachverhandlungen. Das heißt: Man muß das Investitons-Sonderprogramm zurückfahren.

Verzicht auf den Hemelinger Tunnel?

Ich sehe nicht, wie man den Hemelinger Tunnel oder ein entsprechend teures Ersatzbauwerk anfangen kann, wenn gleichzeitig im Kultur- oder Sozialbereich große Einschnitte gemacht werden und wenn nicht einmal gleichzeitig Schulden getilgt werden. Ich würde Investitions-Mittel in Schuldentilgung umwidmen, das erspart uns Zinsen und wird uns später ein bißchen mehr Spielraum geben im konsumtiven Bereich.

Sie waren vor einem Jahr ein Verfechter der großen Koalition. Hat Ulrich Nölle als CDU-Finanzsenator irgendwelche Akzente gesetzt? Hat er etwas in Bewegung gebracht, was vorher in Ampel-Zeiten nicht schon vorhanden waren?

Man muß davon ausgehen, daß die Position der Verwaltung im Finanzbereich immer sehr stark ist. Da braucht es einige Zeit...

Ein halbes Jahr wäre Zeit, wenigstens Weichenstellungen vorzunehmen.

Ich will hier meinen Nachfolger nicht beurteilen, ich denke, man muß ihm schon ein wenig mehr Zeit geben.

Ihnen fällt offenbar nichts ein. Wann ist die Schonfrist vorbei?

Die Nagelprobe für jeden Finanzsenator ist der erste Haushalt.

Der soll im Sommer 96 beschlossen werden. Nölle hat sich da mehr vorgenommen als Sie...

Das ist richtig. Das Ziel, bis 1999 Paragraph 18 der LHO einzuhalten...

... das bedeutet: den konsumtiven Teil der Ausgaben so zu senken, daß sie aus realen Einnahmen finanziert werden können..

... das hätte ich mir als Zielsetzung nicht zugetraut. Auch die Finanzverwaltung hat bei den Koalitonsverhandlungen keine so weitgehenden Sparziele von sich aus eingebracht. Aber wenn die Politiker über das, was die Fachleute für realistisch halten, hinausgehen wollen, müssen die Fachleute das natürlich akzeptieren.

Herr Fluß, wir sprechen uns spätestens im Juni 1996 wieder.

Int.: K.W.