„Manchmal mach' ich auch den Wessi“

Er verteilt Wollmützen, sang „Weita, weita“ und gurgelt mit Berliner Urlauten im ORB-Aquarium: Mit dem von den „Fritz!“-Hörern zur Kultfigur erkorenen Mike Lehmann alias Peter Neuber unterhielt sich  ■ Gunnar Leue

taz: Dein neuester Hit heißt „Umwälzpumpe“. Was zum Himmel soll das sein?

Peter Neuber: So ein Ding stand zum Beispiel im Heizhaus Marzahn, wo ich mal als Heizer gearbeitet habe. Wir hätten das Liedchen auch nach einem anderen schönen Ost-Wort nennen können: Kartoffelvollerntemaschine, Wandzeitungsbeauftragter oder so. Aber „Umwälzpumpe“ klingt so schön nach nichts.

Jetzt wälzt die „Umwälzpumpe“ auch die Charts und Discos um, zumindest in Brandenburg. Wie vor einem Jahr bei „Weita, weita“, einer Blödelversion von „Hyper, hyper“.

Das war doch primitiver Kaufhaus-Techno. Die „Umwälzpumpe“, die mir die Herren Pohlitz und Wendlandt (alias Sandmanns Dummis) komponiert haben, ist was völlig Neues und auch anspruchsvoller. Bißchen angegrungelt. Aber nicht wie H-Blockx oder so, sondern eher eine gesunde Synthese aus Wildecker Herzbuben, Wolf Biermann und Napalm Death.

Du bist wirklich beinharter Heavy-Rock-Freak?

Logo, ick war früher sogar Roadie bei 'ner Ost-Metal-Band, Merlin hieß die. Mit der kostete ich die DDR-Reisefreiheit aus, wir kamen bis nach Limbach-Oberfrohna.

Deine besondere Verehrung aber gilt Deep Purple. Da hattest du ja Glück, daß die Jungs sich wiedervereinigten und nach der Wende hier spielten.

Dat kannste wissen. Beim Konzert 1993 in der Deutschlandhalle hatte ick sogar irgendwie einen Backstagepaß ergattert und nach dem Act mit Roger Glover und Ian Gillan schön einen gepichelt. Det war schon 'ne feine Sache.

Hast du dein Begrüßungsgeld 1989 echt völlig in Platten investiert?

Hundertpro. Slayer, Metallica und so. Inzwischen habe ich selbst ein kleines Plattenlabel für knallharten Death-Metal, Poserslaughter Records. Das erfüllt den Sinn meines Lebens und bringt mich notfalls über die Runden.

Was ja wohl nicht nötig ist, du bist doch mittlerweile selbst ein Star. Umschwänzeln dich eigentlich auch Groupies?

Guppys, klar, im ORB-Aquarium, ständig.

Ich meine Groupies!

Nee, also, dat ist nicht so mein Fall. Ich steh' mehr auf gute Jungfrauen, denn Kritik kann ich in meinem Alter nicht mehr vertragen.

Aber sonst merkst du schon, daß du ein Star bist? Bei der 1000-Tage-Fritz-Party wurdest du von 6.000 Leuten gefeiert.

Ist schon manchmal komisch. Sogar verflossene Liebschaften melden sich wieder bei mir. Auch mein Musiklehrer wird sich wundern, hatte ich doch in der Zehnten eine Vier in dem Fach. Überhaupt gab's früher in der Schule meist wenig Begeisterung über Arbeiten, wenn die mit meinem Namen unterschrieben waren. Heute freuen sich die Leute, wenn ich mein Autogramm schreibe oder irgendwo auftrete. Ich war mal mit der Fritz- Wollmützen-Tournee in Cottbus, wo Hunderte Leute auf dem Marktplatz warteten. Als ich einen Verkäufer an der Wurstbude fragte, ob hier heute noch 'ne Band spielt, meinte der: „Die warten alle auf Mike Lehmann.“

Eigentlich bist du ja nur als Musikarchivar beim ORB beschäftigt.

