Helden: Verwandte Von Claudia Kohlhase

Verwandte sind dicker als Wasser. Trotzdem gefriert einem bei Verwandten schneller das Blut als an Teichen und Bächen. Geht man im Winter zum Beispiel mit Verwandten spazieren, fängt es schon vor der Türe in den Fingern zu klumpen an. Intelligente Menschen gehen jetzt wieder hinein, am besten, ohne den oder die Verwandten und trinken etwas, das man ohne Verwandten trinken kann. Mit Verwandten könnte man höchstens eingedickten Alkohol trinken oder Sanddornsaft aus Senfgläsern. Manche trinken mit Verwandten aus unerfindlichen Gründen Sekt und müssen dann sehen, was sie davon haben, schlimmstenfalls neue Einladungen zu unglaublichen Festen, die es ohne Verwandte nicht geben würde.

Ohne Verwandte würde es überhaupt so manches nicht geben, es ist zu fragen, ob es Dinge wie Klingelbeutel und Küchenbrettchen oder Mülleimeraufkleber ohne Verwandte überhaupt geben würde. Es soll Menschen geben, die deswegen mit Verwandten immer drinnen bleiben, was aber noch schlimmer ist, als mit Verwandten rauszugehen, weil drinnen das Blut flüssig bleibt und überhaupt nicht mehr weiß, wohin, dann lieber klumpen.

Auch Frau P. mußte das am Neujahrstag am eigenen Leib erleben, als ihr eingeheirateter Schwager mit ihr vor die Türe trat. Sofort klumpte es im Wadenbereich, immerhin noch relativ weit unten, da es sich bei einem Schwager ja um einen Verwandten minderer Güte handelt. Es liegt also an den Verwandten, daß sich manche Leute Bekannte suchen, die auch gerne gehbehindert sein dürfen, Hauptsache, sie sind keine Verwandten, mit denen man irgendwohin gehen kann oder muß. Frau P. jedenfalls trat von dem Spaziergang mit ihrem Schwager in dem Augenblick zurück, als ihr Blut in den Waden zu klumpen begann und trank drinnen ein Glas eingedickten Sanddornsaft, da ihr Schwager dummerweise mit zurückkam. Möglicherweise gibt es Schwager, die feinfühliger sind, aber das ist schon wieder ein Paradoxon – obwohl Schwager ja eingeheiratet sind und deswegen ruhig etwas variabler sein könnten als stereotype Verwandte. Jetzt aber: Wohin mit einem Schwager, der nicht weichen will, weil er nun mal da ist? Und auch Frau P. wollte gerne bleiben, weil sie eben auch nun mal da war. Frau P. hielt sich an ihrem Sanddornglas fest, irgend etwas würde schon passieren, da war sie sicher. Vielleicht würde ihre Schwester einfach umheiraten, und man könnte vorher mit dem neuen Schwager eine Wadenprobe machen. Zur Not unter Extrembedingungen an irgendeinem Bach oder Fluß oder noch besser in der Nähe von Treibeis. Wo sonst, wenn nicht da, würde sich alles fix erweisen?

Der alte Schwager, der von alledem nichts wußte, saß übrigens leichtfertig auf dem Küchenstuhl und wippte. Kriminellere Gemüter als das von Frau P. hätten jetzt einiges tun können, um ganz neu mit einem Schwager umzugehen, aber da kam gerade eine Schwägerin herein und noch ganze andere Onkel und Tanten. Diese taten übrigens ein übriges, um den Ruf von Verwandten zu zementieren, obwohl Frau P. nicht mehr hinhörte und darum auch nicht zuverlässig wußte, was sie jeweils taten. Es genügte ihr, daß sie waren, wo sie waren, und der Schwager auch, außer, sie wären gerade gestorben, achduje.