Der Move in mir

■ „Technoqueen“ will sie nicht mehr genannt werden – auch wenn sie „ganz klar eine Identifikationsfigur“ abgibt: Die neue, die zopflose Marusha über Drogen und Kochen, Gemein- chaftssinn und Lavaströme. Sie glaubt an die Energie in uns allen und fordert sogar Gnade für Thomas Gottschalk!

taz: Wann hast du heute gefrühstückt?

Marusha: Um elf Uhr. Müsli. Mit Bananen und Äpfeln.

Weil es gesund ist?

Nee, weil's mir schmeckt. Und wenn man so viel unterwegs ist wie ich, kommt man ja auch nicht immer dazu, Essen nachzulegen.

Also schläfst du gar nicht am Tag und arbeitest nicht in der Nacht? Wir dachten, so leben DJs.

Nee. Nur wenn ich auflege. Und unter der Woche gehe ich meistens schon um halb drei Uhr nachts schlafen. Ich lege seit einiger Zeit ohnehin nicht mehr auf großen Veranstaltungen auf, von der Mayday und der Love Parade einmal abgesehen.

Was unterscheidet diese beiden Raves von den anderen? Daß deine Plattenfirma Low Spirit mehr mitverdient als an Fremdveranstaltungen?

Manchmal gibt es Anfragen aus irgendwelchen Städten, deren Namen ich zwar kenne, aber nicht weiß, wo die auf der Landkarte liegen. Da kann es einem passieren, daß man da hinfährt und nachher kein Geld bekommt oder gar kein Rave stattfindet oder alles so dilettantisch organisiert ist, daß trotz Rave nichts passiert. Heute wird alles hundertprozentig gecheckt, bevor ich einen Finger krumm mache.

Was erwartest du also von der neuen Platte? Muß jetzt alles noch größer werden als bei deinem Sensationserfolg „Raveland“?

Die läuft gar nicht, die Platte, auch die Single nicht.

Stimmt. Sie steht auf Platz 80 der Media Control Charts. Hast du etwas falsch gemacht, oder haben die Leute keinen Geschmack?

Ich habe nichts falsch gemacht. Ich frage mich eher: Huch, was habe ich richtig gemacht?

Das ist jetzt aber eitel.

Nein, wirklich! Ich finde, daß der Move, den ich im Moment mache, total aus mir heraus kommt, und daß ich den auch machen will. Ich mache meine Platten doch nicht für die Charts, sondern damit ich sie selber spielen kann. Und dann fahren die Leute hoffentlich darauf ab. Das ist das Größte, darum geht es mir.

Also ist ein Zenit schon erreicht?

Mal abwarten. Aber Techno hat mir schon immer Spaß gemacht und wird mich auch immer antreiben. Wenn ich diesen kommerziellen Erfolg wirklich hätte haben wollen, dann wäre ich eine ganz andere Welle gefahren, aber hallo! Dann hätte ich aus einem Stil, der zu mir paßt, eine Masche gemacht. Es wäre wirklich das Leichteste gewesen, fünf Folge-Singles zu „Somewhere Over The Rainbow“ zu produzieren. Da hätte ich dann richtig Geld gemacht. Das ist aber nicht das, wo ich hin will. Das einzige was mich im Moment nervt, ist, daß mich alle „Techno-Queen“ nennen.

Die haben das aus dem Presse- Info deiner Plattenfirma Motor übernommen: Dort wirst du als Deutschlands Techno-Queen bezeichnet, die gerade ihr zweites Album fertiggestellt hat.

Ja, das ist so typisch: Der eine schreibt vom anderen ab.

Ja, vom Presse-Info, das von deiner Plattenfirma herausgegeben wurde und das Stichwort nennt.

Also klar, ich bin ganz klar eine Identifikationsfigur, damit habe ich überhaupt kein Problem, ich transportiere meine Person, meine Intuition und auch mein innovatives Dasein als Sprachrohr über meine Musik und über das DJing, was natürlich nicht unbedingt das wiedergibt, was ich produziere, das hat eine viel größere Band...

