Bröckeltest soll Verkauf voranbringen

Für das Olympiastadion soll jetzt mit einer „Schadenanaylse“ geklärt werden, wie teuer eine Sanierung der Bröckelarena wäre. Berlin und Bonn streiten weiter über den Kaufpreis  ■ Von Rolf Lautenschläger

Beim Fußballänderspiel Bundesrepublik Deutschland gegen Bulgarien Ende November hat es wieder einmal gewankt. Und es wäre mit Sicherheit gefallen, hielten nicht stählerne Stützen und Träger das Oval. Es ist schon lange kein Geheimnis mehr, daß das sanierungsbedürftige Olympiastadion bröckelt. Doch inzwischen muß der Oberring von einem Korsett aus Stahlträgern gestützt werden.

An der Nordseite liegen die Eisen frei, zentimeterstarke Risse überziehen tragende Bauteile, von denen die Muschelkalkverkleidungen abgefallen sind. Die Südtribüne ist von einem Wald aus Eisenstangen unterbaut, so daß die Ränge nicht zu Steinbrüchen werden.

Damit die bröckelnde Arena nicht „endgültig“ in sich zusammenfällt, so Baudirektor Ulrich Stange von der Senatsbauverwaltung, „und es Klarheit darüber gibt, was, wie und wo getan werden muß“, soll eine „Schadenanalyse zur Instandsetzung des Olympiastadions“ jetzt Aufklärung bringen.

Am 3. Januar 1996 beginnt in der Bauverwaltung die Ausschreibung der Schadenanalyse, die neben der Auflistung der Bauschäden ein Sanierungs- und Modernisierungskonzept beinhalten soll. Auf dieser Grundlage könne dann entschieden werden, wieviel Geld lockergemacht werden muß, um die denkmalgeschützte Kampfbahn zu renovieren, hofft Ulrich Stange. Denn es sollte „so schnell wie möglich“ saniert werden. An die Schadenanalyse knüpft der Planer auch die Hoffnung, daß Aussagen darüber getroffen werden können, wie das zukünftige Stadion einmal zu „gestalten“ sei. Zur Modernisierung gehöre nicht nur den Umbau der Kabinen und Sitzreihen.

Insbesondere für die technischen Neuerungen, meint Stange, seien Konzepte gefragt: Medienplätze, Studios oder physiotherapeutische Einrichtungen, die den neuesten Anforderungen einer modernen Multiarena genügen, könnten dann geplant werden.

Hinzu kommt, daß die Modernisierung des 1936 eröffneten Olympiastadions ein Überdachungskonzept miteinschließt. Für Großveranstaltungen wie Kirchentage oder Rockkonzerte aber auch nach den FIFA (Weltfußballbund)-Richtlinien „ist heute eine vollständige Überdachung der Sitzplätze zwingend“, betont Günter Bock, Staatssekretär in der Sportverwaltung. Und Bock hält sich dabei alle Optionen offen. „Es wird zu prüfen sein, ob es ein Verfahren gibt, alle 76.000 Sitzplätze und das Spielfeld zu überdachen.“

Hintergrund des Sanierungs- und Modernisierungskonzepts bilden einerseits die Termine für die Weltmeisterschaften der Leichtathleten 2001 und 2003 sowie die Fußball-WM 2006, die der Senat für die Hauptstadt ergattern will. Andererseits bedeutet die Schadenanalyse für die Berliner Finanz- und Sportfans, daß endlich die Karten im Sanierungspoker zwischen Bonn und Berlin (wo mit Zahlen zwischen 200 und 300 Millionen Mark gehandelt wird) auf den Tisch kommen.

Der Verkaufspreis für das ehemalige Reichssportfeld ist seit dem Auszug der britischen Militärs strittig. Der Bund verlangt für das Gelände in Charlottenburg 166 Millionen Mark, was dem Senat zuviel ist. „Die Summe ist nicht akzeptabel“, sagt Bock. Das verwahrloste Stadion mit seinen unbequemen Sitzbänken sei weit weniger wert, und die Sanierung komme viel teurer.

Die Wertbemessung des Stadions geht auf die Berechnungen der Oberfinanzdirektion (OFD) zurück. Diese, so ihr Sprecher, habe für das Gesamtgelände Reichssportfeld mit Stadion, Schwimmbad, Sportforum und Maifeld einen Wert von rund 440 Millionen Mark errechnet. Wegen jahrelanger Versäumnisse bei Renovierungsarbeiten mindere sich aber der Wert um etwa 275 Millionen Mark.

Bock hält diese Berechnungen sowie die Taxierung der Sanierung auf 218 Millionen Mark für nicht gerechtfertigt. Wenn die Schadenanalyse vorliege, müsse der Bund mit dem Land in die Verhandlungen eintreten. Gibt es keine Gespräche, werde Berlin bis 1997 – so lange gilt der „Überlassungsvertrag“ vom Bund an Berlin – nur in die Aufrechterhaltung der betrieblichen Sicherheit investieren.

Der Bund sollte sich klar darüber sein, daß er etwas für das Stadion tun müsse, warnt Bock. Und Finanzsenator Elmar Pieroth droht angesichts der defizitären Haushaltslage mit der Rückgabe der ruinösen Immobilie an den Bund. Für die Stadt gingen damit allerding Nutzungsansprüche und Modernisierungsinteressen verloren.

Die Ausschreibung bleibt eine offene Rechnung, solange nicht der Streit über den Verkaufspreis des Stadions und die Kostenbeteiligung des Bundes bei der Modernisierung geklärt ist. Bock: Es müsse im Interesse des Bundes liegen – wie im Interesse der Berliner auch – „einen Kompromiß beim Thema Olympiastadion zu finden“. Beide Seiten müßten sich da aufeinander zu bewegen; der Sportstadt wegen.

Und die hat große Pläne – trotz oder auch wegen der kläglich gescheiterten Olympiabewerbung 2000. Nach wie vor träumen die Sportfunktionäre von einem „Olympiapark“ rund um ein renoviertes Olympiastadion. Von privaten Investoren sollen neue Sport-, Freizeit- und Hotelbauten errichtet werden.

Im Mittelpunkt steht dabei eine große Sporthalle für 20.000 Zuschauer auf dem Schenckendorfplatz. Außerdem ist vorgesehen, daß ein Freizeit-Schwimmbad, Tennis- und Racketfelder sowie Gastronomiebereiche entstehen. Nach Aussage von Bock steht der Senat nach wie vor mit den drei Investoren für das Milliardenprojekt, dem Bauriesen Philip Holzmann, Gerry Weber und Prinz von Hohenlohe und Banghard in Verbindung.

Günter Bock und Sportsenator Jürgen Klemann, die den 120 Hektar großen Olympapark befürworten, stoßen mit ihren Plänen auf den Widerstand der Denkmalschützer in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz, die die historische Gesamtanlage durch die eingesteuten Neubauten und Freizheitanlagen „zerstört“ sehen. Das von Werner March erbaute Stadion für die Nazi-Spiele 1936, das Sportforum (1928) und die Achse Olympischer Platz–Maifeld–Glockenturm würden in ihrer geschichtlichen Bedeutung überlagert. Eines der besterhaltenen Zeugnisse faschistischer Architektur, so die Ängste, könnte zur Unkenntlichkeit überformt werden. Nomen est omen: Das Reichssportfeld mutierte zum Olympiapark.