Keine Chance für eigene Bildentwürfe

■ In Afrika wird die kulturelle Dominanz von außen immer stärker. Den Ländern fehlt neben Geld vor allem eine jeweils nationale Filmpolitik – zum Gegenhalten

Aus eigener Kraft ein Filmbudget aufzustellen, fehlt mir die materielle Macht. Aber immerhin kann ich in den USA von einer starken Position innerhalb der afroamerikanischen Community aus verhandeln. In einem Dritte-Welt-Land geboren zu sein ist ein trauriges Schicksal. Man hat soviel zu sagen und sowenig Mittel, es zu tun.

Die wenigsten afrikanischen Länder haben eine nationale Filmpolitik. Die Faustregel heißt: Je unterdrückter das Kino, desto besser für die Herrschenden. In Südafrika bezeichnet man Filme als eine Art „neue Wasserstoffbombe“: Wirf amerikanische Filme per Satellit auf ein Dorf, und du bringst es zur Explosion. Die kulturelle Dominanz von außen ist so stark, daß lokale, indigene Bildentwürfe keine Chance mehr haben.

In den frankophonen Teilen Afrikas folgen Filmemacher einer europäischen Vorstellung von afrikanischem Kino – das ist auch eine Art von Zensur. Statt einen persönlichen Film über meine Großmutter zu machen, frage ich mich also: „Was wollen wohl die Franzosen? Etwas Exotisches am besten!“ Es müßte eine jeweils nationale Filmpolitik geben, die den Filmemachern hilft, ein Gedächtnis ihres Landes aufzubauen.

In Ghana, Mosambik und Äthiopien versuchen Filmemacher, ihre eigenen Projekte auf Video zu realisieren; ihnen wäre jedes Instrument recht, ihre Identität und ihre Wurzeln zu stärken. Die Resultate sind vielfach sehr überzeugend – insbesondere wenn die Filmemacher ihre Einflußmöglichkeiten auf die Gesellschaft entdecken –, selbst wenn diese Videos oft nichts anderes sind als eine Art „Dallas“, mit ein bißchen afrikanischer Hexerei gewürzt.

Probleme mit „zu schwarzen“ Filmen

In den USA ist die Sklaverei bis heute ein höchst sensibles Thema. Sobald ich mich um Gelder für die Produktion von „Sankofa“ (1993) zu bemühen begann, war ich plötzlich ein Niemand. Ich war in verbotene Gewässer geraten, kein Mensch wollte mir Geld geben. Plötzlich wurde Zensur zur Realität; selbst die Institutionen, deren Aufgabe die Förderung und Entwicklung kultureller Projekte ist, schlugen mir die Türen vor der Nase zu.

Ich hörte: „Sie kommen zu spät, die Gelder für dieses Jahr sind schon alle weg.“ Oder: „Sie kommen zu früh...“ Keiner gab zu, daß das Thema das Problem war. Die Presse hat ziemlich ähnlich reagiert. Auf den Berliner Filmfestspielen hat sich kaum einer mit „Sankofa“ befaßt, obwohl es dort im Wettbewerb mit den Big-budget-Filmen lief – Zensur durch Ignoranz. Wir gingen auf die Festivals nach Montreal und Toronto, wo man uns einfach überging und uns nicht einmal anhörte. Alle meinten, wir wären erledigt.

Aber es kam anders. In Washington DC wurde der Film in einem Kino uraufgeführt, das in der Regel keine Premieren hat. Kein großer Vertrieb wollte uns auch nur mit der Kneifzange anfassen (einer argumentierte, der Film sei „zu schwarz“!). So luden wir 20 schwarze Aktivisten ein – der Rest ist Geschichte. Der Film war bei den Schwarzen im ganzen Land ein Riesenerfolg. In New York lief er im „Cineplex“, und damit hatten wir die Produktionskosten raus. Zur Zeit bereiten wir den Videovertrieb per Mailorder vor: Wir werden die Verkäuflichkeit des Films beweisen. Über 50.000 Interessenten aus allen möglichen Städten haben den Film schon bestellt.