Wir sind hier nicht im Fernsehen...

Also ich glaube, das ist echt ein Trugschluß, denn alles, was ich versuche zu transportieren, ist, als ein Teil der Techno-Szene – der ich ja schon lange angehöre – diese Musik nach vorne zu bewegen und nicht stehen zu bleiben und irgend etwas totzureiten; und schon gar nicht nach hinten zu gucken.

Für wen bist du Identifikationsfigur?

Für die, die sich mit mir identifizieren, sei es über die Person, sei es über die Musik oder über das, was ich auflege.

Wieder was gelernt.

Ich scheine eine Lobby zu haben, denn sonst würde ich vor leeren Hallen spielen, und keiner würde meine Platten kaufen, und keiner würde meine Fernsehsendung gucken. Und niemand meine Radiosendung hören.

Aber Interesse und Identifikation kann man doch nicht so ohne weiteres gleichsetzen.

Klar, ich kann das natürlich nicht beweisen, ob die Leute jetzt total fanatisiert sind und mich idolisieren, was ich jetzt natürlich wieder schlecht finden würde, denn man kann zwar schon Vorbilder haben, sollte aber nicht ein Abbild leben von einer Person, die man nicht kennt, von einer Person, die man nur vermeintlich über Presse und Fernsehen kennt.

Dein neues Album heißt „Wir“. Und das, obwohl Techno eine Bewegung ist, in der jeder für sich tanzt.

Nicht wirklich. Ich bin im letzten Jahr unheimlich viel gereist und habe dabei gesehen: Eigentlich stehen alle auf das gleiche Ding, nur wird das kulturell in jedem Land anders gelebt. Das hat mir das Gefühl einer großen Community gegeben.

Alle stehen auf das gleiche Ding?

Alle einigen sich ganz demokratisch auf Techno-Musik – für mich ist das „Wir“. Zweitens habe ich das Album so genannt, weil ich nicht für eine puristische oder elitäre Welle stehe, die nur Eingeweihten vorbehalten bleiben soll, sondern für mich das Ganze ein Movement ist, das nach vorne geht. Das merke ich insbesondere in den Staaten, wo die Leute ganz unverkrampft auf mich zugehen. In Deutschland ist immer eine Hemmschwelle bei den Leuten vorhanden.

Weil Marusha eine Ikone ist?

Nee, weil man sich nicht hinzugehen traut. Aber warum traut man sich das nicht?

Weil du Marusha, die Techno- Queen bist, weil „wir“ eben doch nicht alle gleich sind.

Nee, das glaube ich wirklich nicht.

Aber bei Alfred Biolek hast du dich schließlich wohl und verstanden gefühlt?

Ja, in seiner Talkshow habe ich mich noch am verstandensten gefühlt. Ganz anders ging es mir bei Gottschalk.

Und, woran lag's?

Wenn so einer die Techno-Szene auf das Problem der Drogen reduziert, dann kann ich nur noch sagen: Du warst in den Sixties ja auch gut dabei.

Hast du aber nicht gemacht – weil es eine Live-Sendung war?

Der hat selber schon genug damit zu tragen, daß er so drauf ist. Warum soll ich mich über den stellen. Er tut mir leid, daß er so drauf ist.

Bei Biolek hast du gesagt, Drogen kämen nicht nur in der Techno-Szene vor, sondern überall.

Ich habe vor allem gesagt, daß ich persönlich keine Drogen nehme.

Auch nicht Hasch probiert, in der 11. Klasse, um mal zu gucken, wie das schmeckt?

Nein. Ich habe nicht das Gefühl, daß ich Drogen brauche. Ich bin genügend ausgestattet mit eigener Energie, und irgendwie habe ich auch Angst davor. Da saufe ich mir lieber die Hucke voll, das mache ich ganz gerne mal so, und falle dann unter den Tisch. Denn das sind ja eigentlich auch Drogen: Zigaretten, Alkohol, Kaffee – alles Drogen.

