Poesie der Ghetto-High-School

■ Der Film „Dangerous Minds“ versöhnt Gangs und Pauker

Feuerleitern vor heruntergekommenen Fassaden, ein Penner sammelt Büchsen, Drogen wechseln den Besitzer. Bilder aus dem Ghetto in grobkörnig verhuschtem, pseudodokumentarischem Schwarzweiß. Die Kamera folgt einem Schulbus, langsam wird die Umgebung besser und mit ihr das Bild sukzessive farbiger. Wenn der Bus die Schule in der freundlichen Vorstadt mit schmucken Einfamilienhäusern und Vorgärten erreicht, erstrahlt auch der Bus in gewohnt sattem Gelb.

„I wanna teach“, sagt Michelle Pfeiffer, deren Make-up-Aufkommen für die Rolle als ehemalige Soldatin überdeutlich heruntergefahren wurde, im Vorstellungsgespräch. Spricht's und bekommt eine High-School-Klasse mit „bright, special kids“, wie ihr versichert wird. Doch die stellen sich natürlich als jede Mitarbeit verweigernde Ghetto-Kids aller denkbaren Ethnien heraus und treiben mit passivem Widerstand eine tränenüberströmte Pfeiffer schon in der ersten Schulstunde aus dem Klassenzimmer.

„Dangerous Minds – Wilde Gedanken“ fußt auf den Erinnerungen von LouAnne Johnson, einer ehemaligen Marine, die nach ihrer Armeezeit als Teilzeitlehrerin für nichtenglischsprachige Klassen arbeitete. Ihre Erfahrungen in personell unzureichend ausgestatteten staatlichen Schulen beschrieb sie in in dem 1992 erschienenen Roman „My Posse Don't Do Homework“, das Roland Bass, „Oscar“-Gewinner für „Rain Man“, als Grundlage seines Drehbuchs zu „Dangerous Minds“ nutzte. Zusätzlich wurde Johnson als technische Beraterin engagiert. Trotzdem ist „Dangerous Minds“ so weit von der Realität entfernt wie Michelle Pfeiffers frisch erworbene Lederjacke von Ghetto-Mode. Der Film tut, als spiele sich das Leben seiner Protagonisten nahezu ausschließlich in Klassenzimmer und Schulhof ab, obwohl er doch im selben Moment postuliert, daß es gerade das Problem der Schulen ist, daß sie ihre Klienten nicht mehr erreichen. Alle sitzen jeden Tag brav hinter ihren Schulbänken, nur um dort unbeteiligt in die Gegend zu starren. Als wären die harten Ghetto- Kids nur hospitalistische Zooaffen, schafft es die Lehrerin, sie zu interessieren, indem sie sie mit Schokoriegeln für kluge Antworten belohnt.

Waffen, Drogen, Gangs finden nicht statt, sondern sind nur eine im Hinterkopf des Betrachters existierende Folie. So wie im Kopf der Lehrerin, die deshalb ihre Schüler zu ködern versucht, indem sie im Englischunterricht Texte von Bob Dylan lesen und interpretieren läßt.

Die allseits bekannte Auslegung des „Mr. Tambourine Man“ als Drogendealer soll so die Brücke schlagen zwischen dem 68er-Ansatz des Films, der sich in den allseits feuchten Augen von Pfeiffer spiegelt, und den tatsächlichen Problemen von heute. Und so voller Illusionen, wie vor 30 Jahren eine ganze Generation glaubte, die Welt zum Besseren hin wenden zu können, so naiv will dieser Film glauben machen, daß es nur ein wenig Hinwendung und Poesie bedürfe, um aus von der Gesellschaft abgeschriebenen Drop-outs einen Haufen sozial verantwortlicher, ehrlicher, sauberer Menschen zu machen. Dann wird sie die Gesellschaft schon wieder aufnehmen. Dichtung rührt eben auch das Herz des Homeboys.

Ein wenig Sozialarbeit kann es also richten, schließlich weiß Pfeiffer ihren Schülern mitzuteilen: „You have a choice, there are no victims in that classroom.“ Währenddessen werden die sozialen Hintergründe aller Beteiligten nahezu ausgespart. Die Lieblingsschülerin wird schwanger, taucht nicht mehr in der Schule auf; Pfeiffer setzt sich neben ihr ins Treppenhaus, spricht mit den Verantwortlichen in der Schule. Und alles wird gut.

Zwar bügeln die Schauspieler, die zum Teil Laien sind, das katastrophale Drehbuch immerhin soweit aus, daß man der Geschichte als Märchen weiter folgen möchte. So wie einen Seifenopern hin und wieder nicht mehr loslassen. War von Hollywood mehr zu erwarten als dieses scharpinghafte Feigenblättchen? „Dangerous Minds“ ist nicht mal eine verpaßte Chance, sondern nur ein Alibi.

Gleich viermal rappt sich Coolio für den Soundtrack durch ein „Gangsta's Paradise“, das man im Film vergeblich sucht. Kein Wunder, daß auf dem Cover der Coolio-CD eben kein Hinweis auf den Film, sondern nur ein schlichtes „incl. No.1-Hit ,Gangsta's Paradise‘“ findet. Thomas Winkler

„Dangerous Minds – Wilde Gedanken“. Regie: John N. Smith, nach einem Roman von LouAnne Johnson. Mit Michelle Pfeiffer, George Dzundza, Courtney B. Vance u.a. USA 1995, 99 Min.