Heteiras: Liebesarbeit „für König und Adel“

■ In Madrid baut ein Hurenkollektiv ein Netzwerk zur Verteidigung der Rechte der Sexarbeiterinnen Spaniens auf. Ziel ist die Gründung einer eigenen Gewerkschaft

Gleich hinter den Fassaden des Madrider Luxusboulevards Gran Via liegt die Desengaro, die „Straße der Enttäuschung“. So heißen die 200 Meter Pflaster, auf denen sich über 50 Frauen ihr Geld verdienen. Eine von ihnen ist Puri, 36 Jahre, zwei Kinder. „Ich habe in meinen 17 Berufsjahren überall gearbeitet. In Nobelclubs vor der Stadt, in luxuriösen Bordellen und jetzt hier auf der Straße.“ Heute bevorzugt sie dieses Ambiente, in der Desengaro gehe es fast schon familiär zu: keine lästigen Zuhälter und keine Zimmermieten. Puri teilt sich mit ein paar anderen Frauen eine Wohnung. Jeder kennt sie hier. Sie gehört zu den Vorkämpferinnen für die Rechte der Prostituierten.

„Seit zehn Jahren bin ich überall dabei, wo sich etwas regt“, sagt Puri. Der erste Anstoß zur Organisierung ging von Sozialarbeitern und Ärzten aus. Das wurde Puri schnell zu fürsorglich. „Die wollten auf uns bessernd einwirken“, erinnert sie sich. Beeinflußt von den Hurenprojekten in Italien begann sie mit anderen Frauen das „Kollektiv zur Verteidigung der Rechte der Prostituierten“ aufzubauen.

Das Kollektiv fordert vor allem das Recht auf Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung. Die Frauen sind es leid, sich als Haushaltshilfen mit fingierten Verträgen in die Sozialversicherung einschleichen zu müssen. „Wenn unsere Arbeit schon als das älteste Gewerbe der Welt gilt, wird es Zeit, daß man uns anerkennt“, meint Puri. „Wir haben die Doppelmoral der Gesellschaft satt.“

Kurse über den Schutz vor Aids und der Kampf gegen die Pläne der Stadtverwaltung, einen Rotlichtbezirk einzurichten, haben zur Popularität des Kollektivs beigetragen. „Wir wollen uns nicht in ein Ghetto pferchen lassen wie in vielen nordeuropäischen Städten“, meint Puri. Bisher ist die Prostitution im ganzen Stadtgebiet erlaubt.

Beim Thema Aids ist sie zuversichtlich: „Wir verteilen kostenlos Präservative“, das zeige Wirkung: Heute arbeite niemand mehr ohne. Inzwischen versucht das Kollektiv, auch bei den Preisen die Huren unter einen Hut zu bekommen. Damit soll verhindert werden, daß manche Frauen zu Dumpingpreisen arbeiten. „Nur so können wir bei sinkender Nachfrage die Preise halten“, sagt Puri. Vor einem Jahr hat das Kollektiv eine Wohnung angemietet, wo die Frauen von der Straße die Möglichkeit haben, sich bei einer Tasse Kaffee auszuruhen. Einmal in der Woche gibt es eine kostenlose Rechtsberatung. Das Zentrum heißt „Heteira“. So wurden im antiken Griechenland die Liebesdienerinnen genannt. „Das war damals kein minderwertiger Beruf“, sagt Puri. „Die Heteiras arbeiteten für König und Adel.“ Bis zu einer solchen gesellschaftlichen Stellung ist es noch ein weiter Weg für die Frauen von der Straße der Enttäuschung. Ihr Nahziel ist es, das Kollektiv über Madrid hinaus auszudehnen, um schließlich eine Gewerkschaft zu gründen. Reiner Wandler, Madrid