Ja, ich muß da die CDs sortieren. Um den Job hatte ich mich beworben, als das Marzahner Heizwerk und damit mein Job vor dem Aus stand. Also spitze ich einige Kumpels beim Radio an, sie müßten mir unbedingt zu einem irgendwie netten Job verhelfen, und wenn's als Putze wäre. Später hörte ich von einer Ausschreibung und wurde als Assi in der Fritz-Musikredaktion Gott sei Dank angenommen. Allerdings bekam ich in den ersten Wochen einen CD-Koller vom Einsortieren der Dinger. Abends zu Hause wollte ich schon selbst auf meine eigenen CDs irgendwelche Punkte kleben.

Und wie wurdest du ORB- Fischfütterer?

Ich wurde sozusagen auf den Posten delegiert. Den Hörern hatte das Blubbern im ORB- Aquarium nicht mehr gereicht, sie fragten nach dem Fütterer. Also mußte ich den eine Woche lang spielen. Nach der Zeit wollten mich die Hörer nicht mehr gehen lassen.

Wer ist eigentlich kultiger: du oder deine Fans, die nach den Lebensweisheiten des Mike Lehmann lechzen?

Es gibt schon schräge Kunden, die einem manchmal schreiben oder einen anhauen. Die sehen in Mike Lehmann wohl auch so eine Art Schlag gegen das Establishment. Vielleicht, weil den Ossis nach der Einheit immer erklärt wurde, jetzt müßten sie ganz knallhart und superschlau tun, wenn sie's zu was bringen wollen. Und dann komm' ick mit meinen Sprüchen und hab' Erfolg.

Wie verlief eigentlich dein persönlicher Leidensweg in der DDR?

Wie alle Ossis wurde ick ständig geknechtet, u.a. als Fernmeldemonteur bei der Post, wo ich Telefone an die Wände gepopelt habe.

Nix mit Widerstand gegen das System?

Doch, doch, dauernd. Wenn FDJ-Versammlungen waren, ging ich mit meinen Kumpels immer in die Kneipe. Mal Cola-Wodka, mal Pilzsuppe. Mein Leben sollte nie monoton verlaufen. Auf Montage lief das genauso. Damit haben wir der sozialistischen Wirtschaft erheblichen Schaden zugefügt, sozusagen passiver Widerstand mit Alkohol. Durch solche mutigen Aktionen haben auch wir Heizhauswerker die Wende vorbereitet. Unser Motto hieß: mit Alkohol die DDR von innen aufweichen, damit frei für Reformen und die friedliche Revolution machen.

Die ist lange her, jetzt berauschen sich selbst die Kids an der Ostalgiewelle.

Ost-Partys am 7. Oktober find' ich schon wieder witzig. Auch wenn ich das Ostrock-Zeug eigentlich nicht länger als 'ne halbe Stunde ertragen kann. Aber das ist halt die kollektive Rache der Ossis an den Wessis, die gerne damit protzen, wie sie früher die Beatles und die Stones erlebt haben. Als Antwort erzählt der Ossi halt was von Karussell und Lift. Solange man das nicht so verbissen sieht, ist das okay.

Du nennst dich selbst eine Ostkartoffel, bist du heimlicher Liebhaber der Landwirtschaft oder schlicht bekennender Ossi?

Meine Verarsche ist offen für jeden. Wenn ich Lust habe, mache ich auch schon mal den Wessi. Als ich einmal in Köln mit dem Taxi vom Flughafen in die Stadt fuhr, wurde ich vom Fahrer gefragt, ob ich schon mal in Ostberlin drüben gewesen wäre. Klar, habe ich gesagt und dann die üblichen Sprüche abgelassen: Die sollen da erst mal arbeiten lernen und so. Das fand der richtig toll.

Apropos arbeiten: Wo bist du beim Aufstieg vom Tellerwäscher zum Millionär derzeit angelangt?

Ach, ich sag' mir: Geld ist nicht alles im Leben, es gibt auch noch andere Sachen. Zum Beispiel Zinsen.

Das wäre ein schöner Werbeslogan für eine Bank. Hast du schon Angebote als Werbeträger?

Ja, einige, aber die waren alle aus der Genußmittelindustie, logischerweise. Ich habe dankend abgelehnt, weil man ja auch an die ganz jungen Menschen denken muß. Lieber würde ich für meinen Lieblingsverein 1. FC Union Werbung machen. Aber die haben ja keine Kohle.