... und Egidius Braun wird endlich Papst

Ein vorwitziger Rückblick auf das mit großen Ereignissen und Überraschungen gespickte Sportjahr 1996  ■ Von Matti Lieske

Sierra Nevada, 9. Februar: Zwei Tage vor dem Beginn der Ski- Weltmeisterschaften läßt ein plötzlicher Wärmeeinbruch die fertig präparierten WM-Pisten komplett schmelzen. Als auch eine eilig anberaumte Wallfahrt sowie die Verbrennung mehrerer Ketzer keinen neuen Schnee bringt, tritt der Notplan des Internationalen Skiverbandes (FIS) in Kraft. Die Siegerehrungen werden wie geplant in der Sierra Nevada durchgeführt, die Rennen finden in Vail/Colorado statt. Nur der Spezialslalom wird auf Wunsch von Alberto Tomba mit stark verkürzter Kunstschneepiste in die Mailänder Scala verlegt. „30 Meter reichen völlig, um meine Überlegenheit zu demonstrieren“, meint Tomba.

Villava (Navarra), 14. Februar: Auf einer Pressekonferenz gibt der Schweizer Tony Rominger bekannt, daß er sich in diesem Jahr exakt so auf die Tour de France vorbereiten werde wie Miguel Induráin. Zu diesem Zweck habe er sich direkt neben dem Haus des Spaniers im baskischen Villava eingemietet und im Winter in einer Zürcher Detektei ein Beschattungspraktikum absolviert, damit ihn Induráin auf keinen Fall abschütteln könne.

Mailand, 20. Februar: Skandal bei der Ski-WM. Schon vor dem ersten Lauf des Spezialslaloms wird Alberto Tomba disqualifiziert, weil es der Bühnenlift der Mailänder Scala nicht schafft, ihn zum Startplatz zu transportieren. Während im Tomatenhagel der enttäuschten Tifosi der Slowene Jure Kosir nach zwei Durchgängen mit der Gesamtzeit von 2,3 Sekunden Weltmeister wird, schmunzelt Luciano Pavarotti im Publikum: „Das hätte ich Alberto sagen können.“

Roubaix, 14. April: Mit 20 Metern vor Tony Rominger gewinnt Miguel Induráin den Klassiker Paris - Roubaix. „Das ist genau der Abstand, in dem er mir zum Bäcker, zur Kirche, ins Kino und bei den Trainingsfahrten folgt“, erzählt der Spanier gutgelaunt.

Malente, 1. Juni: Kurz vor der Nominierung seines endgültigen Aufgebotes für die Fußball-Europameisterschaft stellt Bundestrainer Berti Vogts nach aufwendigen mathematischen Berechnungen fest, daß das Durchschnittsalter seines geplanten Kaders glatt unter 30 Jahre betragen würde. Voller Panik ruft er Bernd Schuster an, der sofort betont, daß er keine Ablösesumme kostet.

Frankfurt, 3. Juni: Unter Einschaltung diverser Anwaltskanzleien wird der Nationalmannschafts- Kooperationsvertrag des DFB mit Bernd Schuster unter Dach und Fach gebracht.

Atlanta, 8. Juni: Nachdem IOC- Präsident Juan Antonio Samaranch mehrfach vergeblich versucht hat, das neue Olympiastadion von Atlanta zu besichtigen, droht er dem Organisationskomitee, das ihn stets unter fadenscheinigen Vorwänden abgewimmelt hatte, damit, die Spiele 1996 nach Berlin zu verlegen. Daraufhin erhält er schließlich Zutritt, und es zeigt sich, daß die Besorgnis der Veranstalter überflüssig war. Samaranch ist begeistert von der Arena, die exakt die Form einer Coca-Cola-Flasche von 1930 aufweist. Innovationen wie die Positionierung des Marathontores in der Mitte und das Laufen von Achten statt Runden finden ebenso den Beifall des obersten Olympiers wie die Konzeption der Eröffnungsfeier, die endlich Schluß macht mit dem langweiligen Einmarsch der Nationen. Alle 10.000 Olympiateilnehmerinnen und -teilnehmer sollen statt dessen gleichzeitig in das mit Cola gefüllte Stadion springen und es innerhalb von drei Stunden leer trinken.

