AWACS-taz - betr.:"Spendenparlament / Satt und selbstlos", taz vom 15.12.1995

Betr.: Spendenparlament / „Satt und selbstlos“, taz hamburg vom 15.12.95

Nehmen wir einmal an, diverse „Inis“ und ökologisch engagierte Leute gründeten einen Verein, dessen einziger Zweck die finanzielle Unterstützung der an chronischem Geldmangel leidenden Umweltprojekte wäre. Der Clou: Im Unterschied zu anderen Geldsammlern wie z. B. Greenpeace hätte jedes Mitglied unabhängig von der Beitrags- oder Spendenhöhe gleichermaßen auch direkten Einfluß auf die Verwendung der Gelder.

Denn die Entscheidung darüber würde ganz basisdemokratisch auf einem regelmäßig stattfindenden Plenum gefällt werden. Bei einem Monatsbeitrag von mindestens zehn Mark, einer schnell wachsenden Mitgliederzahl und zahlreichen Spenden käme rasch ein erkleckliches Sümmchen zusammen. Dagegen hätte wohl auch bei der taz, die sich gern als politisch-moralisches AWACS-Frühwarnsystem der Szene gibt, niemand etwas einzuwenden.

In Hamburg wurde mit dem Spendenparlament gerade eine solche Initiative ins Leben gerufen. Einziger Unterschied: Es geht ihr um die Unterstützung der ebenfalls an chronischem Geldmangel leidenden sozialen Projekte und deren Bemühen um Hilfe zur Selbsthilfe.

Doch hier schlägt das AWACS der taz-Kommentatorin Silke Mertins heftig Alarm. In einem vor zynischer Arroganz strotzenden Kommentar werden die Spender und das ganze Projekt pauschal niedergemacht. Es sei „von emanzipatorischen Ansätzen weit entfernt“, ändere „nichts an den Strukturproblemen der Gesellschaft“ und könne „nichts anderes sein als Almosen-Scheindemokratie“.

Silke Mertins, Du öffnest uns die Augen: All unser Spenden war und ist nicht nur vergebens, sondern auch politisch nicht korrekt. Wir hatten schon vergessen, daß der Ruf nach dem Sozialstaat und die Entlarvung des Schweinesystems eine dialektische Einheit bilden.

In Zukunft behalten wir guten Gewissens „unsere goldenen Löffel“ und unsere zehn Mark im Monat. Zu Armen und Obdachlosen sind wir weiterhin nett, aber wenn die obligatorische Frage nach der Mark kommt, erheben wir den Zeigefinger und erklären ihnen, daß Wohltätigkeit nur das Versagen des Sozialstaats abfedert.

Henning Jaeckisch,

Susanne Adolph

Dummerhaftig

Stephan Reimers (Diakonisches Werk in Hamburg) gründet das Spendenparlament als – zusätzliche – Finanzquelle neben öffentlichen Mitteln für Projekte gegen Armut und Unterversorgung. Mit 120 Mark im Jahr ist man dabei. Die Bereitschaft zu spenden sei bei Privatleuten groß, aber viele wüßten nicht, wo die Gelder hinfließen.

Sie liefern zu diesem einfallsreichen Vorhaben einen verdrehten dummerhaftigen Kommentar, denn Sie sprechen vom Engagement der Satten und Selbstlosen, für die sich ein Platz im Spendenparlament gut anfühle, lauter Mutter Theresas und Albert Schweitzers, die Geld an Bedürftige verteilen.

Aber: Reimers ruft doch nicht das Großbürgertum in der Hansestadt zu Spenden auf für einen Golfplatz, sondern sucht – eher bescheidene – Spenden – siehe oben – für Initiativen gegen Unterversorgung.

Jaja, ich weiß, in einer Tageszeitung muß alles mit einer heißen Nadel genäht werden, aber blind nähen darf man nicht.

In diesem Sinne mit freundlichen Grüßen

Jan Braden