Hansi 008: als Spion ein totaler Versager

■ Ein Westberliner stand als Stasispitzel vor Gericht und bekam Milde zu spüren

Als Spion war Christian V. der totale Versager. Das Gespräch mit einem Polizisten, das er auf einem versteckten Tonband mitschneiden sollte, war nicht zu verstehen. Einen Beobachtungsposten verließ er sofort wieder, weil ihm zu kalt war. „In meinen Berichten war 20 Prozent Wahrheit und 80 Prozent Phantasie“, gestand er gestern dem Kammergericht. Das ließ denn auch Milde walten und verurteilte den 51jährigen Reinigungsmann wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu einem Jahr auf Bewährung plus 900 Mark Zwangsspende an den Weißen Ring. Das Verfahren gegen seine Ehefrau Bärbel, die als Mitläuferin gelegentlich schlechte Videoaufnahmen geliefert hatte, wurde wegen Geringfügigkeit eingestellt.

Die beiden Eheleute umweht ein Hauch von Tragikomödie. Sie, schwerbehinderte Frührentnerin, totenbleich, berichtete tränenerstickt von ihrer „sehr guten Ehe“. Er, graumeliert, mit smartem Schnurrbärtchen, wegen Unterschlagung und anderer Delikte insgesamt 17mal vorbestraft, konnte ihre Beziehung „mit Worten gar nicht beschreiben“. Nach drei gescheiterten Ehen und einem äußerst bewegten Leben mit Gelegenheitsjobs, Haftstrafen und einer mehrjährigen Flucht durch Indien und den Iran fand er bei seiner jetzigen Ehefrau so viel Halt, daß er seine Karriere als Kleinkrimineller aufgab und zum großen Spion werden wollte: „Ich hatte mal eine Blaupause eines Bauplans der US-Armee in einer Mülltonne gefunden“, berichtete kleinlaut der Angeklagte. Damals, 1986, fuhr er, von viel Phantasie und Größenwahn beflügelt, nach Ost- Berlin, suchte sich die Nummer des Ministeriums für Staatssicherheit aus dem Telefonbuch und traf sich mit zwei Abgesandten. Nach vier Wochen sahen sie sich wieder, und sein späterer Führungsoffizier „Helmut“ blätterte dem späteren IM „Hansi“ 700 Mark für seine Blaupause auf den Tisch.

Fürderhin trafen sie sich regelmäßig, insgesamt rund 70mal bis zum Dezember 1989, und „Helmut“ ließ sich mal einen Kühler, mal ein Telefonbuch, mal Gitarrensaiten mitbringern. „Das meiste für ihn selber“, behauptete der Angeklagte. „Er hat sich das von seiner Firma bezahlen lassen.“

Aber Christian V. sollte auch Objekte ausspähen, fotografieren oder auf Video aufnehmen. Mal war es eine alte Feuerwache in Bremen, in der früher der Verfassungsschutz saß – „aber ich bin da nicht nah ran, ich hatte viel zuviel Schiß“. Mal war es ein Haus in Dortmund – „aber ich habe den Bericht geschrieben, ohne hinzufahren“. Mal sollte er eine Videokamera in einen Teddybären einbauen – „aber das war nicht möglich, sie hatte ja so große Akkus“. Nichtsdestotrotz schaffte der Angeklagte alles rüber, was für die Stasi in seinen Augen von Interesse sein konnte. Als er in einem Moabiter Krankenhaus arbeitete, überreichte er „Helmut“ den Generalschlüssel: „Hier, falls du mal dort was zu tun hast.“ Als er bei einer Marktforschungsgesellschaft anheuerte, aber nur ein einziges Kundeninterview zustande brachte, steckte er den dazugehörigen Fragebogen durch den Eisernen Vorhang. Als er beim Deutschen Entwicklungsdienst vorsprach, schleppte er dessen Prospekte nach Ost-Berlin.

„Ich hatte absolut keine politischen Ambitionen, mir ging es nur ums Geld“, bekannte er gestern. Aber die Stasileute waren Knauserbrüder, besonderes die für unwichtige Dienstleistungen zuständige Hauptabteilung II. Viel mehr als 20.000 Mark bekamen die Eheleute in drei Jahren nicht, die Hälfte ging für Unkosten drauf.

Als der Frau 1988 die Sache unheimlich wurde, schickte sie ihren Mann vor: „Ich habe beim Staatsschutz angerufen“, berichtete er gestern. „Ich wollte den Helmut verkaufen – meine Freiheit gegen einen Stasioffizier. Aber als die Frau am andern Ende der Leitung patzig verkündet hat, ich müsse mit einer vorläufigen Festnahme rechnen, habe ich aufgelegt.“ Agent Hansi 008 alias Christian V. wurde erst nach der Wende enttarnt. Ute Scheub