„Und grüß mir den Baß!“

Ecstasy, Droge der Jugend: Immer mehr werfen sie ein — zu Hause und im Technoclub. Doch ist das in lebensverbesserischer Sicht sinnvoll? Oder sollte man lieber Brausepulver schnupfen? Ein kritischer Selbstversuch  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Die Zeiten ändern sich. Bravo- Fotostorys über gehemmte junge Männer, die durch Hasch aus sich herauskommen und neue nette Freunde gewinnen (und danach ging's bergab), wurden abgelöst von Bravo-Fotostorys über gehemmte junge Männer, die durch „Ecstasy“-Pillen aus sich herauskommen und neue nette Freunde gewinnen (und danach ging's bergab). Statt Haschisch finden besorgte Mütter nun bunte Pillen in den Schreibtischen ihrer Söhne und fragen besorgt bei Super-Illu nach, ob es sich da wohl um Ecstasy handle. Jaja, antworten die Super-Illu-Experten, und das sei sehr gefährlich. Da muß man was machen. Aufklärung fängt schon im Kinderzimmer an. Deshalb stehen in der Spielwarenabteilung von Karstadt auch schwer bewaffnete Robocops und sagen, wenn man auf einen Knopf drückt: „Ich bin Robocop. Hände hoch! Keine Macht den Drogen!“

Ein Heavy-Metal-Kiffer riet mir vom Selbstversuch ab. Auf Ecstasy würde man sich „zu gut fühlen“, meinte er, und den normalen Alltag dann blöd finden. Techno sei eh „bescheuert“, und die ständig grinsenden Gesichter der Ecstasy- User gingen ihm „auf den Geist“. (Auf seinem Lieblings-T-Shirt steht übrigens: „Glückliche Menschen gehen mir auf die Eier“). Auch ist Ecstasy heute, nach fünf Jahren, so weit demokratisiert, daß man sich als „User“ nicht mehr sonderlich avantgardistisch fühlt.

Aber das volkstümliche Element, die populäre Breite im Moment des Vergehens, ist natürlich auch wieder prima: Usen aus der Perspektive des einfachen Menschen! Ein arbeitssüchtiger Freund meinte zwar, man solle sehr aufpassen, denn Ecstasy mache süchtig. Ein andrer gab mir eine CD. Die hieß „E-Motion“. Ein anderer besorgte mir ein „E“, wie wir Raver so sagen, und versicherte, daß der Stoff okay sei; er empfahl mir, auf eine Party in den Osten zu gehen. Dort würden auch die Leute von „Eve & Rave“ – einer Berliner Raverinitiative, die sich um akzeptierende Drogenberatung kümmert – ihre Dienste anbieten.

Herr Motte machte Musik. Etwa 500 Leute gaben sich recht gemischt modern-hippiesk. Intensiv tanzten auch ein paar Grauhaarige und Latzhosen. Halb versteckt in den Ecken, doch durchaus an strategischen Stellen, d. h. an der Toilette zum Beispiel, standen zwei Stände von „Eve & Rave“. An dem einen gab's Papers, Fruchtsäfte, Milkshakes und Süßigkeiten an dem anderen Drogenbroschüren und Zettel. Einer der freundlichen „Eve & Raver“ schaute sich meine Pille an, erkannte geübten Blicks die Sorte und meinte, die sei okay, und wünschte noch viel Spaß; und ich solle nicht vergessen, öfters mal Wasser zu trinken.

Die Pille schmeckte ziemlich bitter. Erwartungsfroh tanzte ich ein Weilchen, ein wenig warm wurde es dann, und das Herz schlug ein bißchen doller. Als ich enttäuscht dachte, jetzt würde gar nichts mehr geschehen, ging dann alles sehr plötzlich. Kurz überlegte ich, ob das gutzuheißen sei, dann war der Gedanke schon weg, und alles wurde ein wohliges Durcheinander.

Neue, ungeahnte Recherche- möglichkeiten eröffnen sich dem Journalisten im Selbstversuch. Zunächst recherchiert man, wie man sich so fühlt, wenn das Über-Ich grad Urlaub hat. Der Körper fühlt sich klasse an; jeder Baß wird mit großem „Hallo“ begrüßt, auch denkt man an bunte Blasen oder so. Irgendwelche dahergelaufenen Glücksgefühle durchschauern einen beim Tanzen in Wellen; das Zeitgefühl ist abgehauen. Die Mittänzer scheinen überaus nett zu sein und verteilen Eiswürfel. Ab und an denkt man „Boing“ und freut sich an den Gesichtern, in die man begeistert starrt. Beglückt ging ich irgendwann zu André Erckmann, einem der „Eve & Rave“-Leute, und erzählte, daß ich mich sehr beglückt fühlen würde. Der nuschelte dann irgendwas wie „laß es dir gutgehen“, das war äußerst witzig und sympathisch.

