Ein Dauerprovisorium regiert Italien

■ „Übergangs“-Regierungschef Dini tritt ab und gleich wieder an. Europa atmet auf

Rom (taz) – Wie versprochen ist Italiens Ministerpräsident Lamberto Dini zu Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro gefahren, hat die „Erledigung aller mir gesetzten Aufgaben“ verkündet und seinen Rücktritt angeboten. Und wie befürchtet hat Scalfaro diesen Rücktritt abgelehnt und den Regierungschef zurück ins Parlament geschickt, wo nun spätestens Mitte Januar eine Debatte über Italiens Zukunftsperspektiven stattfinden soll.

Hintergrund des Schrittes: Scalfaro und Dini möchten auf jeden Fall Regierungsumbildungen und Neuwahlen während der am 1. Januar begonnenen halbjährigen Präsidentschaft Italiens in der Europäischen Union vermeiden. Derlei Instabilität könnte die europäischen Partner irritieren, zumal sich in Italien immer mehr antieuropäische Strömungen breitmachen. Tatsächlich sucht Scalfaro – und der einstige Notenbankchef Dini, der mittlerweile Geschmack an der Politik gefunden hat, folgt ihm gerne – vor allem Zeit zu gewinnen: Seit sich die fast 50 Jahre regierende oder mitregierende christdemokratische Partei aufgelöst hat, fehlt dem erzkonservativen Katholiken eine Gruppierung, die seinem Weltbild entspricht.

Zwar gibt es Anzeichen, daß sich zwischen dem Rechtsblock um Silvio Berlusconi und der Linksallianz um die exkommunistische PDS eine neue „Kraft der Mitte“ herausbildet: Christlich-demokratisches Zentrum, Unierte Christdemokraten und Volkspartei wollen die alte „Democrazia Cristiana“ wiederauferstehen lassen. Dafür braucht es aber noch Zeit. So kommt Scalfaro die EU-Präsidentschaft gerade recht, den längst abgelaufenen Auftrag für Dinis Technokratenadministration erneut zu verlängern.

In den EU-Regierungszentren herrscht Erleichterung: Dini gilt, zusammen mit seiner Außenministerin Susanna Agnelli aus der Fiat-Dynastie, als eines der wenigen verbliebenen Exemplare hundertprozentiger Europabegeisterung in Italien. Er wird Maastricht nicht zur Neuverhandlung stellen und sich sogar bemühen, den Vertrag zu erfüllen, sofern ihm die anderen Europäer eine kleine Hoffnung auf Zulassung zur Währungsunion gewähren. Werner Raith Kommentar Seite 10