Klabautermann auf dem Müllschiff

Ganze Flotten schippern vor Italien herum und schütten ihre Ladung ins Meer – illegal, versteht sich. Dagegen setzt die Küstenwache inoffizielle, aber effektive Methoden ein  ■ Vom Tyrrhenischen Meer Werner Raith

Steuermann Gianni De Grembulo starrt in die tiefschwarze Nacht. Nur selten flattern seine Augenlider, meist nur, wenn der Scheibenwischer vor dem Panoramafenster vorbeischnurrt. Und doch ist zu erkennen, daß er etwas wahrnimmt, was nur er sieht und keiner von uns: „Drei Grad steuerbord“, brummt er, ohne auch nur einen Millimeter umzusteuern, dann, „da ist noch einer, backbord. Maschinen aus.“ Gianni De Grembulo ist mit seinem Schiff im Tyrrhenischen Meer vor der Westküste Italiens unterwegs, um illegale Müllverklapper aufzuspüren.

Nur einen Moment noch ist der Motor zu hören, dann verliert sich auch das Geräusch der anschwappenden Wellen durch die abnehmende Fahrt unseres Kutters. „Da“, sagt Gianni und deutet in die Nacht hinaus. Von der Reling aus ist tatsächlich etwas zu hören: ein Geräusch wie von Ketten oder aneinanderreibenden Blechen. „Die verklappen“, sagt er, „gerade tun sie's.“

Hinter ihm taucht der Inspektor Di Frosti von der Küstenwache auf, das Fernrohr in der Hand, und versucht, etwas zu erahnen. Gianni lenkt ihm die Hände. „Weiter rechts, da drüben“, sagt er, „drei bis vier Meilen weg. Sehen Sie mit dem Ding nicht.“ Der Inspektor nickt, greift unter sich und zieht ein Infrarotgerät aus einem Koffer. „Wieder mal recht gehabt“, sagt er schon nach einem kurzen Blick hindurch. „Dürfte so 6–8.000 Bruttoregistertonnen haben.“

Dann bricht hektische Aktivität aus: Drei uniformierte Polizisten der Finanzwache – sie ist für solche Dinge zuständig – kommen auf Deck, greifen zu den verschiedensten Geräten, Funkgequake schnarrt durch die Nacht: Die kleine Kontrollmannschaft dirigiert ihre Streifen zu dem ominösen Schiff. Etwa eine halbe Stunde später wird Vollzug gemeldet: Schiff ausgemacht, Verdacht auf illegales Verklappen bestätigt. „Das Problem ist, daß wir uns hier in internationalen Gewässern befinden, auch wenn hinter uns italienisches Festland und vor uns eine italienische Insel liegt. Wir dürfen die nicht einfach aufbringen.“

So muß der Kontrolleur erst mal freundlich um Erlaubnis zum Betreten nachsuchen – es sei denn, er erwischt den Verklapper auf frischer Tat. Wird der Kontrolleur abgewiesen, muß er sich umständlich einen Kaperbefehl ausstellen lassen oder kann eben nur Anzeige erstatten. Wenn das Schiff nicht wieder nach Italien kommt, eine vergebliche Aktion.

Wir schaukeln noch immer mit ausgeschalteten Motoren; glücklicherweise ist das Meer hier, etwa fünfzig Kilometer vor der kalabresischen Küste, relativ still, sonst käme man heftig ins Schaukeln. Das Schifflein stammt aus den vierziger Jahren, wurde allerdings jüngst generalüberholt und mit einem höchst potenten Motor ausgestattet. „Was uns an dem Kutter interessiert, ist nur seine Silhouette“, erklärt der Küstenwächter, „einem solchen Schiff mißtraut keiner. Und so kommen wir relativ nah an suspekte Objekte heran.“