Viele Afroamerikaner und Chicanos können in den USA ihre Filme nicht realisieren, weil ihre Vorstellungen nicht denen der weißen Produzenten entsprechen. Deshalb gibt es immer mehr unabhängige schwarze Filmemacher, die es mit Hollywood versuchen und ziemlich bizarre „Hau-drauf“- Filme machen. Die Schwarzen respektieren Spike Lee vor allem deshalb, weil er clever genug ist, in dieser Megafilmwelt zu funktionieren. Außerdem holt er viele schwarze Talente in seine Produktionen. Wir sehen, wie Spike einen permanenten Drahtseilakt vollführt, um etwas Besseres und Ernsthafteres hinzukriegen. Er befindet sich gerade in einem kritischen Stadium, und wir warten ab, was er als nächstes macht.

Busseweise kamen Schulklassen und Kirchengemeinden in die Kinos, um „Sankofa“ zu sehen. Es gibt einen großen kulturellen Hunger auf andere Filmen. Die meisten schwarzen Filme zeigen Schwarze als ziemlich bizarre Gestalten, hoffnungslos freakig, und das ist auf die Dauer einfach nicht akzeptabel. Diese kommerziellen Produktionen lassen das Publikum unbefriedigt und sogar demoralisiert zurück: „Ist das alles, was wir können?“ Kirchenleute beklagen, daß die Romantisierung von Glamour und Gewalt, die in der Regel im schwarzen Mainstreamkino vorherrscht, allmählich zu den Leuten durchdringt und sie beeinflußt. Solange Hollywood seine eigenen Vorstellungen vom schwarzen Kino aufrechterhält und dementsprechende Filme auswählt und produziert, wird dieser Widerspruch nicht aufzuheben sein.

Südafrika als mögliche Filmbasis

„Sankofa“ ist vielleicht wirklich ein Meilenstein in der Verbindung von afrikanischem und afroamerikanischem Kino. Zum ersten Mal haben überdies zwei afrikanische Länder, Ghana und Burkina Faso, gemeinsam an einem Film über Sklaverei gearbeitet. Aber afrikanisches Kino ist manchmal ein wirklich deprimierendes Thema. Selbst jemand wie Ousmane Sembene, der Vater des sozial engagierten afrikanischen Films, hat zwischen seinen Filmen Wartezeiten von 10, 15 Jahren. Allein in Äthiopien kenne ich 20 Filmemacher, denen seit fünf Jahren kein einziges Filmprojekt gelungen ist. Sie haben das deutliche Gefühl, daß die ganze Welt gegen sie ist. Und trotzdem geben sie nicht auf.

Unglaublich wichtig für ganz Afrika ist jetzt Südafrika. Dort gibt es sowohl Technik als auch eine Infrastruktur. Aber das könnte auch eine zweischneidige Sache sein: Südafrika könnte zum Sprungbrett für die USA und den Rest der Welt werden. Wenn man es also nur sehr geschickt dazu benutzt, Hollywoodfilme und Videos vom Kap bis nach Nordafrika in den Kontinent zu pumpen, wäre das wirklich beängstigend. Aber wenn Südafrika sein eigenes Kino entwickelt und eine zugängliche Basis für Filmemacher aus ganz Afrika schafft – vor allem für Länder, die selbst über keine Technik verfügen –, dann wird uns das allen zugute kommen. Südafrika ist auch in dieser Beziehung am Scheideweg. Haile Gerima

Haile Gerima verließ Äthiopien 1967 und ging in die USA. Er ist heute Professor für Film an der Howard University, Washington, und gilt seit seinem Film „3.000 Years“ (1967) als radikaler Exponent eines afrikanischen und Dritte-Welt-Kinos.