: „Schlauer als der Klauer ist der Detektiv“
Im Schutze der Dunkelheit legt er seine Fallen: die Kamera, das Tonband, das Silbernitrat. Er ist ein Spitzel, ein Schnüffler, ein Sicherheitsexperte. Seine Methoden sind oft illegal – aber effektiv ■ Von Helmut Kuhn
Im Radio blasen die Original Egerländer in den guten Morgen. Der Mann hebt den Arm und sieht aufs Handgelenk. 5.15 Uhr, digital. Mürrisch guckt er aus dem Fenster seines Wagens in die kalte Dunkelheit, hinüber zu einer Böschung an der Bundesstraße 17. Ortseingang zu Landsberg am Lech. Dort schlängelt sich ein kleiner Weg hinauf zum Flüchtlingswohnheim. Bald muß einer von dort herunterkommen.
Da saust jemand auf dem Fahrrad den Berg hinunter. „Der nicht“, sagt der Mann, der jetzt schlagartig wach wird. „Die mit den Fahrrädern dürfen arbeiten. Da werden halt auch Ausnahmen gemacht.“ Die mit den Fahrrädern sind so etwas wie Privilegierte. Am Zustand der Räder, milde Gaben der Landsberger Bürger, zeigt sich der Rang. Es ist ein Zehngangrad. Wer eines bekommt, entscheidet die Heimleitung. An Bayerns „Romantischer Straße“ gibt's Zuckerbrot und Peitsche für Asylbewerber: Wer laut ist, durch Alkohol, Drogen oder Diebstahl auffällt, wird abgeschoben. In irgendein Wohnheim in Bayerisch-Sibirien. Oder schlimmer noch, meint der Mann, nach Ostdeutschland.
Der Mann heißt Thaddäus Chmiel, ist 42 und seit 23 Jahren Spion, Spitzel, Schnüffler und Sicherheitsexperte. Er ist mittelgroß, nicht besonders kräftig und trägt eine mausgraue Hose, Pullover, Fliegerjacke. Er hat einen tschechischen Namen, aber er ist Landsberger in dritter Generation und spricht leichte Mundart. „Schmiel“, wie er sich selbst gern in der dritten Person nennt, hat große, dunkle Augen, feine Ohren, schmale Lippen unter einem dünnen Bart. Er sieht aus wie Omar Sharif als Schiwago im Hollywood- Epos. Er hat aber auch etwas von „SmeÛgol“, dem verschlagenen Kriechwesen aus dem Herrn der Ringe und von „Schlemihl“, dem polnischen Bombenleger, der die Nazis narrte und nie gefaßt wurde.
Der Job des Privatdetektivs an diesem Morgen ist leicht. Chmiel hat Maulwürfe. Fünf seiner rund 100 Wachleute sind im Flüchtlingsheim beschäftigt. Als Hausmeister, Elektriker und Pförtner sorgen sie rund um die Uhr für Ordnung. An der Schranke kontrollieren sie Namen, Uhrzeiten, Ein- und Ausgänge. „Das ist eigentlich illegal“, sagt Chmiel, „aber effektiv. Wenn die Polizei wegen eines Diebstahls an der Tankstelle anruft, weiß ich sofort, wer in Frage kommt.“ Das mag die Polizei.
Im Radio läuft eine Heimatgeschichte, aber dafür hat er jetzt kein Ohr. „500 Asylanten, das ist ein schon Dorf für sich. Die müssen erst lernen, daß hier nicht das Faustrecht herrscht.“ An die 1.000 Heimberichte im Quartal verfaßt er für den Leiter des Flüchtlingsheims, Rolf Cavelius. Chmiel hat die Sache im Griff. Landsbergs Asylbewerber sind, statistisch gesehen, Deutschlands unauffälligste.
5.45 Uhr. Jetzt läuft jemand hastig den Berg hinunter. Anorak, Schlapphut, Plastiktüte. „Der will heute Geld verdienen“, sagt Chmiel. Setzt den Volvo in Gang, parkt nach 500 Metern. Weiter zu Fuß. Das Objekt überholt, telefoniert an einer Kreuzung. Wenig später hält ein weißer Pritschenwagen, der es aufliest. Der Auftraggeber, Heimleiter Cavelius, will Ergebnisse. Uhrzeit, Arbeitgeber, Namen. Chmiel hat das Kennzeichen des Wagens nicht lesen können, aber nach einem kurzen Funk hat er den Namen des Asylbewerbers. Wieder warten im Wagen, aber niemand kommt mehr. 8.15 Uhr, Butterbrezel und Kaffee. Dann in die Zentrale.
In einer Kaserne am Stadtrand hat Thaddäus Chmiel zwei Etagen revonieren lassen. Ein zweieinhalb Tonnen schwerer Safe steht schon da. Auf dem Tisch Geldrollen, Zählmaschinen. Über Nacht haben seine Angestellten Tagesumsätze von Banken und Supermärkten gezählt und gebündelt. An die zehn Millionen Mark. Weil Chmiel auch Geldtransporte übernimmt und weil Wachleute billiger zählen als Bankangestellte. 9 Uhr, der Chef nimmt die Belege ab. An frisch getünchten Wänden hängen Schlösser, Alarmsysteme und Nebelwerfer zum Verkauf. Sein Büro am Ende des Ganges ist noch karg. Telefonanlage, lang wie ein Kindersarg, Funk, Computer. „Ehrenzeichen am Bande“ vom Minister für 25 Jahre Rotes Kreuz.
