Intifada-Opfer ziehen vor Israels Gerichte

■ Palästinenser verlangen eine finanzielle Entschädigung

Tel Aviv (taz) – Die israelische Regierung steht unversehens vor einem Problem, das sie unbedingt umgehen möchte, ehe eine Lawine von Prozessen und Kosten auf sie zurollt: Palästinenser, die während des Aufstandes gegen die israelische Besatzung verletzt wurden, ziehen vor israelische Gerichte, um eine Entschädigung einzuklagen. Bislang handelt es sich erst um rund 1.000 Fälle. Doch die Forderungen belaufen sich bereits jetzt auf insgesamt mehrere hundert Millionen Schekel, die Schwerbehinderte und andere unbewaffnete Opfer israelischer Soldaten nun von den Sicherheitsbehörden verlangen. Dabei stützen sich die Kläger auf israelisches Recht.

Ein solcher Fall ist der inzwischen 20jährige Palästinenser Ali Mohammed Fanon aus dem Dorf Nahalin bei Bethlehem, der von der israelischen Rechtsanwältin Lea Tsemel vertreten wird. Vor sechs Jahren, also im Alter von 14, wurde er von sechs Schüssen israelischer Grenzschutzleute und Soldaten getroffen und an der Wirbelsäule so schwer verletzt, daß er Zeit seines Lebens gelähmt sein wird. Er hat eine eidesstattliche Erklärung abgegeben, daß er an keinerlei Aktionen gegen die Besatzungsmacht beteiligt war. Andere Fälle beziehen sich auch auf den Verlust von Besitz, beispielsweise die Sprengung eines Hauses im Rahmen einer Kollektivstrafe.

Das israelische Verteidigungsministerium hat sich in dieser Angelegenheit bereits an Ministerpräsident Schimon Peres gewandt, der zugleich Verteidigungsminister ist, und dringend um eine „Lösung“ dieses Problems gebeten. Das Ministerium hat sich für Gesetzesänderungen ausgesprochen, um weitere Klagen zu verhindern und den Gerichten die Möglichkeit einer pauschalen Ablehnung von palästinensischen Entschädigungsforderungen zu geben. Alternativ wäre möglich, der palästinensischen Autonomiebehörde eine globale Summe zur Verfügung zu stellen, die diese dann an die Opfer verteilt – unter der Bedingung, daß damit alle individuellen Ansprüche an Israel als erledigt gelten.

Peres lehnt Entschädigungszahlungen an Palästinenser grundsätzlich ab, die während der Intifada verletzt wurden oder materiellen Schaden erlitten haben. „Das ist keine rechtliche, sondern eine politische Angelegenheit“, argumentiert Peres. „Es kommt nicht in Frage, daß wir für die Intifada bezahlen, die uns aufgezwungen wurde. Die Palästinenser haben sich gegen uns erhoben, sie wollten Israel bezwingen. Kein Staat hat in so einer Situation (Entschädigungs-)Zahlungen geleistet, und wir werden da keine Ausnahme sein. Wir haben ja auch keine Wiedergutmachung für die Opfer gefordert, die wir in der Intifada zu beklagen hatten. Gäbe es eine solche Gegenseitigkeit, könnte man eine Wiedergutmachung erwägen; aber so, wie die Dinge stehen, muß jede der beiden Seiten für ihre eigenen Leute sorgen.“

In Jerusalem rechnet man nun auch damit, daß die Autonomiebehörde enorme Summen für enteigneten Privatbesitz einklagen wird. Dabei geht es um die Beschlagnahmung von arabischem Landbesitz in Westjordanland und dem Gaza- Streifen im Zusammenhang mit dem Bau von jüdischen Siedlungen und Straßen. Frühere Kompensationsforderungen hat Israel mit dem Argument abgelehnt, daß die Grundbesitzer es versäumt hätten, die ihnen angebotenen Summen, die meist symbolischer Natur waren, anzunehmen. Schadensersatz wird nun auch von palästinensischen Kollaborateuren von ihren früheren israelischen Brotgebern verlangt. Sie argumentieren, sie könnten nicht länger in Sicherheit in den palästinensischen Gebieten leben und fordern Wohnungen und Arbeit für sich und ihre Familien in Israel.

In einem Leitartikel der israelischen Zeitung Haaretz wird eine „globale Wiedergutmachungspolitik“ abgelehnt, die „die falsche Voraussetzung bekräftigen könnte, daß Israel im Jahre 1967 die (palästinensischen) Gebiete widerrechtlich erobert hat, während die israelische Armee in Wirklichkeit im Rahmen eines Verteidigungskriegs dorthin gekommen ist“. Weiter heißt es, im Interesse der Bemühungen, eine neue Epoche in den israelisch-arabischen Beziehungen einzuleiten, sollte jede Seite diese Angelegenheit selbst lösen. Falls notwendig, sollte Israel Gesetze erlassen, die Entschädigungsforderungen von Intifada-Opfern die rechtliche Grundlagen entzieht. Amos Wollin