Wie jede Droge, so verhilft einem auch Ecstasy zu neuen Einsichten. Plötzlich weiß man zum Beispiel genau, wer im Raum auf „E“ ist: mindestens die Hälfte. Die grinst man dann an als Genossen. Die Sätze, die man so wechselt, sind eher knapp. Meist fragen die neuen Freunde einen: „Geht es dir gut?“ oder „Wie gefällt dir der Techno?“ Dann sagt man: „Logisch – und dir?“ oder „Prima!“ Nach dem dritten Mal findet das der Restverstand auch recht komisch.

In den Toiletten hängen die Vollgeknallten im UV-Licht bleich und verschwitzt am Wasserhahn, mahlen leicht gestört mit ihren Kiefern, reichen sich Becher mit Wasser drin und grinsen dabei freundlich durch die Gegend. Feine Menschen!

Wenn man ihnen Wasser gibt oder ihnen – weil sie grad so bleich sind oder man nicht weiß, was man reden soll – empfiehlt, doch mal rauszugehen und prima leckere frische Luft zu atmen, bedanken sich die Ecstasy-User höflich oder sagen, daß sie das doch beinah vergessen hätten. Selbst die, die sichtlich fertiger aussehen und noch einsamer in ihrem Rausch wirken, als sie es vielleicht ohnehin schon sind, bemühen sich irgendwie, die Basisregeln – Wasser trinken, ab und an rausgehen – einzuhalten. Manche reden mit sich selbst und sagen entschlossen: „Ich muß jetzt mal rausgehen.“ Draußen liegt einer in einer schwarzen Lederjacke auf einer Bank und fragt, wer ich sei, und möchte wahrscheinlich was Spektakuläres hören. Drinnen rennt einer von einer Frau zur nächsten und sagt, daß er „nur etwas Spaß haben“ wolle. Er wirkt dabei ziemlich fertig und wird von jeder abgewiesen. „Das ist P., der Schwabe“, der „macht das immer so“ und ist „im Winter auf Goa“.

Ähnlich plötzlich, wie er kam, verschwindet der Rausch dann wieder nach drei oder vier Stunden

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Man ist – nur noch leicht bedrogt – wieder in der Echtzeit. Erschöpft zieht man nach Hause und grinst in der U-Bahn verschwörerisch alle an, die bleich und verschwitzt aussehen. Ein paar Tage ist man durchaus angeschwächelt, wie nach jedem ordentlichen Rausch (Wodka ist allerdings um einiges härter). Manche User sind bis Mittwoch auch schlecht gelaunt und lassen dann auch die Aufmerksamkeit beim GMK- oder PW-Unterricht vermissen. Oder verlassen plötzlich den Arbeitsplatz, weil sie das Bildschirmflimmern nicht ertragen können. Manche rennen auch die nächsten Tage durch die Gegend und machen Reklame für Ecstasy oder kaufen bei „Hertie“ irgendwelche Techno- CDs: Die heißen „E-rotic“ oder „E-Type“ oder „E-Power“ und stehen in den Regalen für Ecstasy- Musik („E-Musik“).

Besonders sicher ist man sich nicht, was das alles bedeuten soll. Ob der Hokuspokus, den die Droge im eigenen Körper veranstaltet hat, aus spiritueller oder lebensverbesserischer Sicht wertlos bis kontraproduktiv ist, oder ob man durch die Drogenerfahrung einen Zipfel nichtentfremdeten Lebens zu fassen gekriegt hat, der einen anspornt, auf einen Zustand hinzuarbeiten, in dem man ähnliche Erfahrungen auch ohne Drogen machen kann. Zum Beispiel durch Reisen oder sich verlieben.

Als Journalist schreibt man natürlich einen Artikel: In Berlin schätzt man die Zahl der Ectasy- Konsumenten auf etwa 5.000. In ganz Deutschland sollen es etwa 100.000 sein.

Über die Gefährlichkeit streitet man sich gerne. Während Ecstasy hierzulande als harte Droge klassifiziert wird, meint der Hamburger Drogen- und Sex-Experte Günter Amendt: „Legt man die bei der Gefahren- und Risikoabwägung üblichen Indikatoren wie Suchtpotential, Mortalität, Fehldosierungen und organische Nebenwirkungen zugrunde, dann ist beim gegenwärtigen Erkenntnisstand die Droge als ,eher harmlos‘ zu klassifizieren.“ Man möchte ihm gern glauben.

