Hai-ii-mat! Wir lii-hieben dich

■ Warum, fragt sich Klaus Bednarz, ist Ostpreußen immer noch so kaputt

Klaus Bednarz, dem bekannten Fernsehjournalisten mit dem blauen Pullover („Monitor“), ist ein neues Werk gelungen: der Sehnsuchtsschmöker „Fernes nahes Land. Begegnungen in Ostpreußen“. Der Meister der Imagination versetzt uns an einen tiefblauen See. Wellen schlagen plätschernd an einen schwankenden Kahn, und Bednarz, die teuren Kameras stets im Blick, breitet die Arme aus: „Hai-mat“, hebt er mit tiefer, volltönender Stimme an. Wir hören dunkle Wälder rauschen. „Hai-ii-mat.“ Kormorane streichen sirrend über wogende Kornfelder. „Wo bi-hii-st du?“ Die Sonne geht unter, und ein starker Bauer pflügt das Land.

Knapp 50 Jahre nach seiner Vertreibung aus Ostpreußen kehrt Bednarz ins „Land seiner Väter“ zurück (Klappentext). Was er vorfindet, ist ein „heruntergekommenes Land“ (O-Ton Bednarz). Das filmt er dann auch. Außerdem die Leute, mit denen er Interviews führt. Das gelingt ihm auch gut. Aber dummerweise muß er darüber auch noch ein Buch schreiben. Wer noch nie in Ostpreußen war, erfährt jetzt dank Bednarz, daß die neuen Einheimischen in Masuren, Ermland, in Königsberg und Umgebung durchaus diffenziert über die Deutschen denken: Einige mögen sie, andere nicht.

Und auch die meisten Heimwehtouristen aus Deutschland trauern zwar noch immer der guten alten Zeit bis 1945 nach, doch ihre Ressentiments gegenüber Polen und Russen haben sie weitgehend abgebaut. Der Geruch von Friede, Freude und Königsberger Klopsen durchzieht das ganze Buch. Ach Klaus! Im „fernen nahen Land“, das Bednarz durchstreift wie ein reicher Onkel, der rechtzeitig emigrierte, gibt es zwar eine hohe Arbeitslosigkeit, aber keine Mafia. Wie hat er das bloß gemacht, so schön danebenzuschauen. Anderes sieht er dafür schärfer.

So gibt es gibt viele zerstörte evangelische Kirchen, aber keine katholischen oder russisch-orthodoxen Prozessionen. Es gibt deutsche Schwachköpfe, die das Königsberger Gebiet regermanisieren wollen, aber keine polnischen Skinheads, die regelmäßig zum Hitlerbunker, der Wolfsschanze, pilgern und dort schon mal eine deutsche und israelische Flagge verbrennen. Bednarz' Sympathie gehört eindeutig den Deutschen, die in Ostpreußen ihre alte Heimat verloren haben und nun – nach 50 Jahren – auch großzügig darauf verzichten können. Marion Gräfin Dönhoff möge unser aller Beispiel sein! Aber es ist auch schön, daß sich allmählich die Polen und Russen in diesem Gebiet heimisch fühlen. Nur schade, daß die vielen Herrenhäuser, die prächtigen Gestüte und die ausgeklügelten Bewässerungssysteme aus der Zeit vor 1945 so kaputt sind.

Bednarz kann das gar nicht verstehen. Wieso sieht hier alles noch so gammelig aus? 50 Jahre waren doch eigentlich genug Zeit, um die Trümmer des Zweiten Weltkriegs wegzuräumen und wieder ein bißchen Ordnung zu schaffen.

Der unermüdliche Bednarz treibt einen Experten auf, hält ihm das Mikrofon unter die Nase und fragt ihn geradeheraus: „Wieso sieht es hier so aus?“ Der Professor, einer „der hervorragendsten Köpfe der Kaliningrader Universität“, gibt zu, daß er über diese Frage auch schon sehr lange nachgedacht hat. „Die Nachkriegsgeschichte des Königsberger Gebiets“, so der Professor, „stand unter dem massiven Druck einer alles beherrschenden Energie des Todes und der Zerstörung.“ Jetzt aber habe sich alles geändert. „Mit dieser Region sind die ganz konkreten und lebendigen Schicksale von Menschen verknüpft.“ Bednarz nickt voller Verständnis, so, als habe er noch niemals gehört, daß es eine politische Absicht des Regimes war, die Neuansiedler keine Identität entwickeln zu lassen.

„Wenn man sich von der Diktatur des Gewissens leiten läßt“, so der Professor weiter, „kann die Logik dieser Region nur eine binationale oder bikulturelle Logik sein, eine Logik zur Schaffung gemeinsamer Lebensformen.“ Bednarz versteht nun endlich, nimmt die Notenblätter zur „Logik der Versöhnung“ in die Hand, führt den Professor zum Kahn. Ein Tag ist zu Ende und ein Buch auch. Weithin schallt ein deutsch-russisches Duett über den See: „Ha-ii-mat! Wir lii-hie-ben dich.“ Kleiner Tip am Rande: Kaufen Sie sich lieber die Videos. Da sieht man mehr. Und die Musik ist auch besser. Gabriele Lesser

Klaus Bednarz: Fernes nahes Land. Begegnungen in Ostpreußen, Hoffmann und Campe, Hamburg 1995, 383 S., 39,80 DM