Barockes Kissen mit Skelett-Applikation

■ Die Galerie Barbara Weiss zeigt Christa Nähers „Schwarze Seite des Schwebens“

Von der hohen Altbaudecke im letzten Raum der Ausstellung hängt ein schlankes, quadratisches Zelt herab. Weich fallen seine sich überlappenden schwarzen Stoffbahnen auf den braunen Parkettboden. Natürlich soll man diese eigenwillige Nomadenbehausung betreten, auch wenn man sich erst durch vorsichtiges Tasten auf dem tiefschwarzen Filz einen Zutritt suchen muß. Dann schlüpft man durch den Spalt hinein und sieht erwartungsgemäß nichts. Nicht einmal die eigene Hand vor den Augen. Umhüllt vom völligen Nichts, wird die Sehnsucht, ja die Gier nach Licht geweckt. Von diesem Gefühl begleitet, wandert man im Schein einer matten Funzel durch eine Höhle und atmet erst wieder auf, wenn am Ende eines Ganges in der Ferne ein heller Schimmer den Weg zum Tageslicht weist.

Es gibt einen Film, der heißt „Am Anfang war das Feuer“ und handelt von der Entstehung der Menschheit. In ihren Arbeiten scheint Christa Näher dieser Evolutionstheorie ihr eigenes Verständnis vom Werden und Vergehen entgegenstellen zu wollen: Am Anfang war die Höhle, letztlich der Mutterschoß, die Leibeskuhle, in der wir alle einmal völlig im Dunkeln geschwommen sind. Ein riesiges, fast 3 x 6 Meter großes Ölgemälde bildet den Auftakt zu Nähers Ausstellung „Schwarze Seite des Schwebens“. Es wirkt wie ein gewaltiger Befreiungsschlag, mit dem die Künstlerin – hockend im Zelt – ihrer Gier nach Licht selbst Ausdruck verliehen hat. Wie sich Oskar Matzerath aus Grass' Roman „Die Blechtrommel“ – allerdings ungleich profaner – an den grellen Schein einer von der Decke hängenden Glühbirne bei seiner Geburt erinnert, so übersetzt Christa Näher diese (erste) Wahrnehmung eines hellen Scheins in ein undefinierbares, lichtdurchflutetes grünes Rund, umgeben vom schwarzen Nichts.

Und so, wie einen der Sog eines Zeltes geradezu zum Eintreten zwingt, strahlt auch dieses Bild eine spürbare Anziehungskraft aus. Es ist ein bißchen so wie mit William Turners ein- oder abfahrenden Zügen, die niemand wirklich sieht, weil sie längst im Dunst der Farben abgetaucht sind. Dennoch bleibt man vor seinen Bildern oft wie angewurzelt stehen, versunken in eine sinnliche, atmosphärische Malerei.

Eine solche Wirkung haben auch die Ölgemälde Christa Nähers und ebenso die monumentalen, schwarzweißen Fotoarbeiten und kleinen farbigen Videoprints, die in den drei Räumen der Galerie zu sehen sind. In allen Werken schwingt aber auch ein Hauch von Todesahnung und traumatischer Wirklichkeit. Unerklärliche Gestalten und monsterhaft große Hunde mit stechenden Augen wecken die dunklen Gedanken der Seele durch einen nicht schwinden wollenden Dunstschleier, eine Art Nebel, der seit der Renaissance als italienisches sfumato die Bilderwelt der Kunst immer wieder durchzieht.

Vor wenigen Jahren noch war das Motiv des „Totentanzes“ eines der zentralen Themen in Christa Nähers Kunst. Jetzt hat auch das Leben von ihren Arbeiten Besitz ergriffen – doch nur um zu zeigen, daß das eine eben das Vorspiel vom anderen ist. Auch die Videoprints, die stark autobiographische Züge tragen, sind nicht frei von diesem Zusammenhang. Mal zeigen sie das Haus ihrer Kindheit, mal den Fuß der Künstlerin und dann ganz unerwartet das unscharfe Porträt Freddie Mercurys.

1994 hatte Näher der an Aids gestorbenen Pop-Ikone in der Kölner Trinitatiskirche eine eigene Ausstellung gewidmet. Aber sicher nicht in dem Rahmen, wie es sich der ehemalige Sänger der Gruppe Queen gewünscht hätte. Als Hiob, Muttersöhnchen oder Todesengel ziert sein Kopf den steifen Körper eines unbekannten Mannes in unvorteilhafter Kleidung.

Bis heute hat Christa Näher nicht verraten, warum gerade Freddie Mercury für ihre bissigen, ja beinahe fiesen lebensgroßen Fotocollagen herhalten mußte. Von der Todesromantik ihrer neuen Arbeiten zeigen sie keine Spur. Gemeinsam ist ihnen das zwangsläufige Nebeneinander von Leben und Tod. Doch ebenso wie ein barockes Kissen in üppigen Ausmaßen, das mit seinem applizierten Skelett nicht unbedingt zum Kuscheln in der Ausstellung einlädt, nehmen die neuen Arbeiten das Schwere leicht. Das ist dann wohl „die schwarze Seite des Schwebens“. Petra Welzel

Bis 27.1., Di.–Fr. 12–18, Sa. 11–14 Uhr, Galerie Barbara Weiss, Potsdamer Straße 93, Tiergarten