Doch auch „eher harmlose“ Drogen können den Konsumenten das eine oder andere Problem bereiten. Wer an Anämie, Asthma, Leberzirrhose, Hepatitis, Herz- Kreislaufstörungen oder hohem Blutdruck leidet, sollte von Ecstasy unbedingt die Finger lassen. Die anderen sollten Kombinationen von Dauertanzen, Überdosen, zu wenig Trinken, Mischkonsum, schlechter Luft und Übermüdung vermeiden. Da droht dann nämlich der böse Kreislaufkollaps, wegen Dehydrierung.

Hans Cousto ist ein prima Typ. Seine Freunde nennen ihn „Cousto“ und sprechen das „C“ in seinem Namen meist eher aus wie ein „G“. Der braungebrannte, schlanke Schweizer ist immer lächelnd dabei, wenn's um Ekstase und solche Dinge geht. Früher hat er mal Mathematik studiert. Dann kam er zur Musik und kosmischen Oktaven. Vor ein paar Tagen hat er im „Nachtschatten-Verlag“ ein umfangreiches Buch über Drogen und Techno veröffentlicht („Vom Urkult zur Kultur“). Gern erzählt Cousto von wilden LSD-Parties – damals, 1971 in Zürich – oder letzten Sommer, irgendwo vor der Stadt. Am nächsten Morgen hätte es eine große Kuhle gegeben. Soviel hätten die getanzt.

Mit seinen 47 Jahren ist Hans Cousto sozusagen der Alt-Raver bei „Eve & Rave“, einer vor einem Jahr in Berlin gegründeten „unabhängigen Interessenorganisation von Partyleuten und RaverInnen“, die sich um die Förderung der Technokultur im allgemeinen und im besonderen um „Safer-House- Parties“ bemüht. Vielleicht auch umgekehrt. Die mittlerweile ungefähr 40 aktiven Mitglieder von „Eve & Rave“ kümmern sich jedenfalls um Risikominimierung und Gesundheitsberatung innerhalb der Technoszene.

Die Gesundheitsraver setzen auf akzeptierende Drogenberatung. Sie warnen Ecstasy-Konsumenten vor unberechenbaren Drogencocktails (Hasch sei am Ende des Rausches allerdings okay), raten Erstkonsumenten, nur in Begleitung erfahrener Freunde Ecstasy zu nehmen, empfehlen, viel Obst zu essen, Mineralwasser zu trinken und ab und an an die frische Luft zu gehen. Wer das klassisch-männliche Bild des einsam-verzweifelten Drogennehmers liebt, mag genervt sein von den Gutmenschen, die da ständig auf Technoparties herumrennen und die bleich grinsend Tanzenden fragen, wie's denn so geht oder ihnen auch mal über den berauschten Kopf streichen, wenn's nicht so gut läuft. Viele User allerdings wissen die Arbeit der netten Gesundheitsraver durchaus zu schätzen.

Als „eine Art Stiftung Warentest für Drogenuser“ bemüht man sich, nach holländischem Vorbild in Technoclubs Vorortpillentests durchführen zu dürfen und verteilt neben einer recht hilfreichen Broschüre über Partydrogen auch Listen mit Qualitätsanalysen diverser in Berlin kursierender Ecstasy- Pillen. Denn es kann schon mal böse Überraschungen geben, wenn man zum Beispiel statt des leichteren MDMA, MDE oder MDEA, das mehr ins LSD-mäßige gehende und heftiger wirkende MDA erwischt oder wenn die Droge überdosiert oder anderweitig verunreinigt ist. Zur Zeit warnt „Eve & Rave“ vor üblen Pillen („Prägung Stierkopf, Rückseite Bruchrille“), die statt Ecstasy sehr hohe Amphetamindosen enthalten. („Speed als Ecstasy anzubieten ist heimtückisch, verantwortungslos und verwerflich!“) Im allgemeinen sei die Ecstasy-Qualität in Berlin jedoch recht hoch, meinen die Drogentester nach bislang etwa 60 Stichproben, die sie in diesem Jahr durchführen ließen. Das hätte durchaus auch mit ihrer Arbeit zu tun.