Etwa ein Dutzend solcher Schiffe ist derzeit nach Angaben der Beamten den italienischen Behörden zu Diensten, inoffiziell natürlich, aber dennoch höchst effizient. Ziel: Auf der adriatischen Seite nähert man sich verdächtigen ausländischen Trawlern, die in ihrem Bauch illegale Zuwanderer bergen; auf der tyrrhenischen Seite, wo wir jetzt herumtuckern, geht es vor allem an illegale Müllverklapper. „Umgekehrt wie früher“, erinnert sich der Inspektor, „als wir hier an der Westküste vor allem Fischkutter mit Schwarzafrikanern aufgespürt haben und die großen Müllverklapper im Adriatischen Meer zu finden waren, kommen derzeit die Immigranten über die Libanon-Griechenland- Balkanlinie, während sich die Kollegen vom Unrat im Westen tummeln.“

Daß heimliche Müllentsorger mittlerweile das Tyrrhenische Meer bevorzugen, hängt mit den verstärkten Immigrantenrazzien zwischen Albanien und Italien zusammen, aber auch mit den unentwegten Patrouillenfahrten von Nato-Schiffen vor Exjugoslawien. „Denen sind in den letzten zwölf Monaten mindestens drei Dutzend verdächtige Müllfrachter ins Netz gegangen“, sagt der Kapitän unseres Kutters, „meist, weil sie auf illegale Waffentransporte durchsucht wurden.“

So ist derzeit die Gegend um die Insel Ustica mit ihren drei- bis viertausend Meter tiefen Gräben ein beliebtes Verklappungsziel: Die Staatsanwaltschaften der umliegenden Orte in Kalabrien, berichtet der Küstenwächter, seien derzeit mit nicht weniger als hundert Ermittlungsverfahren eingedeckt.

Warum verklappen die Müllschiffe ihre Fracht nicht weiter draußen, mehr in Nähe zur nordafrikanischen Küste? Der Kapitän lacht grunzend: „Das haben sie schon versucht. Aber viele von denen wurden noch in derselben Nacht aufgebracht – nicht von Polizisten, sondern von Piraten.“ Tatsächlich – der Kapitän zieht einen Zeitungsbericht aus seiner Aktenmappe – verschwinden jede Woche zwei, mitunter auch schon mal fünf Fischkutter und auch größere Schiffe mitten auf dem Meer; sie werden dann meist Wochen später gegen hohes Lösegeld wieder ausgeliefert. „Einige aber verschwinden auch auf Nimmerwiedersehen“, wie der Finanzinspektor vermerkt. „Und das hält auch Verklapper ferne.“

Der Bauch des eben gestoppten Schiffes erweist sich, wie wenig später ein Funkspruch ergibt, als nur zum Teil gefüllt. Den Papieren nach müßte er aber wesentlich voller sein: Eine Reihe von Containern, die die Ladepapiere ausweisen, fehlen, und es gibt auch keine Löschpapiere dafür. Der Kapitän meint, die müsse man dann wohl „versehentlich“ in Genua mitentladen haben, wo er von seiner Fahrt aus Hamburg zwischengedockt habe. Die Klappen unter dem Bauch des Schiffes, sagt er, seinen keinen Moment geöffnet worden. Allerdings (auf unseren Kutter bricht beim Mithören schallendes Gelächter aus), allerdings sei es „schon zwei- oder dreimal bei Kollegen mit ähnlichen Schiffstypen vorgekommen, daß sich die Klappen von selbst geöffnet und wieder geschlossen haben. Da gab's erheblichen Schaden.“ Er wolle aber prüfen, ob etwa ein verschlafener Matrose da herumgefingert habe und sich nun schäme, es zuzugeben. Die Kollegen auf dem Schiff melden ihren Verdacht nach Neapel und fragen nach, was sie machen sollen. Die Sache wird wohl erst am nächsten Morgen entschieden.

„Die Ausreden, die wir hören“, berichtet der Küstenwächter, „könnten Bücher füllen.“ Da war einer, der noch, während die Finanzwache aufs Schiff stieg, schnell die Klappen öffnete und dann behauptete, er sei so erschrocken gewesen, daß er den falschen Hebel bedient habe. Ein Syrer schwor bei den Köpfen seiner Kinder und seiner drei Frauen, daß die zwanzig Fässer, die die Polizei sicherstellte, überhaupt nicht von ihm geladen worden seien. „Muß wohl der Klabautermann zugeschlagen haben“, kommentiert Inspektor Di Frosi. Messungen auf dem Schiff hätten ergeben, daß da mit Sicherheit Zyanide an Bord waren.

