■ Afghanistan: Staatschef Rabbani gibt sich konziliant
: Der Herr der Trümmer

Jede Menge gute Vorsätze für 1996 hat auch der amtierende Staatschef Afghanistans, Burhanuddin Rabbani, gefaßt. Nachdem der Theologe schon im November einer Machtübergabe zwecks Beendigung des Bürgerkriegs endlich „einen positiven Aspekt“ abgewinnen konnte, will er sich dafür nun höchstpersönlich in die Höhle der Löwen begeben – zu Verhandlungen mit seinen Hauptwidersachern, dem usbekischen Warlord Dostam im Norden und den pakistanisch gesponserten Taleban im Süden des Landes. Da man ihn dort nicht mit offenen Armen empfangen wird, hat Rabbani jetzt erst einmal ein paar Unterhändler vorgeschickt.

Das ist schon weniger sensationell. Auf dieser Ebene laufen seit Monaten Gespräche, „geheim“ natürlich und ohne Erfolg. Seitdem den Mudschaheddin im April 1992 Kabul in die Hände fiel, ist in Afghanistan ohnehin die alte Regel außer Kraft gesetzt, daß nicht geschossen wird, solange man verhandelt. Im Gegenteil: Jeder feuert auf jeden, gleichzeitige Koalition nicht ausgeschlossen. Und die Taliban haben gerade verkündet: „Die Zeit für Gespräche ist vorbei“, man wolle den Usurpator in Kabul, der sich seit 1993 dreimal selbst die Amtszeit verlängerte, jetzt mit Waffengewalt stürzen. Das hat auch Rabbani gehört.

Allzu wörtlich nehmen sollte man deshalb seine Ankündigungen nicht. Versöhnlichen Tönen sind bis jetzt niemals Taten gefolgt. So brachte Rabbani im März letzten Jahres einen von der UNO mühsam herbeiverhandelten Friedensplan inklusive eigenem Rücktritt zum Platzen, dem er bereits zugestimmt hatte. Dafür haben ihn nicht nur die Vereinten Nationen, sondern selbst die islamischen Staaten geächtet, die Rabbani & Co. bis 1989 gegen die sowjetischen Besatzer noch tatkräftig unterstützten. Zum Abtreten aber haben sie ihn damit nicht bewegen können.

Während UN-Vermittler Mestiri neue Ideen fehlen, der Sicherheitsrat zahnlos ein Ende des Blutvergießens fordert und das Rote Kreuz die UNO-Mitglieder erfolglos um humanitäre Hilfe bittet, kann Rabbani seine alte Taktik vervollkommnen: mit angeblicher Verhandlungsbereitschaft auf Zeit spielen und weiter am Thron kleben, auch wenn das in der zu 40 Prozent zerstörten Hauptstadt schon lange keine Annehmlichkeiten mehr bietet. Das Präsidentenamt abzugeben wird sich der Herr der Trümmer wohl auch für 1997 vornehmen können. Thomas Ruttig

Iranist und freier Journalist in Berlin