Sonst wird McDonald's unser Fixstern sein!

■ "Wenn man immer weiter nach Westen geht, kommt man automatisch wieder im Osten an": Ein Gespräch mit dem russischen Regisseur Nikita Michalkow über seinen Film "Die Sonne, die uns täuscht", eine

In seinen Liebesgeschichten ist der Wurm drin. Wenn Michalkows Filme paradiesisch beginnen, kommt die höllische Wende ganz bestimmt. Schon im zweiten Film des russischen Regisseurs („Ein ruhiger Tag am Ende des Krieges“, 1972) verliebt sich ein Rotarmist in die kindlichen Kaprizen einer Kirgisin (Björk ante portas!), bis die deutschen Eroberer die Turteleien im Kirchturm brutal beenden. In „Schwarze Augen“ (1987) sucht die große Liebe (Silvana Mangano) des ruinierten Lebemann Marcello Mastroianni im entscheidenden Augenblick das Weite. Und in „Urga“ muß der mongolische Gatte in die weitentfernte Stadt aufbrechen, um seiner Gespielin die geforderten Kondome zu besorgen.

Gerne läßt Michalkow seine Helden in Kornfeldern wandeln, feiert pathetisch die russische Scholle und mißtraut der Stadt. Auch in „Die Sonne, die uns täuscht“ genießt der Revolutionsheld Kotow (Nikita Michalkow selbst) im Jahr 1936 zusammen mit seiner Frau Maroussia und der kessen Tochter Nadia (Michalkow- Sproß Nadia) das süße Landleben: in der Sauna wird geschnäbelt, am See geflirtet und auf der Datschaterrasse tiefgegründelt. Die Gesellschaft der Privilegierten geht wie bei Tschechow müßig. Bis Mitia, früherer Lover Maroussias und nun Geheimpolizist Stalins, auftaucht, um Kotow zu verhaften. Im Kampf um die Dame spiegelt sich politische Verrat im Privaten, die Idylle wird zum Terror.

Mit gesundem Narzißmus wirft sich Michalkow als Naturbursche und vernarrter Vater in Pose. Wieder wirkt das Glück zerbrechlich, alle Illusionen verführerisch, aber die sentimentale Naturromantik, die einem in „Urga“ feuchte Äuglein bescherte, wirkt hilflos: als wolle Michalkow dem gichtgeplagten Mütterchen Rußland durch einen Hauch Patriotismus und frische Landluft Beine machen.

taz: Welche Verbindung haben Tschechows Figuren zum Stalinismus?

Nikita Michalkow: Sie sind indirekt verantwortlich für das, was 1917 und auch 1936 in Rußland passierte. Die meisten der Tschechow-Helden waren privilegierte Außenseiter, die nach einem üppigen Frühstück den erbärmlichen Zustand Rußlands beklagten. Sie waren Schönredner mit einem ironischen Blick und ihr ständiges Abwarten macht sie verantwortlich für die weiteren Entwicklungen – wie auch den Stalinismus.

Ich wollte also eine Tschechow- Atmosphäre schaffen, in die Stück für Stück die Idee des Monströsen gleitet – sie liegt ständig wie eine Bedrohung über der Idylle, ohne daß sie faßbar wäre.

Verkörpern der Künstler Mitia, der Rußland vorübergehend verließ, und der Militär Kotow, der blieb, diesen Kampf zwischen Individualität und Kollektivität, zwischen Privatleben und Politik?

Die Lüge, das Mißtrauen und das Nichtgesagte wurden für die Sowjetbürger fast zu instinktiven Reaktionen. Diese „Halbwahrheit“ ist Thema des Films. Daher sind sowohl die Haltung Mitias als auch die von Kotow verständlich. Aber Mitia hat sich „verkauft“ (an die Politische Polizei Stalins, Anm. d. A.), weil er glaubte, man könne in seinem Leben nur ein einziges Mal einen falschen Kompromiß eingehen, um anschließend in Ruhe gelassen zu werden. Das funktioniert nie.

Mitia bringt sowohl Cancan als auch die Bedrohung ins Haus des Modellrussen Kotow, den Sie selbst im Film spielen. Ist von der Westkultur eine Gefahr für die russische Identität zu befürchten?

Ich glaube, ein wahrer Internationalismus muß sich – ohne Überlegenheitsgefühle zu entwickeln – auf das rein Nationale stützen. Ich liebe meine russische Kultur, die Bilder und Landschaften und wünsche, daß andere sie auch lieben, ohne daß sie dabei ihre Identität aufgeben. Nur so wird die Besonderheit der Menschen deutlich, was für Besondere die Russen sind. Als ich „Urga“ drehte, versuchte ich, die Mongolen zu „erspüren“, sie mit Hilfe meines Chauffeurs zu verstehen – aber ohne sie dann zu „erklären“ und meinen Film in einen Zoo zu verwandeln.