Ein anderer Steuermann gab sich furchtbar verängstigt und behauptete, man habe ihm wohl Atommüll aufgedreht, vor allem Anzüge, die die Handwerker in Reaktoren tragen und die völlig verseucht seien. Die Beamten sollten ihre Geigerzähler hervorholen. Da oben auf der Ladung tatsächlich viele Sicherheitsanzüge lagen, hielten die Beamten ihre Strahlenmeßgeräte hin – die aber zeigten keinen Ausschlag, so daß es zunächst Entwarnung gab. „Das Dumme war nur“, räumt einer der Finanzwächter halblaut ein, „ daß unsere Kollegen offenbar so erleichtert waren, daß sie den Krempel nicht mehr weiter untersucht haben. Und unter den Anzügen und Stoffetzen hatte der Kerl offenbar einige hundert Arsenfässer versteckt.“ Das aber konnte erst viel später aufgrund von Ermittlungen bei Firmen festgestellt werden, die derlei loswerden wollten und aus deren Ambiente ein ehemaliger Angestellter gesungen hatte.

Gegen vier Uhr, noch immer ist es stockfinster und mittlerweile auch etwas neblig, plötzlich Alarm: Schon fast an der Küste nähert sich uns ein relativ großes Schiff und macht nicht die geringsten Anstalten, auszuweichen. Unser Kutter schlingert nicht schlecht, als der mächtige Rumpf hör-, aber nicht sichtbar an uns vorbeirauscht – mit einer Überraschung dahinter: Kollegen auf einem Schnellboot machen sich über Sprechfunk bemerkbar und brausen hinterher. In zwanzig Minuten ist das Schiff gestellt, vier Boote der Küstenwache dümpeln drum herum. Die Beamten entschließen sich zur Durchsuchung, das Schiff wurde noch in jener Zone aufgehalten, die das erlaubt. Das Schiff, auf dessen Bug arabische Buchstaben gepinselt sind und auf dem die Flagge Panamas prangt, führt Papiere mit, die so harmlos sind, daß „alleine das schon Argwohn weckte“, berichtet unser Kapitän, der mal schnell hinübergetuckert ist. „Wer will denn schon Nägel, Autoteile und gepreßte Bierdosen ins Meer verklappen, wo das alles doch recycelbar ist.“

Daß die Frachtpapiere jedenfalls nicht die ganze Wahrheit beinhalten, stellt sich schnell heraus: Ein Container mit der englischen Aufschrift „Farblich verunreinigte Holzreste“ enthält Fässer, die heftig gluckern: Meßgeräte zeigen nach dem Öffnen sofort eine hohe Konzentrationen hochgiftiger Dioxine an, offenbar verseuchte Maschinenteile und Bauschutt, was man einfach mit einer etwa zehn Zentimeter dicken Ölschicht bedeckt hatte.

Einer der Finanzwächter übernimmt provisorisch das Kommando. Eine halbe Stunde später legt eine weitere Patrouille an, ein Steuermann leitet das Schiff nun mit seinen Matrosen in Richtung Neapel, wo es beschlagnahmt werden soll. Die Mannschaft samt Kapitän wird vorläufig festgenommen.

Als wir gegen neun Uhr wieder an Land gehen, erfahren wir die neueste Version des verdächtigten Kapitäns: Er habe aus Versehen in Gioia Tauro die falschen Papiere mitgenommen. Tatsächlich bestätigt die dortige Hafenbehörde, es gebe da noch andere Dokumente. Der Kapitän hebt resignierend die Schultern. „War alles umsonst“, sagt er.

Der kleine Ort in Unteritalien ist, trotz unzähliger Festnahmen, das Hauptnest der kalabresischen Mafia. Und die, sagt der Kapitän, „ist derzeit so tief im Müllverklappgeschäft drin wie vorher nur im Drogenhandel.“ Im Klartext: Wenn dort angeblich vergessene Papiere liegen, sind sie wohl gefälscht. Doch ob sich das jemals wird nachweisen lassen, ist fraglich.