Demut, Duldung, Dekadenz

■ Malersaal: Barbara Bilabel inszenierte Roland Topors „Joko feiert seinen Jahrestag“

Es ist besser, man fragt hier nicht nach Motivationen, nach Stringenz, nach Rollenentwicklung. Die Dynamik von Joko feiert seinen Jahrestag, die konsequent auf den Ekel und seinen gelehrten Bruder, den Wahnsinn, zusteuert, interessiert sich nicht für überdeutliche Zäsuren. Im Rausch der Bilder des Autoren/Regisseurin-Duos Roland Topor/Barbara Bilabel verwischen sich diese Brüche zu aufgelösten Flächen, Flächen, auf denen sich Absurdes projizieren läßt.

Schließlich ist Joko auch kein Mensch im eigentlichen Sinne, und die anderen Anwesenden verklumpen sich schnell zu Organismen: der Proleten-Organismus, der dekadent-kolonialistische Organismus und der Mutter-Organismus. Zwischen derartigen phantastischen Wucherungen bleibt die Frage nach Jokos Persönlichkeit nur ein Anlaß für neue Verbiegungen.

Erst ist der Zisternen-Arbeiter von selbstbewußtem Format, so daß er zwischen seinen Kollegen, die für keine Rechtfertigung zu erniedrigt die Kolonialisten auf dem Rücken tragen, wie Pantagruel unter den Menschen wirkt. Dann taucht eine ominöse Schwarze Liste auf und Joko hat eine Angst, die er durchaus vorher schon hätte haben müssen. Und schließlich wird er ein Dulder wie alle, für ein Märtyrium auserkoren durch seine Anwandlungen von Moral. Ausgeweidet, mit zwischen den Beinen baumelndem Herzen, die Stimmen der befrackten Kolonialisten in der Brust gefangen, endet Joko sinnlos und unwissend in einem leeren, rauschenden Kosmos für ihn allein.

Wie eine surreale Verarbeitung katholischer Kindheitserziehung behandelt das Stück die Themen Demütigung, Dekadenz und Duldung. Der arme Mann bleibt, wer er ist, wenn er sich nur weiter mißhandeln läßt, die reiche Herzlosigkeit rechtfertigt sich allein durch die Souveränität ihrer Grausamkeit, und der Hort der Familie ist die Hölle, in der falsche Gefühle wie große Rettungsanker erscheinen. Erwachsene gehören hier nicht her, Kinder sind es auch nicht, Fleischreste gesellschaftlicher Verhaltensweisen könnten es sein.

Barbara Bilabel, die nach langer Abwesenheit die gute Erinnerung auffrischen wollte, die sie als Regisseurin der Kampnagel-Gruppe Babylon hier hinterließ, hat ihr Talent für starke Bilder nicht verloren. Die gemeinsam mit Thierry Favret entworfene Installation aus Fabrikteilen, Wasserbecken, Wohnecke und einem Hotelschwimmbad, drei Welten, zwischen denen nur die Monströsität sich frei bewegt, sind ein großartiger Raumentwurf. Auch die Inszenierung von Stimmungen gelingt oftmals gerade durch gebremste Übertreibung. Das Treffen von Meute und Malochern, Selbstgefälligkeit und Selbstverleugnung verwandelt sie in unangenehm subtile Folter.

Auch Tonio Arango als Joko, der versuchsweise Ungezähmte, oder Matthias Fuchs als entsetzlich kaputte Muttergestalt geben der Geschichte Profil, aber dann ist die Geschichte auch schon ausgehustet. Wirkliche Ergriffenheit will sich ebensowenig einstellen wie echter Ekel, peinigendes Mitleid oder intellektuelle Spurensuche. Dazu ist die Symbolik des Stückes – die Feisten oben und sinnlos böse, die Werktätigen unten und freiwillig hilflos – zu simpel gestrickt. Und weil die Künstlichkeit die Groteske dominiert, bleibt Joko feiert seinen Jahrestag einfach wunderlich. Nicht groß, nicht klein, nicht wild, nicht zahm, einfach wunderlich. Till Briegleb