Helmut Ahrens, ehemaliger Drogenreferent der deutschen Aids-Hilfe und Mitbegründer von „Eve & Rave“, wohnt im zehnten Stock eines Hochhauses am Berliner Nollendorfplatz. Ziemlich romantisch und kalt ist es in den Fluren; schön ist der Blick über die Stadt, die von oben so gar nichts Provinzielles mehr hat. Man stellt sich vor, hier könnte alles Mögliche passieren: viele böse und gute und romantische Dinge. Anstatt „abzufahren“, wie wir Raver so sagen, könnte der karge Fahrstuhl zum Beispiel auch stehenbleiben.

Im kleinen Appartement von Ahrens befindet sich die Zentrale von „Eve & Rave“. Hier trifft man sich regelmäßig, um die Dinge zu erörtern. Der fürs Drugchecking verantwortliche Pharmakologe ist da; der juristische Berater, Cousto, natürlich, der die letzte Woche bei den PSI-Tagen in der Schweiz war. Später kommen noch zwei junge Mädchen, die auch mitmachen wollen.

„Der Staat hat die Aufgabe, auch die Gesundheit derer zu schützen, die mit Drogen experimentieren“, betont Cousto und erregt sich über die verbrecherische Prohibitionspolitik, die für einen Großteil der Drogentoten verantwortlich sei. Wütend wird er über Zeitungsmeldungen von „sogenannten Ecstasy-Toten“, die in Wirklichkeit am Mischkonsum gestorben seien. Seltsam sei es, daß die Polizei in erster Linie nicht mehr vor der Droge, sondern vor angeblichen Verunreinigungen mit Strychnin oder Blausäure warnt – und das sei doch eigentlich „die Schiene“ gewesen, mit der man früher für eine weiche Drogenpolitik eingetreten sei. Nach den Recherchen von „Eve & Rave“ seien jedenfalls „unter 1 Prozent“ der Ecstasy-Pillen solchermaßen verunreinigt. „Das bestätigen auch Berichte vom Bundesgrenzschutz“, meint Cousto und zeigt einen Bericht vom BGS, der das bestätigt.

Erbost erzählt er von Polizisten, die in letzter Zeit häufig als Agents provocateurs in Diskos rumrennen und versuchen, Ecstasy-Pillen zu überhöhten Preisen aufzukaufen. „Glücklicherweise erkennt man die ja am Gang und Geruch. Die sind oft stark parfümiert.“

„Die Frage, was für eine Bedeutung Ecstasy in der Technoszene hat, ist so ähnlich wie die Frage nach dem Huhn und dem Ei“, meint Helmut Ahrens. Trotzdem seien auch in Technodiskotheken Alkohol und Hasch beliebter als Ecstasy.

Vor ein paar Jahren wäre es noch besser gewesen. „Was wir inzwischen in der Masse sehen, ist schlichter Konsum. Das könnten durchaus produktive Prozesse sein, wenn sie eben entsprechend reflektiert und kultiviert werden. Da alles nur konsumistisch aufgesaugt wird, wird alles wieder ein Brei und das, was destruktiv ist, wird noch destruktiver.“

Um es wieder produktiver zu machen, plant man einen „Twin- Planet“: In Brandenburg will „Eve & Rave“ einen Bauernhof mieten und diverse Kulturprojekte durchführen; auch vom Mutterleib ist die Rede, den man da nachbauen wolle, und da können dann die jugendlichen Technofreunde reingehen und sich amüsieren.

Wenn Ahrens vom „Kind“ erzählt, daß man hier oder dort „in sich entdecken“ solle, klingt es seltsamerweise gar nicht so schwachsinnig, wie es sich zunächst vielleicht anhört: Irgendwie ist es jedenfalls nicht einzusehen, wieso Melancholie und Todessehnsucht besser sein sollten als die regressive Sehnsucht nach dem Mutterleib oder dem Gesäugtwerden oder dem Rumbrabbeln, auch wenn das Babygebrabbel irgendwelcher Technolieder eher nervt, und die Technofreunde, die eine Zeitlang mit Babyschnullern rumrannten, schon ziemlich verblödet wirkten. Illegale Drogen sind übrigens verboten!

Petra, eine besonders nette Technoclubchefin, erzählte neulich, daß findige Teenager aus Zehlendorf das „Ahoi“-Brausepulver- Schnupfen eingeführt hätten. Die würden auf dem Tresen irgendwelcher geheimnisvoller Undergroundclubs Brausepulver-Lines legen. Das sei sehr witzig. Da würden sich die Bullen ganz schön ärgern, wenn sie wieder vorbeikommen, um irgendwelche Schankgenehmigungen anzumahnen. Auch „knalle“ das tatsächlich, wenn man nach dem Schnupfen in die Knie geht und dann die Augen zumacht und dann hochspringt.