Ziemlich verwässert oder völlig ruiniert

Ein Parkhauskettenbesitzer, der plötzlich 200.000 Dollar in einen Low-budget-Film stecken will, kann genauso nervig und profitorientiert sein wie ein ganzer Saal voller Studiomanager. Wie schafft man es, unabhängig zu bleiben?  ■ Von John Sayles

Alles, was innerhalb des US- amerikanischen Mainstreamkinos, aber außerhalb der großen Studios – Fox, Warners, Universal, MGM-UA, Sony-Tristar, Disney, Columbia und Paramount – produziert und verliehen wird, gilt als „unabhängig“. Selbst wenn Arnold Schwarzenegger mitspielte und der Film 80 Millionen Dollar gekostet hätte: Nach den Maßstäben der Filmzeitschrift Variety wäre er unabhängig – von der Studiomaschinerie nämlich.

Als wir in den späten Siebzigern, frühen Achtzigern anfingen, Filme zu drehen, gab es auch beim „Independent Feature Project“ die Tendenz, unabhängige Filme inhaltlich zu definieren, das heißt, sie irgendwie von Porno-, Kung-Fu-, Horror- und anderen sogenannten „Exploitation“-Filmen abzugrenzen. In den letzten sechs oder sieben Jahren bewegten sich die auf Festivals und in entsprechenden Kunstkreisen erfolgreichsten Filme eindeutig innerhalb oder an der Grenze solcher Genres, sie arbeiteten auch mit Schauspielern, die durch Studiofilme berühmt geworden sind – weshalb man diese Abgrenzungsversuche ließ. Angesichts „unabhängiger“ Filme wie „Zimmer mit Aussicht“ (James Ivory) oder „Im tiefen Tal der Superhexen“ (Russ Meyer) interessiert mich deshalb mehr der Geist, in dem sie gemacht wurden, als die finanziellen Mechanismen, mit denen sie produziert und verliehen werden.

Geld verdienen statt Geschichten erzählen

Marketing spielt in der Filmindustrie, wie in jedem anderen Massengeschäft in den USA, eine überragende Rolle. Die großen Studios organisieren ständig Testvorführungen ihrer Filme, und zwar nicht nur zur Entwicklung einer Verkaufsstrategie, sondern auch für den „letzten Schliff“: Man entscheidet über Schnitte, ändert das Filmende oder dreht es neu – je nachdem, wie das Testpublikum reagiert hat. Und selbst ohne Marketingtests wird viel Energie in die Frage investiert, wie man bestimmte Zielgruppen zufriedenstellen kann, worum es gehen darf, was zu kontrovers ist, was sexy genug für Männer und kleine Jungs ist und doch ungefährlich genug, um freigegeben zu werden. Innerhalb dieser Grenzen werden durchaus sehr gute Filme produziert, und nicht wenige davon sind kommerzielle Erfolge. Aber es geht dabei immer in erster Linie ums Geldverdienen und nicht darum, eine Geschichte zu erzählen. Viele gute Filme werden aus finanziellen Gründen verwässert oder völlig ruiniert – und das nur, weil die Geldgeber diese oder jene Vermutung darüber anstellen, was sich verkauft und was nicht.

Die andere Möglichkeit, einen Film zu machen, ist, mit der Geschichte anzufangen, die man im Kopf hat, und dann alles Menschenmögliche zu tun, um ihn ohne Qualitätskompromisse zu realisieren. Das Genre, ob die Produktion von einem Studio übernommen wird – all das ist völlig egal. Die entscheidende Triebkraft ist der Wunsch, eine Geschichte so gut wie möglich zu erzählen. Jede Entscheidung – Schaupieler, Drehort, Musik, Schnitt – richtet sich nach dem Kriterium, die Geschichte maximal auszuloten, um damit zu unterhalten, aufzuklären, zu erschrecken oder was auch immer. Man arbeitet also mit der impliziten Überzeugung, daß ein guter Film auch ein Publikum findet. Irgendein Typ, dem eine Parkhauskette gehört und der plötzlich 200.000 Dollar in einen Low-budget-Film stecken will, kann mindestens genauso nervig und profitorientiert sein wie ein ganzer Saal voller Studiomanager – und zudem hat er noch wesentlich weniger Ahnung.

Viele Filme bewegen sich natürlich irgendwo in der Mitte zwischen diesen Extremen. Da gibt es all diese Produzenten, Drehbuchschreiber und Regisseure, die an eine bestimmte Story glauben und bereit sind, dafür auch zu kämpfen. Aber sie können sie nicht finanzieren, ohne ein bestimmtes Maß an Kontrolle über das Produkt aufzugeben. Die Kompromisse, die sie machen müssen, reichen dabei von nahezu nur kosmetischen Korrekturen bis zu Situationen, die mit der berühmten amerikanischen Sentenz beschrieben werden können: „Um das Dorf zu retten, mußten wir es zerstören.“

Man fängt in Hollywood immer mit vielen Kompromissen an und hofft, irgendwann den großen Hit zu landen, der einem ermöglicht, beim nächstenmal mit größerer Freiheit zu arbeiten. Einige wenige kriegen das hin, andere werden zu denen, vor denen sie sich selbst früher geschüttelt haben. Und die meisten kämpfen vor sich hin, wie man das überall im Leben so macht: nämlich möglichst das Beste aus einer schwierigen Situation zu machen, mal kompromißlos, dann wieder zum Einlenken bereit.

