Zwischen den Rillen
: Mehr an Schaben

■ Tobende Taktkombinationen in 3D: „Ali“ von den Schweizern Alboth!

Es ist noch nicht so lange her, da reckte ein eigentlich gar nicht kleiner, aber all die Jahre über sehr schüchterner Musikstil sein zotteliges Haupt und meldete sich. Ich bin auch noch hier, meinten die Metaller, als die 80er den 90ern Platz machen mußten, und stürzten sich in eine Innovationswut ohnegleichen. Die einen wurden immer schneller, die anderen immer böser, bis nichts mehr ging, und wieder andere gleich alles auf einmal – da ging dann ganz schnell gar nichts. Während geläuterte Thrasher wie Metallica die Charts okkupierten, suchten andere eine Nähe zum Hardcore, so wie von dort vieles an Metal-Sounds und -Strukturen adaptiert wurde. Beides wäre noch kurz zuvor undenkbar gewesen.

Ähnliches passierte auf einer anderen, dunklen Seite des Planeten. In einigen Metal-Platten dieser so offenherzigen Tage ließen sich tatsächlich Jazz-Strukturen erkennen, wenn man nur wollte. Andererseits verabschiedeten sich John Zorn, Fred Frith und andere (vor allem aus New York) zwar nicht vom Jazz, aber wurden zu Popstars, indem sie Metal-Sounds und -Ideen in ihre Noise-Collagen einbauten.

Genau dort waren auch Alboth! verortet. Drei der vier Schweizer hatten klassische Musik studiert und dann irgendwann die Kesselpauken aus dem Konservatorium entführt, um im Keller einen Heidenkrach zu veranstalten. Schließlich entdeckte man Morbid Angel, ohne Strawinsky zu vergessen. Seit nun mehr als fünf Jahren verzichtet man ebenso konsequent auf 4/4-Takt wie auf E-Gitarren – und hat doch eine Härte kultiviert, die viele ihrer Metalvorbilder zu Weicheiern degradiert.

Von beiden Polen werden sie nun goutiert, wenn auch in jeweils verschiedenen Lesarten: Die Hardcore-Fraktion erkannte die ungeheure Intensität an, Trust freute sich über „giftig schäumenden Todes-Jazz“, während das bürgerliche Feuilleton sich mühte, sie in ein akademisches Gerüst zu fügen. „In Alboth! hat Luigi Russolo vier Enkel gefunden“, gab die Zeit ihren Segen.

Und so, wie um sie herum seit zwei, drei Jahren alles in Resignation verharrt, sich Metal wieder in seiner Provinztrutzburg eingerichtet hat (und dort unbemerkt vom Rest der Welt den Rubel rollen läßt), die Grenzüberschreitungen nach einem zwischenzeitlichen Interessehoch wieder nur kleinen Zirkeln vorbehalten bleiben, so bleiben auch Alboth! weiter in ihrem Entwurf gefangen. Immerhin haben sie in den letzten Jahren den Einsatz elektronischer Klangerzeugung stetig ausgebaut. Auf „Ali“ verzichten sie auf die noch bei ihrer letzten Vollzeit-Platte „Liebefeld“ benutzten Bläser. Statt dessen fügt sich der Sampler konsequent in die ansonsten klassische Piano-Bass-Schlagzeug-Besetzung.

Waren in ihren Anfangstagen hauptsächlich die Röchellaute der Stimme für Sound-Irritationen verantwortlich, gibt ihnen das Sampling inzwischen die Möglichkeit, ein Mehr an Schaben und Knarzen zu adaptieren, das dank Nine Inch Nails und Oliver Stone inzwischen sogar den Weg ins MTV-Format gefunden hat.

Doch während NIN niemals Songstrukturen aufgegeben haben und Alboth!' Landsleute Young Gods inzwischen sogar zu ihnen zurückgekehrt sind, arbeiten die vier aus Bern weiter an der Auflösung. Immer wieder tauchen zwar Versatzstücke aus der Rockgeschichte auf, werden aber mit Mitteln des Free Jazz widerlegt. Und das sind nicht ihre einzigen Präparate: Da werden Riffs verlangsamt, bis es schmerzt. Werden klassische Komponisten einem sekundenkurzen Crashkurs unterworfen. Toben die Takt- Kombinationen. In Track Nummer vier, genannt „Berger“, finden sich fast halbminütige Pausen, man kann schon Lücken sagen, die dann doch wieder wie ein Break (oder zumindest die Karikatur eines Breaks) funktionieren. In Track acht, „Maurer“ geheißen, werden Rudimente von Rhythmus und solche eines mönchartigen Sangesgemurmels mit verlorenen, solitären Trommelschlägen ausgeblendet. Bei Alboth! finden New Age und Zerstörungswut nebeneinander ihren Platz, oft genug auch zeitgleich, ohne daß es auch nur einen Moment lang nach Kompromiß klingt.

Bedeutung kennen Alboth! nicht. Für sie ist alles eine Frage von Klängen als Farben. Versuche, sie als eine weitere Stimme ins Reich der gesellschaftsanklagenden Maschinenstimmen zu verweisen, müssen scheitern. Alle möglichen Konnotationen sind zwar vorhanden, aber heben sich gegenseitig auf, weil einfach zu viele von ihnen durch die Sounds schwirren. Auch die Stimme bietet keinen Anhaltspunkt, weil sie sich durchgehend weigert, Artikuliertes von sich zu geben. Auch wenn man manchmal Wortfetzen in fremden Sprachen zu erkennen glaubt, bleibt ein Suchen nach Bedeutung ein nutzloses Spielchen. Ihre Platten und ihre Songs bekommen ganz einfach die Namen von Prominenten (zum Beispiel Karajan, Karl May oder Maradona) oder Freunden der Band zugewiesen. Aus. Ende. Denkt selbst – das hier ist Musik.

Doch trotz dieser Brechungen nehmen Alboth! keinen ironischen Abstand von sich, das Geschäft, das sie betreiben, ist bitterernst. In der Grauzone, die sie sich ausgesucht haben, sind sie zwar nicht allein, aber übervölkert ist es dort noch lange nicht. Und zu Geistesverwandten wie God gibt es allzuoft sogar noch personelle Überschneidungen.

Als sie sich den Namen eines ermordeten Schweizer Geheimpolizisten namens Herbert Alboth gaben, haben sie ihr Koordinatensystem – so scheint es – für alle Zeiten festgelegt. Aber dieses System bietet Ausdehnungsmöglichkeiten in die Unendlichkeit in allen drei Dimensionen. Und im richtigen Leben ist Ali zuständig für den Livesound der Band. Thomas Winkler

Alboth!: „Ali“ (What's So Funny About.../Indigo)