Manchester, 10. Juni: Bei der taktischen Besprechung am Vortag des ersten Gruppenspieles der Fußball-EM gegen Italien kommt es zum Eklat. Als Bernd Schuster ein Golfwägelchen für Wege zu Freistoßpunkten und Eckfahnen verlangt, die weiter als 20 Meter von seinem jeweiligen Aufenthaltsort entfernt liegen, platzt dem Bundestrainer der Kragen, und er schickt den bequemen Spieler nach Hause.

Manchester, 11. Juni: Im Morgengrauen wird die deutsche Mannschaft aufgrund einer einstweiligen Anordnung der Anwälte Schusters verhaftet und in Beugehaft genommen. Eine mikroskopische Überprüfung des Kooperationsvertrages in den Labors von Scotland Yard hat diverse kleingedruckte Abschnitte zum Vorschein gebracht, die nicht nur das Recht auf einen Stammplatz, die Ablehnung jeglicher Deckungs- sowie Laufarbeit und das Golfwägelchen bestätigen, sondern außerdem festlegen, daß der Vertrag, sofern er schusterseits nicht gekündigt wird, auch für die Weltmeisterschaften 1998, 2002 und 2006 gilt. Die Abfindung bei Vertragsbruch seitens des DFB ist auf 20 Millionen Mark festgelegt. Der Bundestrainer läßt sich auf einen Kompromiß ein und stellt Bernd Schuster als Torwart auf.

Vatikanstadt, 23. Juni: Besuch von Michael Schumacher beim Papst. Als Gastgeschenke bringt der Rennfahrer seinen Ferrari und ein Faß Freibier mit. Johannes Paul II. ist begeistert und startet sofort zu einer Probefahrt.

London, 30. Juni: In der 89. Minute des EM-Finales köpft Klinsmann einen Schuster-Abstoß unhaltbar ins bulgarische Tor. Deutschland ist Europameister. Die Freude der Mannschaft wird lediglich dadurch getrübt, daß aufgrund einer kleingedruckten Zusatzklausel sämtliche Siegprämien an Bernd Schuster gehen. Zum Trost bietet dieser den Spielern Reitstunden auf seinem Hof zum Sonderrabatt an.

Vatikanstadt, 3. Juli: DFB-Präsident Egidius Braun wird überraschend zum neuen Papst gewählt, exkommuniziert in seiner ersten Amtshandlung Michael Schumacher und hebt den päpstlichen Segen für die Bunte Liga Aachen auf. Neuer DFB-Chef wird nach genauer Prüfung des Kooperationsvertrages durch das Bundeskriminalamt Bernd Schuster.

New York, 10. Juli: Michael Johnson gibt seinen Entschluß bekannt, bei Olympia nicht nur über 200 und 400 Meter zu starten, sondern auch über 100 und 800 Meter sowie beim Zehnkampf, 50-km-Gehen, Tontaubenschießen und dem Dressurreiten. Um Überschneidungen zu vermeiden, beschließt das IOC, die Spiele von Atlanta um drei Wochen zu verlängern.

L'Alpe d'Huez, 13. Juli: Beim Anstieg nach L'Alpe d'Huez schlägt endlich Romingers Stunde. Gemeinsam mit Induráin liegt er weit in Führung, aber der Spanier ist erkältet und baut rapide ab, während der Schweizer vor Kraft strotzt. Alles wartet auf Romingers Angriff, doch der bleibt aus. Zwanzig Meter hinter Induráin rollt er als 37. ins Ziel. „Ich konnte einfach nicht“, sagt er anschließend, „ich habe mich so an ihn gewöhnt.“ Während Rominger die Tour aufgibt und gleichzeitig ankündigt, es im nächsten Jahr mit völlig veränderter Vorbereitung noch einmal zu versuchen, überwindet Induráin seine Schwäche und holt sich den sechsten Toursieg in Folge.