„Falsches Geld“ einfach ausschlagen

Wie bleibt man also unabhängig? Wir haben bisher zehn Filme gemacht, und die Kompromisse, die ich jeweils habe machen müssen, waren eher ökonomische als ästhetische. Ich habe neben meiner Arbeit als Regisseur noch eine andere Einkommensquelle, schreibe Drehbücher für andere, die ihre Geschichte erzählen wollen, und werde dafür gut bezahlt. Bei etwa der Hälfte unserer Filme war ich der Hauptinvestor – manchmal der einzige. Ich zahle mir weder etwas für die Regie noch den Schnitt, sondern nur fürs Drehbuch und auch da nur das gewerkschaftliche Mindestgehalt. Ich habe keine Kinder und auch keinen besonders luxuriösen Lebensstandard, das heißt, ich war in der Lage und bereit, mein gesamtes Einkommen jeweils für ein Projekt einzusetzen. Manchmal hab' ich das Geld wieder rausgekriegt, häufiger jedoch nicht. Und ich gehöre auch nicht zu New Yorks oder Hollywoods Filmwelt, wo sich das Lebensgefühl unweigerlich aus den Wochenendeinnahmen der Kinos und den montäglich veröffentlichten Einschaltquoten des Fernsehens speist.

Wir sind mit jedem Versuch besser darin geworden, ein relativ gut aussehendes Produkt mit wenig Geld zu produzieren. Und weil wir die alleinige Kontrolle über den Film haben, arbeiten Schauspieler auch gern für weniger als ihre üblichen Gagen; für sie besteht die Attraktivität darin, daß sie mit mir persönlich zu tun haben und nicht mit einem Managerausschuß oder einer Marktforschungsgruppe. Außerdem sind wir immer bereit, „falsches Geld“ auszuschlagen. Sobald ein Investor mehr Kontrolle erwartet, mehr Einflußnahme, als man ihm zugestehen will, muß man bereit sein, von vorn anzufangen und nach anderen Finanzquellen zu suchen.

Wenn wir unsere Geldgeber schließlich gefunden haben, werden die Probleme der künstlerischen Leitung explizit geregelt. Mit einigen Investoren hatten wir zwar ziemlich stürmische Beziehungen, aber wir haben nie die Kontrolle über unsere Geschichte verloren. Außerdem versuchen wir, mit dem Geld und den Erwartungen unserer Investoren verantwortlich umzugehen. Das ist genauso, wie einen Campingplatz einigermaßen sauber zu hinterlassen: Wir wollen, daß unsere Investoren das Risiko kennen und sich nicht betrogen fühlen, wenn der Film keine großartigen Profite bringt. Wir haben uns damit abgefunden, daß Gratifikationen nicht immer sofort zu erwarten sind. Bei meinem Film „Matewan“ hat es zum Beispiel acht Jahre gedauert, bei „Eight Men Out“ sogar elf.

Selbstzensur und halbherzige Verleihe

Kein einziger unserer Filme wurde in der Reihenfolge gedreht, in der ich die Drehbücher geschrieben hatte. Das ist oft sehr entnervend und deprimierend, andererseits wird dann einfach auch klar, ob man diesen Film wirklich und wahrhaftig machen will. Es geht nicht darum, „Regisseur zu sein“ – was etwas vollkommen anderes ist –, sondern diese bestimmte Geschichte zu erzählen, und zwar so, wie du es willst und so gut es geht. Wenn dir nämlich einer einen Batzen Geld vor die Nase hält, aber einen deiner Meinung nach falschen Schauspieler für die Hauptrolle will, dann überlegst du nicht lange, sondern sagst am besten gleich: Nein danke!

Bisher hatten wir keinen Kassenschlager, der unser nächstes Projekt hätte finanzieren können. Aber all unsere Filme kamen in einen Verleih, mal effizient, mal eher halbherzig. Mehr als die Hälfte unseres Filmpublikums sieht unsere Arbeiten auf Video, und in einigen Staaten ist nicht eine einzige öffentliche Vorführung zustande gekommen. Wir machen die Filme nicht etwa „nur für unsere Freunde“, denn keiner von uns hat eine Million Freunde, aber unsere Zielgruppe ist demographisch auch nicht gerade die größte Gruppe aller amerikanischen Kinogänger.

Zensur durch Ökonomie ist in den USA sehr viel stärker als Zensur per Gesetz. Trotzdem beschränken sich viele Studios – auch was sexuelle Szenen angeht, weil viele große Lokalzeitungen und Fernsehsender keine Werbung für solche Filme machen, und man geht davon aus, daß man ohne breite Werbung in den Massenmedien keine wirklich nennenswerten Profite einspielen kann. Hier setzt Selbstzensur aus wirtschaftlichen Motiven an.

Ich kann massenweise Studiositzungen aufzählen, in denen weibliche Filmcharaktere als „zu hart“ bezeichnet wurden, nur weil sie Intelligenz oder Stärke zeigen durften. Wenn man Studioleiter persönlich darauf anspricht, sagen sie immer, sie hätten selbst keinerlei Probleme damit, nur sei das allgemeine Publikum auf diese Qualitäten nun mal nicht scharf.

Wir haben viel Glück gehabt. Filme sind in der Produktion ungemein teuer, und ihr Verleih ist eine komplizierte Sache. Es gibt tatsächlich keine Möglichkeit, Filme zu machen, die in mehr als einer Handvoll kommerzieller Kinos gezeigt werden, und dabei unabhängig von der Maschinerie der Mainstream-Filmindustrie zu bleiben. Aber man muß deswegen auch nicht deren Werte übernehmen. Wer genau weiß, daß es ihm wirklich um die Arbeit selbst geht und nicht um die Geld- und Glitzerwelt, der kann sich darauf konzentrieren, Geschichten in Filme umzusetzen, die von einem unabhängigen Geist geprägt sind.

John Sayles, Schauspieler, Drehbuchautor und Regissseur, lebt in Hoboken, New Jersey.