Saturday Night Fever

■ Wer in Bremen tanzen will, der kann auch tanzen: Eine äußerst unvollständige Bilanz der Discotheken der Stadt

Die Jugend scheint körperlich nicht ausgelastet. Alles will sie tanzend tun, und wenn gerade keine Discothek zugegen ist, müssen schonmal Straßen, Tiefgaragen, Züge oder stillgelegte U-Bahnschächte als Vergnügungsstätten herhalten. Bei diesem Trend zum Party-Selbermachen mußten sich Bremens Tanzschuppen im vergehenden Jahr einiges einfallen lassen, damit auch mal drinnen getanzt wurde. Noch dazu, wo neue Clubs und Konzepte 1995 aus dem Boden schossen wie selten zuvor.

Zu den Discos, die in diesem Jahr in Bremen neu eröffnet haben, gehört der „Tower“ im Herdentorsteinweg 38- 40 . Auf zwei Etagen wurden die Räumlichkeiten der vorherigen erlebnisgastronomischen Kneipe übernommen. Was sich mit grob gemauerten Wänden, gruseligen Ornamenten, Gitterstäben und Strohdächern über Theken zunächst noch etwas verkrampft originell ausnahm, etablierte sich fix als alternativ-poppige Disco und exzellenter Live-Club. Der Clou am „Tower“ allerdings ist weder eine Tanz- noch eine Konzert-Veranstaltung, sondern der sog. „e-club“. Zu jenem wird nämlich allsonntäglich die Bar über der Disco, wo DJ You Berry alias Jochen Bonz mit sanfter Hand und Ko-DJs sein Easy-Listening-Reich regiert. Die Musik ist viel zu easy zum Tanzen oder angestrengten Zuhören, aber genau richtig zum Longdrinks trinken und Salzgebäck verspeisen. Die so angefressenen Pfunde kann man ein Stockwerk tiefer wochentags wieder wegtanzen, beispielsweise zu studentenfreundlicher britischer Pop-Musik am Mittwoch und noch studentenfreundlicherer deutscher Pop-Musik am Donnerstag. Richtig zum Tottreten voll wirds aber nur am Samstag, wenn wild crossovert wird.

Crossover und Tottreten steht auch jeden zweiten Samstag im Monat im Schlachthof in der Findorffstrasse auf dem Programm. Das „Kesseltreiben“ bleibt trotz ungewöhnlich langer Tradition der Treff für alle, die unter unabhängiger Musik mehr verstehen als einen „Parental Advisory“-Sticker auf der neuen „Rage Against the Machine“-CD. Dafür, daß das auch so bleibt, sorgen alternierend die DJs Gerd Wichmann und Lars Krummlandt. Daß einige BesucherInnen inzwischen Unmut über zu hohen HipHop- und Techno-Gehalt äußern, scheint weder die Verantwortlichen noch den Großteil des restlichen Publikums zu kratzen.

Wer HipHop und Techno partout nicht abkann, geht ohnehin ins „Chagall“ in den Räumlichkeiten des ehemaligen Jazz-Kellers am Rembertiring 4, einer weiteren Neueröffnung dieses Jahres. Weil Besitzer und Gelegenheits-DJ Suhel sich mit der neuen Musik nicht recht anfreunden mag, wird bei ihm am Wochenende gerockt. Am Sonntag durchaus härter, am Freitag und Samstag gemäßigter. Hier fühlen sich aber nicht nur alte Rocker wohl, sondern vor allem auch die Grufties, die in diesem Jahr ein unerwartetes Präsenz-Comeback erlebten. Jeden Donnerstag heißt es im Chagall „Tanz der Teufel“, wenn DJane Nina Düsteres vom klassischen Depri-Wave bis moderner Minimal-Elektronik auflegt. Ins Ambiente paßt da hervorragend die Dekoration Suhels, seines Zeichens auch international ausgestellter Künstler. Seine feingliedrigen Sitzgelegenheiten aus Stahl sehen zwar aus wie Folterinstrumente, sind aber äußerst bequem.

Der „Römer“ ist ebenfalls kürzlich mit seinem „Dark Paradise“ (jeden zweiten monatlichen Samstag) auf den Zug in die Hölle aufgesprungen. Ansonsten hat man es im „Römer“, Fehrfeld 31 auf die Spaßvögel abgesehen. Was dort dienstags auf die Plattenteller kommt, stammt größtenteils aus den inzwischen nostalgisch verklärten und entschuldigten 80ern und ist von ausgesuchter Geschmacklosigkeit die aber den Gästen zu gefallen scheint .

Aus dem Backfischalter ist auch das Publikum im „Moments“ heraus. Weder der „XL“- noch der „Mix-Club“ hatten Glück mit ihren Techno/House-Programmen in den Räumlichkeiten Vor dem Steintor 65. Für das „Moments“ wurde zwar an dem flughafenähnlichen High-Tech-Design wenig geändert, aber das Konzept mit schwarzen Musickonserven am Wochenende und Jazz-Konzerten in der Woche scheint besser aufzugehen als die vorherigen Versuche, mitten im Viertel einen Edel-Club aufzuziehen.

Wer im fortgeschrittenen Alter immer noch nicht auf Jazz sondern auf House steht, macht es sich im Modernes im Neustadtswall 28 bequem, wo DJ-Institution Jan Helmerding gelegentlich zum „Tanzhaus“ bittet. Die jüngeren Techno- und House-TänzerInnen sind derweil vom „Tunnel“ ins „Tivoli“ abgewandert, wo kürzlich der wochenendliche Club aufgemacht hat, der zunächst „Freudenhaus“ hieß, was er nicht durfte, und deshalb jetzt als „Ex-Freudenhaus“ bekannt ist, bis ein neuer Name gefunden ist. Mit schwergewichtigen Promi-DJs wie Westbam kann das Etablissement protzen; da wird schonmal bis 11 Uhr morgens durchgetanzt. Andernorts wird erst um 7 Uhr morgens aufgemacht, nämlich jeden zweiten Sonntag im Monat im „Drome“ in der Eduard-Grunow-Str. 29, wenn beim „Blue Elephant Frühclub“ experimentellere House-Platten aufgelegt werden.

Probleme mit schwindendem Publikum hatte zuletzt die regelmäßige Tanznacht im Modernes, weshalb sie in diesem Jahr vorläufig eingestellt wurde. Tanznacht-DJane Christine Lang aber ließ sich nicht unterkriegen und ist unter die Party-VeranstalterInnen gegangen. Ihre unregelmäßigen „Popmania“-Parties locken von Mal zu Mal mehr Buben und Girlies ins Modernes mit vorwiegend britischer Pop-Musik.

Ralph „Von“ Richthofen, Ex-Ober-DJ der Modernes-Tanznacht, gibt sich derweil als Hansdampf in allen Gassen der schwarzen Musik. Besonders am Herzen liegt ihm seine „Love Machine“ im Scusi (Wüstestätte) , zugleich allerdings auch sein Sorgenkind. Seit die Veranstaltung auf den dritten Samstag im Monat verlegt wurde, ist der Laden zwar gerammelt voll, aber niemand will wahrhaben, daß Ralph und Ko-DJane Biljana ihre Jazz- und TripHop-Platten eher zum Zuhören als zum Tanzen auflegen. Tanzen kann man unter Ralphs Aufsicht schließlich beim „Black Market“. Am selben Ort, lediglich immer einen Samstag früher.

Andreas Neuenkirchen