Atlanta, 20. Juli: Die Überreste des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) beschließen, daß die Spiele trotz des bedauerlichen Unglücks bei der Eröffnungsfeier am Tag zuvor, als eine Coca-Cola- Flutwelle beim Startsprung der Nationen Juan-Antonio Samaranch und die restlichen 70.000 Zuschauer hinweggerafft hatte, wie geplant stattfinden sollen. „The games must go on“, verkündet der neue IOC-Präsident Bernd Schuster.

Atlanta, 23. Juli: Großes Staunen bei der deutschen Nationalmannschaft, als sie das Parkett zum ersten Gruppenspiel des olympischen Handball-Turniers betritt. Die Tore sind waagerecht in drei Meter Höhe aufgehängt. „Ein bißchen haben wir uns schon gewundert“, sagt einer der Hallenwarte, „aber schließlich sind die Europäer ja bekannt dafür, daß sie Schwierigkeiten haben, den Korb zu treffen.“

Luxemburg, 1. August: Die nach dem Bosman-Urteil des Europäischen Gerichtshofes geäußerte Horrorvorstellung des UEFA-Generalsekretärs Aigner wird wahr. RTL kauft dem luxemburgischen Meister Jeunesse Esch eine Mannschaft zusammen, mit der der Klub die Champions League gewinnen soll. Neben den Nicht-EU-Spielern Maradona, Romario und Stoitschkow werden unter anderem Stars wie Kluivert, Bergkamp, Basler, Maldini, Klinsmann, Baggio, Baresi und Gascoigne verpflichtet. Trainer ist Jupp Derwall.

Atlanta, 23. August: Knapp mißlingt Michael Johnson der Versuch, mit acht gewonnenen Goldmedaillen einen neuen olympischen Rekord aufzustellen. Bei der Dressur reicht es nur zu Silber, weil sein Pferd „Spitz“ im Endspurt der Piaffe auf die Bahnbegrenzung tritt. Ein eilig gestellter Antrag von Johnson, noch schnell beim Turmspringen mitwirken zu dürfen, wird vom IOC abgelehnt. „Wir lassen uns von diesem Herrn und seinem Sponsor doch nicht auf der Nase herumtanzen“, sagt ein Sprecher.

Atlanta, 25. August: Ein Vertreter der Coca-Cola Company erklärt, daß sein Unternehmen mit dem Verlauf der Olympischen Spiele hoch zufrieden sei. Die Verkaufszahlen seien weltweit enorm gestiegen: „Benetton kann sich bei uns eine Scheibe abschneiden.“ Unter diesen Umständen könne man den Flop der Schlußfeier leicht verschmerzen. Zu dieser Veranstaltung war kein einziger Zuschauer oder Sportler erschienen, das Unternehmen mußte seine Cola-Kanonen, Kohlensäurewerfer und Kronkorkengewehre unverrichteterdinge abbauen.

Luxemburg, 21. August: Jeunesse Esch scheidet in der Qualifikation der Champions League gegen Apollon Limassol aus. „Vielleicht hätten wir doch darauf verzichten sollen, der Konkurrenz auch noch David Letterman, Jay Leno, Sabine Christiansen, Rudi Carrell und Hans-Joachim Kulenkampff abzujagen“, übt Helmut Thoma (RTL) leise Selbstkritik.

Hannover, 12. November: Einen Tag nachdem sie ihre Auftaktmatchs beim ATP-Finale verpaßt haben und aus dem Turnier ausgeschieden sind, treffen Andre Agassi und Pete Sampras völlig übernächtigt in der Hannoveraner Messehalle ein. „Wir haben die verdammte Stadt einfach nicht gefunden“, erklärt ein stoppelbärtiger Agassi.

Las Vegas, 7. Dezember: Axel Schulz, der sich im Januar unter die Fittiche von Don King begeben hat, gewinnt nach seinen Siegen gegen Frans Botha, Bruce Seldon und Mike Tyson auch gegen Riddick Bowe und wird alleiniger Schwergewichtsweltmeister. Obwohl er in Las Vegas bereits nach 30 Sekunden der ersten Runde zu Boden geht und erst eine halbe Stunde später wieder aufwacht, ist das Urteil einstimmig. Alle drei Punktrichter und sämtliche deutschen Fernsehkommentatoren haben Schulz klar vorn gesehen.