Wer garantiert die Bewegungsfreiheit?

Die Verschleppung von 16 bosnischen Zivilisten in Sarajevo verlangt ein Eingreifen der Ifor-Truppen. Die Bestimmungen des Dayton-Abkommens sind aber nicht immer eindeutig  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Nur zwei Wochen nach Inkrafttreten steht das Abkommen für Bosnien-Herzegowina vor seiner ersten ernsthaften Bewährungsprobe. Ausgelöst wurde diese Bewährungsprobe durch die Verschleppung von 16 bosnischen Zivilisten in Illidža, einem serbisch kontrollierten Vorort Sarajevos. Drei der 16 Zivilisten sollen inzwischen wieder freigelassen worden sein. Die Internationale Truppe für Bosnien (Ifor) will die Verschleppung jetzt auf der gemeinsamen Militärkommission der ehemaligen Kriegsparteien zur Sprache bringen. Damit aber weicht sie der Frage aus, wer für den ungehinderten Verkehr von Zivilpersonen in Sarajevo und anderen Teilen des Landes verantwortlich ist beziehungsweise wie auf Verstöße gegen dieses Recht zu reagieren ist. In diesem Punkt aber ist der Text des Abkommens noch eindeutig. Die Aufgabe, „den Verkehr von Zivilpersonen, Flüchtlingen und Vertriebenen zu beobachten, Behinderungen zu unterbinden und auf Gewaltakte gegen diese Personen und ihr Leben mit angemessenen Maßnahmen zu reagieren“, wird im Dayton-Abkommen unmißverständlich der Ifor übertragen.

Im Widerspruch dazu stehen die Behauptungen des Ifor-Kommandeurs, General Leighton Smith, und seiner Sprecher, wonach die von der UNO zu stellende Internationale Zivilpolizei zuständig sei. In Annex 11 des Abkommens, das die Rolle der UNO-Polizei regelt, ist von einer derartigen Zuständigkeit indes keine Rede. Überhaupt hat die UNO-Polizei neben Aufgaben der „Beobachtung und Inspektion der Aktivitäten lokaler Polizeikräfte“ sowie deren „Beratung“ keine eigenständigen Durchsetzungskompetenzen. Die UNO-Polizisten sollen jeweils nur „unterstützend durch Begleitung“ der lokalen Polizeikräfte auftreten. Der Versuch der Ifor, „die eigene Verantwortung auf andere abzuschieben“, wie ein UNO-Vertreter in Sarajevo kritisch anmerkte, ist um so fragwürdiger, als die Internationale Zivilpolizei vor Ort in Bosnien noch gar nicht präsent ist. Der Aufruf des Sicherheitsrats an die UNO-Mitgliedsstaaten, für die auf 1.567 Mann geplante Truppe Polizisten abzustellen, ist bisher nur auf mäßige Resonanz gestoßen. Der Versuch des Ifor-Kommandeurs, die Verschleppung der muslimischen Zivilisten als „eine Tat von Banditen“ ohne politische Relevanz herunterzuspielen, ist überdies durch die gestrige Erklärung von Dragan Drajić, einem Mitglied der bosnisch-serbischen Regierung und deren Verbindungsmann zur Ifor, durchkreuzt worden. Laut Drajić wurden die muslimischen Zivilisten „festgenommen und einem Verhör unterzogen“, weil sie bei ihrer Fahrt durch Illidža die „vorgeschriebene Route verlassen“ hätten. Eine „vorgeschriebene Route“ aber gibt es gar nicht. Diese Erklärung ist mithin ein eindeutiger Verstoß gegen das Bosnienabkommen, in dem der freie Personenverkehr ohne jede Einschränkung und ausdrücklich auch über die bisherigen Frontlinien vereinbart wurde.

Auf noch größere Schwierigkeiten stoßen zwei weitere Vereinbarungen des Abkommens, die bei seiner Unterzeichnung hochgepriesen wurden: das Recht von Flüchtlingen und Vertriebenen, an ihre früheren Wohnorte zurückzukehren; sowie das Recht von Menschenrechtsbeobachtern und Vertretern des Internationalen Tribunals von Den Haag, Srebrenica und andere Orte mutmaßlicher Kriegsverbrechen aufsuchen zu können. Die Durchsetzung dieser Bestimmungen wurde im Abkommen weder der Ifor noch der UNO-Polizei ausdrücklich übertragen. Und auch im Mandat des UNO-Sicherheitsrats an die Ifor und die UNO-Polizei ist diese Frage nicht eindeutig geregelt. Potentieller Stoff für künftige Kontroversen. Nicht auszuschließen ist, daß derartige Kontroversen auch unter den an der Ifor beteiligten nationalen Truppenteilen, zum Beispiel zwischen Amerikanern und Franzosen, aufbrechen werden.