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■ NachgefragtMenschliches Versagen

taz: In der Silvesternacht sind neun Häftlinge aus der Jugendvollzugsanstalt Blockland ausgebrochen. Wie konnte das passieren?

Michael Göbel, Staatsrat im Justiz-Ressort: Die Häftlinge haben drei Türen überwunden. Sie befanden sich in einer Wohngruppe mit elf Gefangenen, die von zwei Beamten beaufsichtigt wurde. Die Beamten haben nicht bemerkt, daß die Türen aufgebrochen worden sind.

Zwei Beamte für elf Häftlinge. Wie kommt es, daß die Beamten nichts bemerkt haben?

Das haben wir uns auch gefragt. Das muß aufgeklärt werden. Die Beamten sind schon gehört worden.

Und was haben sie gesagt, wo sie waren?

In der Wohngruppe. Der eine Beamte war damit beschäftigt, Namensschilder zu schreiben und an die Zellentüren anzubringen. Der andere Beamte hat sich in einem Wohnraum aufgehalten. Beide Beamten sagen, daß sie unmittelbar vor dem Ausbruch noch eine Vollzähligkeitskontrolle durchgeführt haben.

Immerhin haben die Häftlinge es auch geschafft, eine schwere Stahltür aufzubrechen. Das kostet doch Zeit und macht Lärm?

Eine der drei Türen war vorschriftsunmäßig nicht abgeschlossen. Durch diese Tür konnten die Gefangen so durch. Die anderen beiden Türen wurden aufgebrochen – und das hätten die Beamten normalerweise merken müssen.

Aber Sie haben es nicht bemerkt, warum?

Das ist die Frage, die zur Zeit untersucht wird und die unter Umständen disziplinarrechtliche Konsequenzen haben wird.

Woher hatten die Häftlinge eigentlich die Werkzeuge, um die Türen aufzubrechen?

Es ist ein Sägeblatt gefunden worden. Woher das stammt, muß noch geklärt werden.

Sitzen in der Jugendvollzugsanstalt auch verurteilte Mörder und Vergewaltiger ein?

Das will ich nicht ausschließen. Ich kann Ihnen im Augenblick nicht sagen, ob wir welche da haben. Aber ich nehme an, daß es so ist. Verurteilte, von denen eine besonders hohe Gefahr ausgeht, werden aber in Niedersachsen untergebracht.

Aber Mörder oder Vergewaltiger sind doch unter Umständen auch gefährliche Straftäter. Und die hätten doch theoretisch auch ausbrechen können?

Das ist denkbar.

Ist das nicht ein Sicherheitsrisiko?

Wir könnten auch einen Hochsicherheitstrakt im Blockland schaffen. Das würde auch keine Garantie sein. Eine 100prozentige Sicherheit gibt es einfach nicht. Im Blockland ist das Klientel untergebracht, das nicht als besonders gefährlich eingeschätzt wird. Wir haben dort nicht das Publikum untergebracht, das in den Hochsicherheitstrakt gehört. Außerdem brechen die Gefangenen auch aus Hochsicherheitstrakten aus, die nehmen dann eine Geisel.

Nun ist es aber nicht das erste Mal, daß Häftlinge aus der Jusitzvollzugsanstalt Blockland ausbrechen. 1991 gelang sieben Häftlingen die Flucht. Im November 1994 brachen vier Häftlinge aus.

Das geschieht leider Gottes immer wieder überall, und menschliches Versagen wird man nie ausschließen können. Die technische Ausrüstung ist in Ordnung gewesen.

Sind nach dem Ausbruch 1991 Konsequenzen gezogen worden?

Damals hatten die Ausbrecher ihre Werkzeuge aus der KFZ-Werkstatt der Anstalt. Außerdem waren die Gitter der Zellen in einem renovierungsbedürftigen Zustand. Die Werkzeug-Kontrollen wurden verschärft, die Gitter erneuert.

Welche Konsequenzen werden Sie denn diesmal aus dem Ausbruch ziehen?

Der Vorfall muß erst aufgeklärt werden.

In Berlin hat die CDU nach dem Ausbruch eines Häftlings 1992 den Rücktritt des Justizsenators gefordert.

Früher war es so ein Ritual, daß bei jedem Ausbruch ein Rücktritt gefordert wurden. Die Zeit ist glücklicherweise vorbei. Es herrscht ja Konsens darüber, daß im Blockland kein Hochsicherheitstrakt gewünscht wird, und zwar nicht nur bei den Regierungsparteien, sondern auch bei der Opposition.

Fragen Kerstin Schneider

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