Chmiel fummelt vergnügt an zwei Boxen herum. Darin hat der gelernte Elektroinstallateur winzige Kameras versteckt, die er mit einem Bildschirm verbindet. Das Geschäft mit der Videoüberwachung blüht. Hier entsteht sein Imperium: das „BWS-Bildungszentrum“ – Deutschlands erste, unabhängige Detektivschule, kombiniert mit Ausbildungen zum Wach- und Werkschutz. Ab dieser Woche wird es hier zugehen wie im Ameisenhaufen. Über 200 Arbeitslose, Freiberufler und vom Arbeitsamt geschickte Umschüler haben sich angemeldet. Rund 20 davon wollen Detektive werden, der Rest Wachschützer. 10.45 Uhr, das Telefon klingelt. Der Anrufer, ein Masseur aus Regensburg, hat die Anzeige gelesen. Chmiel stellt auf Zimmerlautsprecher. „Welche Vorstellung haben sie vom Detektivberuf?“ Anrufer: „Naja, was man im Fernsehen so sieht. Wirtschaftsspionage und so.“ Chmiel: „Nun, am Anfang müssen Sie auch mal einer Frau hinterherlaufen.“ Anrufer, lacht: „Is' schon klar. Wie lange dauert das denn?“ Chmiel: „Sieben Monate Schule, 13 Monate Praxis und Werkschutz.“ Schweigen. Der Anrufer will die Kosten wissen. „Rund 10.000 Mark. Aber Sie bekommen von uns auch bezahlte Arbeiten.“ Man einigt sich auf schriftliche Bewerbung und hängt ein.
„Wirtschaftsspionage“, prustet Chmiel aus der Tiefe seines Zwerchfells, „da muß man erst mal einen Namen haben.“ Solche Peter-Strohm-Anrufe lehne er meist ab. Klaus Löwitsch ermittelt nicht den Mann, der seine übelriechende Notdurft monatelang nachts im Automatenraum einer Bank hinterließ, weil er sich über deren Kontoführung geärgert hatte. „Wer keinen Beruf oder einen Haufen Geld mitbringt, hat in diesem Job keine Chance.“
Chmiel kämpft gegen das Klischee genauso wie gegen die vierwöchigen Schnellkurse unter dem Trenchcoat des „Bundesverbandes der Deutschen Detektive“ (BDD). Wie der BDD flucht auch er über das „Heer der schwarzen Schafe“, eine 20.000köpfige Hydra, die den gesamten, schutzlosen Berufsstand in Verruf bringe. Höchstens 3.000 davon arbeiteten seriös, schätzt der Geschäftsführer des BDD, Josef Riehl. Höchstens 500, schätzt Chmiel.
Und hier will er ansetzen. Chmiels Pädagogen und pensionierte Bullen sollen nicht Karate, sondern EDV und Englisch, nicht Kanonen, sondern Verhaltenstraining und Streßbewältigung, nicht Autostunts, sondern Gesprächsführung und Verkaufsrhetorik lehren. Vor allem, wie man sich selbst verkauft. Spurenkunde, Diebesfallen und Elektrotechnik sind Chefsache. Schlemihl ist ein ehrlicher Handwerker. Sein Credo: In dubeo pro Erfolgshonorar.
„Schlauer als der Klauer ist der Detektiv“, brilliert er spitzbübisch wie Schiwago und zupft detailverliebt in seinem Musterköfferchen herum.
Eine Woche Intensivkurs brauche es schon, um den richtigen Umgang mit Sperrhaken und Tuben, UV-Pülverchen und Pinsel aus Marabufedern zu erlernen. Alles trägt einen fetten Fingerabdruck auf dem Etikett, darunter blitzartige Lettern: „Crime detection equipment“. Kosten: 3.500 Mark. Erhältlich, bemerkt Chmiel nebenbei, über Chmiel, wie auch die Dokumententasche „Patent Chmiel“: Hebt der Bote den Finger vom Knopf am Griff, sprüht der Koffer Farbe, bläst in eine Hupe, zündet Rauchbomben und zerstört sich selbst. 14 Uhr, Termin beim Rechtsanwalt. Chmiel will wissen, ob Kaufhausdetektive eine Fangprämie vom Dieb verlangen dürfen. 15.15 Uhr, Pizza Hawai, kleines Bier. Zwischen Gummibaum und Kleiderständer werden seine Augen müde.
