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■ Jubiläumstreffen der WintercamperEiszapfen für Eiserne

Lechbruck (taz) – Vor vierzig Jahren begannen 21 Verrückte – wie die Münchner Abendzeitung damals schrieb – im bayrischen Reit im Winkel mit dem Camping über Weihnachten und Silvester hinweg: freiwillig und nicht im Rahmen eines Überlebenstrainings.

Hella und Günter Bauer aus Köln sind schon seit 25 Jahren mit von der Partie. „Das erste Jahr, wo wir hier waren, war auch der kälteste Winter, den wir erlebt haben. Wir hatten minus 28, 29 Grad. Das war im Winter 70/71“, erzählt Hella Bauer. Damals verhängte das Ehepaar die Scheiben seines alten Caravans mit Teppichen, „damit die Eiszapfen innen nicht zu lang wurden“.

Für die Bauers ist das Wintercamping seither zur Leidenschaft geworden, auch wenn den bescheidenen Caravan aus den Siebzigern inzwischen ein komfortabler Wohnwagen mit Doppelverglasung und thermostatgesteuerter Heizung ersetzt hat.

In Lechbruck im Allgäu trafen sich die Wintercamper jetzt wieder mit über tausend Leidensgenossen – zur vierzigsten „Winterrallye“ des Deutschen Camping Clubs (DCC). Aus Deutschland, Holland, Frankreich, Italien, Belgien und Luxemburg kommen die Wintercamper alljährlich ins Allgäu, trotzen jedem Wetter und wissen sich auch bei Regen zu helfen. „Dann tun wir einen schlümpfen, haben wir heute vormittag auch schon getan“, sagt die quirlige Kölnerin. Hilmar, der hintersinnige Nachbar aus Bremen, verkündet, Wintercamping sei der Beitrag der „Nordlichter“ zur Völkerverständigung mit den Bayern. Jürgen aus Rosenheim meint, so ganz ohne seien diese Herrschaften von jenseits der Main-Linie ja auch nicht. „Bloß a Weißbier trinkens koans!“ Dafür scheut er nicht vor einem gelegentlichen Schluck aus der Kölsch-Flasche zurück.

Hermann Grönert, Gründungsmitglied des DCC, kommt ob dieser grenzüberschreitenden Freundschaft ins Schwärmen. „Das ist eine Freundschaft, eine Kameradschaft, die kann man in keinem Hotel erleben.“ Vor vierzig Jahren habe ihm seine Frau die Scheidung angedroht, wenn er tatsächlich über Weihnachten auf den Campingplatz verschwände. „Letztes Jahr hab' ich vorgeschlagen, daß wir mal in ein Hotel gehen könnten, Ski fahren, ausspannen. Da hat sie mir gedroht: Wenn du das machst, lass' ich mich scheiden.“

Zweiundzwanzig Millionen Übernachtungen in der Wintersaison 95/96 alleine in Deutschland zeigen, daß Weihnachtsferien auf die harte Tour boomen. „Es kommen jetzt auch langsam wieder mehr Jugendliche“, weiß Hermann Grönert. Letztes Jahr seien zwei junge Frauen mit einem winzigen Zelt aufmarschiert. „Diese beheizten Vogelkäfige sind nichts für uns“, hätten die über die Wohnwagen gesagt, um dann mit einem Geheimrezept für kalte Nächte aufzuwarten: „Lebertran, kein Schnaps!“ Das sei garstig, wo doch vor vielen Wohnwagen richtige Eisbars aufgebaut würden. Jürgen aus Rosenheim schaltet sich noch einmal ein und bedauert, daß sie überall nur Skat spielen und keinen Schafkopf klopfen. Aber er nimmt's gelassen. Die alten Geschichten erzählen die Wintercamper besonders gern: wie sie damals aus Sicherheitsgründen nachts ihre Kanonenöfen ausgehen lassen mußten und dann die Eiszapfen nach innen in die wenig komfortablen Caravans wuchsen. „Den Kindern sind vom Schwitzwasser die Haare an die Scheiben gefroren. Die Eltern mußten die am nächsten Morgen mit dem Fön wieder auftauen!“ Da fragt keiner nach, ob es damals schon den Fön im Wohnwagen gab. Schließlich sind doch alle ein klein wenig Pioniere. Klaus Wittmann

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