Hält der Osten für Sie brauchbare kulturelle Modelle bereit?

Im Westen suchen schon genug Menschen! Außerdem ist die Erde rund: Wenn man immer weiter nach Westen geht, kommt man automatisch wieder im Osten an. Umgekehrt natürlich auch (lacht).

Sie sind in einem Landhaus großgeworden, Tschechows Figuren nicht unähnlich. War das so ein bedrohtes Biotop?

In unserem kleinen Dorf gab es 600 Datschen: Dort lebten unter anderem Prokofjew und Richter. Es war keine Nische, sondern Teil des realen Lebens, selbst wenn es das „Dorf der Kunst und Wissenschaft“ hieß und eine Art Künstlerkolonie war. Ich fühlte mich weder bedroht noch lebte ich in einem goldenen Käfig, aber mir war auch nicht klar, welche – privilegierte – Bedeutung dieser Ort hatte. Im Gegenteil – ich war wütend, daß Richter so spät am Abend noch Klavier spielte, wenn ich am Morgen früh zur Schule mußte!

In Ihren Filmen wie „Urga“, „Anna 6–18“ und auch „Trügerische Sonne“ stellen Sie das idyllische Land einer bedrohlichen und verdorbenen Großstadt gegenüber. Liegt Ihre politische Vision in der „russischen Scholle“?

Ich brauche dieses Ungleichgewicht für die Konstruktion meiner Geschichten. Aber ich will nicht aus der etwas oberflächlichen Zivilisation der Städte in eine Art Mystik der Natur fliehen. Trotzdem glaube ich, daß die Renaissance Rußlands aus der Provinz, vom Land kommen wird. Die Leute im Kreml denken, eine Politik für das Land zu machen, dabei ist es nur Kremlpolitik. Die Stadt und das Land sind völlig verschieden. Auf dem Land findet man – neben allerhand Unsinn – Reinheit, Selbstbewußtsein und natürliche Entwicklungen. Dagegen sind Moskau und St. Petersburg nichts als dreckige politische Löcher.

Gibt es denn Zeichen einer russischen Renaissance?

Ja, natürlich. Der Lastwagenfahrer im Film ist ein Bild Rußlands, das sich verfahren hat und auf die Straße zurückkehren will. Aber statt selber den Weg zu suchen, verliert Rußland seine Zeit damit, andere nach der Richtung zu fragen. Man sollte die Antworten nicht nur in der Gegenwart suchen, sondern nach russischen Lösungen der Vergangenheit fragen. Sonst wird bald das riesige M von McDonald's unser Fixstern sein!

Sie waren Trauergast bei der Beerdigung eines der letzten Romanoffs. Hoffen Sie auf die Monarchie?

Ich denke ja. Seit dem Oktober 1917 sind alle Regierungen, Lenin eingeschlossen, durch Gewalt und Blutvergießen an die Macht gekommen – also sind sie illegal. Würden Sie sich über meine moralistische Ader wundern, wenn ich Brite, Japaner oder Spanier wäre? Finden Sie normal, wenn man den Zaren, seine Frau und Kinder ohne den geringsten Prozeß erschießt? Um zu einem parlamentarischen System zu kommen, hätte man die Evolution der Dinge abwarten müssen. Und es müßte eine einzige Verfassung geben: die erste und die letzte zugleich. Statt dessen gab es eine unter Stalin, eine unter Breschnew und jetzt unter Jelzin ... Jeder schustert sich die Verfassung nach seinem Gusto zusammen.

Warum sind Sie so nostalgisch? Profitieren Künstler wie Sie nicht von der neuen Freiheit?

Die Künstler reden jetzt von dem, was vor zehn Jahren verboten war, aber dieses Verbot und die Zensur sind oft das einzig Interessante daran. Also das ist wie eine Fortsetzung des Bolschewismus: Vorher waren die Weißen die Bösen und die Roten die Guten, und jetzt gibt es nichts als das genaue Gegenteil. Wenn Sie heute ein Buch Lenins auf Ihren Schreibtisch stellen, machen Sie sich verdächtig! Interview: Marcus Rothe

„Die Sonne, die uns täuscht“. Von Nikita Michalkow. Mit Oleg Menchikov, Nikita Michalkow, Ingeborga Dapkunaite, u.a. Rus/Fr 1995, 130 Min.