Fangprämie im Kaufhaus! Ach, was waren das noch kernige Kerle, die der 14jährige in der Detektivserie „77 Sunset Strip“ sah. Als 19jähriger ging er bei einer großen Detektei im Rheinland in die Lehre. Dann eröffnete er in Landsberg ein kleines Büro. Aber seit sich ein Mann erschoß, als er Chmiels Rechnung für die im Auftrag seiner Frau verübten Spitzeldienste entdeckte, seit den „Schlägen in der dunklen Gasse“, als sich Chmiel noch in „Drogengeschichten“ einmischte, seit er auf der Suche nach einem jungen Mädchen halbtot auf der Wache zu sich kam, seither weiß er: „Ein Traumberuf ist das nicht.“ Landsberg ist nicht Los Angeles. Und ein Detektiv nichts als ein Kaufmann.
Heute ist er froh, daß er das Wühlen in fremden Betten nicht mehr nötig hat. „Immer mit einem Bein im Kittchen, jedes Foto, das Hüpfen über den Gartenzaun, die rote Ampel bei der Verfolgung, alles illegal.“ Denn mit der Gründung des Wachschutzes ist Chmiel auf Gold gestoßen: „Detektei und Sicherheitsdienst zusammen, das ist die Zukunft“, strahlt er. Bewachen, vorbeugen, verkabeln und verweben – dann erst zuschlagen. Wie die Spinne, sicher im Netz. Deutschland durchs Knopfauge, Service im Paket.
16.15 Uhr, zurück in der Zentrale. „Jetzt, wo die bayerische Polizei 150 Mark pro Fehlalarm verlangt, liegen wir doch 100 Mark günstiger“, erklärt Chmiel dem Marketingleiter einer Bank. Der Kunde zögert. Flink zückt SmeÛgol einen Prospekt. Modell „Augenzeuge“: „Unser System zeichnet sogar die Zeit vor dem Alarm rückwirkend auf.“ Die Überzeugungsarbeit fruchtet.
17.10 Uhr, Telefon. Jemand will einen Schuldner auf Reserven ausloten. Der Anrufer bietet 500 Mark, Chmiel lehnt ab. Nicht unter 2.000. Er hat seinen Preis.
Doch auch der Detektiv auf Distanz trägt Risiken. Chmiel wandert den schmalen Grat zwischen Amigo und Anzeigepflicht, wenn er als ABC-Spezialist einen Chemiekonzern auf Mängel zwar hinweist, der Unternehmer sich aber nicht daran hält. Er kann es sich leisten, einen lokalpolitischen Lauschangriff auszuschlagen, aber er ist behilflich und gibt die Sache an einen Pfeiffer der Branche weiter. Er steht Rede und Antwort, aber er nennt natürlich keine Namen und weiß dem Geldgeber die Presse vom Leib zu halten, wenn's brennt. Landsberg ist nicht Los Angeles. Und Chmiel kann schweigen.
18 Uhr, Autobahn. Chmiel muß nach Fürstenfeldbruck, dort liegt das defekte Auto der Tochter. „Die Familie“, stöhnt er unterwegs. Einmal Urlaub an der Adria in 18 Jahren, das ist der Preis des Erfolgs. Wenn er da sein Hobby nicht hätte: Bei einem Schweizer Professor hat er sich in Hypnose unterweisen lassen. Heimlich liest er Bücher über Mystik und Schwarze Magie, „auch mal ein verbotenes“. Das gibt ihm Kraft.
21.30 Uhr, wieder in Landsberg. Jetzt verstaut er sein Kleinod, das Knopfauge, auf dem Rücksitz. In einem Werk für Meßtechnik verschwinden Lasergeräte. Chmiel kann helfen. Im Schutz der Dunkelheit legt er seine Fallen. Die Kamera, das Tonband im scheinbar achtlos vergessenen Aktenkoffer, das Silbernitrat an der Beute, das die langen Finger verätzt und verpetzt. Ganz der Schlemihl, schnell, präzise, allein.
22.45 Uhr. Feierabend. Aufguß in der häuslichen Sauna. „In weniger als zehn Jahren wird die Polizei gewaltige Aufgaben an uns abgeben“, schwitzt Schiwago, der an die eigene Rechtschaffenheit glaubt. „Radar, Unfallaufnahme, Verkehrsüberwachung, Personen- und Objektschutz, Asylantenabschiebung. Wir sind billiger als Polizisten, die teuer ausgebildet werden müssen.“ Wieder lacht er laut. Er weiß, daß er Recht behalten wird. Er hat die Sache im Griff. Am nächsten Abend wird der arbeitende Asylbewerber nicht mehr in Landsberg sein, in der nächsten Woche die Laserfirma einen langjährigen Mitarbeiter feuern, im nächsten Monat der Deal mit der Bank über die Bühne gehen. Dann muß Chmiel wieder neue Leute einstellen. Die Schule liefert zu.
SmeÛgol sitzt im Startloch. Wie die Spinne, sicher im Netz.
PS.: Inzwischen hat der „Bayerische Berufsverband der Detektive“ im 30 Kilometer entfernten Augsburg reagiert. In Kreisblättern schaltet er neue Anzeigen: „Traumberuf Detektiv“. Darüber hat Thaddäus Chmiel sehr gelacht.
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