Kein Rauch ohne Feuer

Geniales, unspektakuläres Abfallprodukt: „Blue in the Face“ von Wayne Wang und Paul Auster  ■ Von Anke Westphal

Seit einiger Zeit reüssiert in der Filmbranche die These, daß die besseren „europäischen“ Filme derzeit in den USA gedreht werden und/oder Abfallprodukte ambitionierterer Projekte sind. So war es mit Hal Hartleys „Flirt“, der in den Drehpausen von „Amateur“ entstand. So verhält es sich ein bißchen mit Jim Jarmuschs erstem Western „Dead Man“, einem ganz besonderen Abfallprodukt, das amerikanische Mythen und traditionelles europäisches Kulturgut verschweißt, und das wiederum im Wilden Westen.

Und so ist es letztendlich auch mit „Blue in the Face“, einem kurzen und bündigen Meisterwerk, das offenbar gedreht wurde, weil die an „Smoke“ beteiligten Regisseure und Schauspieler keine Lust hatten, nach Abschluß des Films hübsch artig nach Hause zu gehen und mit ihren Eltern zu telefonieren. Die drei Filme haben bei aller Philosophie eine Leichtigkeit, die sich wohl nur dann einstellt, wenn mit Spaß, aber ohne Ehrgeiz und wirklichen Anlaß produziert, pardon, improvisiert wird.

Im Frühling 1994 tummelten sich der Regisseur Wayne Wang („Töchter des Himmels“) und der Romancier und Hobbyregisseur Paul Auster in Brooklyn, um „Smoke“ fertigzustellen. Es muß ein besonders langer Frühling gewesen sein, denn am 11. Juli hielten Wang und Auster ihre Kameras immer noch auf die „Brooklyn Cigar Company“ von Augie Wren. Beide waren jener „Musik des Zufalls“ erlegen, die Paul Auster als Terminus literaris eigens erfunden haben muß, um das Phänomen dieser graziösen, kleinen Nebenfilme à la „Blue in the Face“ zu erklären.

Freunde kamen vorbei und wurden auch gleich mit einem Cameo, einem Gastauftritt, bedacht, was nicht nur schön, sondern vor allem sehr ökonomisch gedacht war. Denn wann kriegt man schon Leute wie Lou Reed, Jim Jarmusch, Madonna oder Lily Tomlin so gut wie mühelos und für so gut wie kein Geld in einen Film.

„Blue in the Face“ ist zunächst eine Liebeserklärung an Brooklyn und wartet mit einiger Statistik über den Stadtteil auf, der fast so groß ist wie das vereinigte Berlin. Wo gibt es die besten belgischen Waffeln für die 98 hier lebenden Nationen, unter denen jährlich 720 Morde verübt werden?

Letzteres scheint kein Problem für den Film. „Ich erschieße nur Leute, die zu alt sind, mich zu kriegen“, giftet Augie (Harvey Keitel), als ein minderjähriger Krimineller in Güte von der Beraubten laufengelassen wird. „Blue in the Face“ schwelgt in Brooklyn als einem idealischen melting pot, wo jeder mit jedem kann und umgekehrt. Selbst die kunterbunte Abfolge der Stars unterstützt dieses immerwährende Sichkreuzen friedlich koexistierender Welten, indem sie jegliche Hierarchie ignoriert. Jim Jarmusch und Michael J. Fox, Lou Reed und Madonna, Roseanne und RuPaul – hier Independent, da Hollywood, hier die Königin des White Trash, da Travestie. Die große Lily Tomlin taumelt nahezu unkenntlich als Junkie durchs Bild, und Madonna spielt ein singendes Telegramm (inzwischen steht die Frau so jenseits von Gut und Böse, daß es ihr ein Gaudi gewesen sein muß, grottenfalsch und aufgetakelt wie ein Zirkuspferd Schwachsinn hervorzustoßen, nämlich „Bum, bum“). Auch die übrigen Farben und Begebenheiten sind rummelplatzfröhlich.

Brooklyn, das sind Puder, Kaffee und Zigaretten, rotglitzernde Kostüme, quittengelbe Nachahmungen von Kelly-Bags, hispanische Volantminiröcke und Country-music, die ein südamerikanischer Einwanderer in einem irischen Laden vor schwarzen Boyz'N the Hood zum Vortrag bringt. „Ey man“, sagen die, „just like Billy Ray Cyrus.“ „Billy Ray who?“ stutzt der traurige Barde und singt „Uhuuuuuuu“. (Schließen Sie vor Ansicht des Films einen Vertrag als Lachsackstimme ab.) Jeder ist hier ein (Rap-)Star und will – anders als die wirklichen Stars dieses Films – als Star erkannt werden. Selbst die als reiselustige Ehefrau Rita göttlich schwadronierende Roseanne. Selbst der schwarze Hehler: „Ti- mex / Ro-lex / the real / big deal!“

Ausschnitte, Beschimpfungen, Umarmungen, wacklige Beine und Kameras, schwimmende Bilder transportieren dasselbe freundliche Konstrukt: Future Exit Brooklyn. Verrücktheit ist der Aggregatzustand Brooklyns, Shakespeare wird hier „Billy“ genannt. Das Leben in diesem Film ist, wie man es sich immer wünscht: bunt, schnell und easy, aber nicht glatt. Man tanzt, pflanzt sich mühelos fort, und dann lacht ein Baby mit Basecap mitten in der fröhlichen neighborhood, die früher auch Kollektiv genannt wurde.

Ansonsten trägt „Blue in the Face“ diesen Titel, weil alle Mitwirkenden vor der Kamera reden sollten, bis sie blau anlaufen. Auch Lou Reed plappert entspannt hinter Augies Ladentheke hervor. Nach 35 Jahren Brooklyn sei er endlich soweit, dem Viertel den Rücken zu kehren, sagt er und sieht dabei nicht ohne Hintersinn so staubig aus wie Kneipeninventar. Alles an Lou Reed ist staubtuchgrau, die Haare, die Haut, einfach alles, und daß er dem Musterkommunarden Rainer Langhans ziemlich ähnlich sieht, bedient schon wieder ein anderes Crossover – oder auch nur die Vorstellung davon. Auf jeden Fall ist es lustig. So lustig und kreuzbedeutend wie die unabweisliche Tatsache, daß Jim Jarmusch mit der Zeit Andy Warhol immer ähnlicher wird. So lustig wie jene Szene, in der RuPaul, die schönste Frau männlichen Geschlechts, eine ganze Straße nach dem Bilde von „Fame“ tanzen läßt, wobei seine 2-Meter-Beine in himmelblauen Lurexshorts enden. Wozu der ganze blaue Dunst? Rauchen, sagt Lou Reed, halte ihn fünfzehn Minuten lang vom Whisky ab. Manchmal steckt die ganze Wahrheit in der Oberfläche.

„Blue in the Face“ USA 1995. R: Wayne Wang/Paul Auster. Mit Harvey Keitel, Roseanne, Lou Reed, Madonna, Lily Tomlin, Jim Jarmusch, Michael J. Fox, RuPaul u.a. Farbe, 89 Min.