: Wer sucht, weiß, was er finden will
■ Empörung allerorten über Kinderpornographie im Internet. Immer wenn Kriminalisten beim Streifesurfen im weltweiten Computernetz auf das Wort "Sex" stoßen, werden sie heiß: Der Ruf nach Zensur wird laut
Wer sucht, weiß, was er finden will
Seit Monaten wird in den USA über Pornographie im weltweiten Computernetz Internet debattiert. Kurz vor Silvester zog der Onlinedienst CompuServe seine Konsequenz – in Deutschland und auf Anraten deutscher Behörden: CompuServe sperrte am 27. Dezember seinen Kunden den Zugang zu etwa 200 sogenannten Newsgroups, wie die Diskussionsforen im Internet heißen. Die Münchener Staatsanwaltschaft hatte im November auch die deutsche Niederlassung von CompuServe durchsucht. Es bestehe der Verdacht, so die Begründung, daß Pornographie verbreitet werde, die in Deutschland verboten ist.
Was die Ermittlungbeamten zu sehen bekamen, dürfte sie kaum überrascht haben. Die seit langem bekannten Newsgroups kündigen in ihrem Namen an, was sie zu bieten haben: Bilder und Texte zu jeder Spielart menschlicher Sexualität. Völlig ungeklärt ist aber die Frage, wer außer den anonymen Produzenten dafür verantwortlich ist. Firmen, die wie CompuServe einen Zugang zum Internet vermitteln, verweisen darauf, daß sie auf die Inhalte keinen Einfluß haben. Tatsächlich gehört das Internet niemandem, über ihre Themen bestimmen die Diskussionforen selbst. Häufig ernten mißliebige Zusendungen harsche Beschimpfungen, in schweren Fällen wird dazu aufgefordert, den Autor zu „flamen“, das heißt, seinen Rechner mit Tausenden von Protestbriefen lahmzulegen.
Doch diese Selbstkontrolle genügt den Konservativen in den USA nicht. Sie haben im vergangenen Jahr einen Gesetzentwurf vorgelegt, der Anbieter unter Strafe stellen soll, wenn sie pornographisches Material zugänglich machen. Ein Artikel der New York Times hatte unter dem griffigen Titel „Cyberporn“ im Sommer 95 die Munition geliefert. Mit wissenschaftlichen Statistiken versuchte die Zeitung zu beweisen, daß über 80 Prozent der im Internet verfügbaren Bilder pornographisch seien.
Nur sprechen die Fakten eine andere Sprache. Pornographie spielt im Internet keine größere Rolle als in jeder Kleinstadt mit Bahnhofsbuchhandlung. Auch die Times mußte – einmalig in ihrer Geschichte – zugeben, daß sie die Untersuchung, auf die sich stützte, nicht korrekt wiedergegeben habe. Und die Studie selbst, erstellt an der Carnegie Mellon Universität, erwies sich als methodisch unhaltbares Machwerk.
Geschätzte 15.000 Diskussionsforen können heute im Internet angewählt werden. Ein paar hundert davon beschäftigen sich mit Sexualität, debattieren über Selbsthilfe und Schutz vor Diskriminierung. Höchstens ein Dutzend bieten offen pornographisches Material an. Wer sich dafür interessiert, muß schon danach suchen – und findet meistens nur eine Adresse, die gegen Geld das Verlangte zu liefern verspricht.
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