Musikjournalisten zwischen Betroffenheit und Nabelschau

Es gibt in Hamburg eine Sorte Musik-Journalisten, die sich sowohl in Stadtzeitschriften als auch in Fanzines zu Wort melden. Einige von diesen Autoren mischen ihren Artikeln eine bestimmte Sorte Zorn unter. 1995 wurde eins klar: Dieser Zorn soll andeuten, daß die Autoren wissen, worum es beim Schreiben geht. Und sie tun, als sei ihr Recht, sich aufzuregen, so bedroht wie Waschbären in Australien. Es sieht so aus, als wollten sie endlich an einem „echten“ Kampf teilnehmen, dem sie sich schreibend immer wieder aufs neue verpflichten.

In diesem Jahr traten die Gründe für diese Einstellung recht offen zutage. Die Musik-Journalisten haben zwei Möglichkeiten: Zurückhaltung und Nabelschau. Wenn sie für Fanzines oder Stadtzeitschriften wie die Szene Hamburg schreiben, können sie sich sozusagen in sich selbst suhlen. Denn Stadtzeitschriften sind der Ort, wo man schreibt, um sich nicht überregional rechtfertigen zu müssen.

Wenn die Autoren der beschriebenen Sorte für sich die andere Möglichkeit wählen, so heißt das, daß sie sich seltsam zurückhalten. Allein, nicht weil sie in den 80ern von der Meinungskrise gehört haben sind sie jetzt vorsichtig geworden. Wenn sie sich mit einer Gruppe oder einem Musiker beschäftigen, der wirklich ein inhaltliches Angebot macht, dann werden sie vorsichtig, um weiterhin unbeschwert bei anderen davon berichten zu dürfen – wie sie beim Plattenhören auf ihre gefühligen Kosten kommen, wie sie sich so exquisit aufgewühlt fühlen und wie sie bei sich und mit dem Sänger Introspektion betreiben. Im Grunde halten sie sich dann von Musik „betroffen“.

Die Betroffenheit von manchen Hamburger Musik-Journalisten hat aber durchaus auch taktische Gründe. Betroffenheit zeigen nützt ihnen, damit nicht sichtbar wird, wie vorsichtig sie tatsächlich sind. Denn wenn statt ihrer Art, mit der Musik mitzugehen, ihre Vorsicht bemerkt würde, könnte es ja sein, daß eine wichtige Erfahrung in Abrede gestellt wird, nämlich daß die Autoren in den vergangenen Jahren näher an die Musiker herangerückt sind. Und das wollen unsere Autoren auf keinen Fall.

Diese Journalisten vertragen es, daß es im Augenblick nicht viel zu gewinnen gibt, weil sie gleichzeitig auch davon ausgehen, daß es bestimmte Sachen dafür auch nicht mehr zu verbieten gibt. Denn auch der Journalist geht heute hin und sagt: „Ich bin eine Szene.“ Er tut das, auch wenn ihn niemand hört. In den meisten Fällen gibt ihm das eine wie das andere Schubkraft. Niemand widerspricht ihm, und also tut er es öfter.

Die einmal geforderte Entschiedenheit um der Entschiedenheit willen ist bei ihm dergestalt angekommen, daß er tut, als bemühe er sich zu retten, was gerade noch zu retten ist. Früher haben sich andere mal hoffnungsvoll gegen „die Meinung“ gewendet. Jetzt wollen andere dran sein, Leute, die so etwas wie ein Verantwortungsvorbild sein möchten.

So einer, der ein Verantwortungsvorbild sein möchte, hat auch ein paar markante Charaktereigenschaften. Er hat keine zuhörende Schulklasse, aber er zückt dafür umso ungerührter das zur Strafe bereite Lineal. Daß sich kaum noch „Schüler“ einfinden, macht ihn nicht wütend, es erlaubt ihm schließlich einiges mehr. Er kann sich schließlich so aufführen, als wären welche da.

Diese alte Position könnte ja gut sein, denn man dächte, daß der Journalist in frohem, aufbauendem Optimismus davon ausgeht, daß ihm noch welche zulaufen werden. Aber leider merkt man ihm an, daß ihn die Publikumslosigkeitnervt, kränkt und daß er nur deshalb nicht noch gekränkter ist, weil er sich dazu zwingt, nicht zu sehr über die Publikumslosigkeit nachzudenken.

Das hat Folgen. Es deutet sich die Haltung an, daß der Hamburger Musik-Journalist jetzt nicht mehr so darauf achtet, wie die Lage insgesamt ausschaut, sondern daß er nur noch darauf schaut, was jene machen, welche er sich zu Klassikern auserkoren hat. „Dranbleiben“ im intimitäts-terroristischen Sinn heißt jetzt die Devise.

Dieses Jahr ist klargeworden, daß ein paar Hamburger Journalisten ein paar Dinge aus den 80er Jahren mißverstanden haben. Das hat sich produktiv auf ihr Talent, beharrlich zu sein, ausgewirkt, aber es hat nicht unbedingt zu ihrer klaren Sicht beigetragen.

Kristof Schreuf