Was, wenn nicht Drogen, hat dich zu der Aussage inspiriert, dein Stück „Lava“ sei der Versuch, „einen Vulkanausbruch nachzuempfinden“? Ist das nicht, pardon, Kunsthandwerk?

Ich steh' dazu: Ich habe auditiv versucht, einen Vulkanausbruch darzustellen, da hat mich allerdings ein klassischer Komponist zu inspiriert.

Und zwar?

Friedrich Smetana mit der „Moldau“.

Aber so ein Fluß hat ja nun wenig mit einem Lavastrom gemein.

Ja, aber das beschreibt einfach mal den Verlauf eines Flusses, der nicht immer gerade verläuft, der manchmal Kurven hat, mal dünn ist, mal dick, und das versucht der halt musikalisch auszudrücken.

Hast du schon einmal einen Vulkanausbruch miterlebt?

Nee, aber Naturgewalten schon. Ein Erdbeben in Los Angeles.

Und was ging dir in dem Augenblick durch den Kopf, als du das Beben miterlebtest?

Das war ganz seltsam. Das war morgens um zehn Uhr, da lag ich mit meiner Freundin noch im Bett, wir hatten uns ein Zimmer geteilt, da gab es einen Hieb. Der war 4,9 stark. Ich bin dadurch aufgewacht und dachte, daß sie sich bewegt

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hatte im Bett – das gleiche dachte sie übrigens von mir. Wir sind dann aufgestanden und sind zum Frühstück gegangen.

Und da gab es keine Teller mehr, weil alles kaputtgegangen war...

Nee, nee, da ist gar nichts passiert. Aber beim Frühstück klärte uns die Bedienung dann auf. Da war der Tag dann fürs erste gelaufen.

Dieses Erlebnis scheint dich also nicht zu „Lava“ inspiriert zu haben.

Nein, das war ein anderes: Da waren meine Eltern und ich in Griechenland, wir erlebten dort einen ganz schlimmen Sturm mit umgeworfenen Bäumen und Wolkenbruch, das war richtig Horror. Wir waren nämlich mit dem Wohnmobil unterwegs. Total gefährlich! Aber wir sind dann von der Straße abgefahren, da konnte man sich unter eine Brücke stellen.

Das war dann ja Glück im Unglück.

Ja, vorher war mein Vater voll auf dem Gas, und der Wagen fuhr trotzdem nur 30 Stundenkilometer. Ich hatte zum erstenmal in meinem Leben richtige Todesangst. Da habe ich gebetet. Und da wurde mir auch klar, daß Naturgewalten, Naturereignisse, überhaupt die Natur, die Welt, die Erde, über uns stehen, ist ja eigentlich auch vollkommen klar.

Glaubst du also an höhere Instanzen?

Nein, ich glaube nur an Energien, die wir alle haben, die von der Erde ausgehen, die von den Menschen ausgehen, die vom Universum kommen. Du hast ein Schicksal, und du kannst es nicht wirklich verändern, aber du kannst es beeinflussen. Ich beschäftige mich viel mit solchen Sachen. Was ich aufgebaut habe in den letzten Jahren, hat im wahrsten Sinne viel Energie gekostet.

(Das Handy klingelt): Hallo? Mama, ich habe gerade ein Interview, ich kann jetzt gerade nicht. Geht es denn um etwas Wichtiges? Ja. Nee, nee, der Papa hat mir gesagt, was er sich wünscht. Der Papa wollte irgendwie eine Bohrmaschine, dann kriegt er die auch. Okay, ciao...

Weihnachtsgeschenke!

Sind die Weihnachtsgeschenke, die du verschenkst, teurer geworden, seitdem du so viele Platten verkaufst?

Über das Jahr schenke ich eigentlich viel mehr, ich bin ja viel unterwegs, und ich habe überall Menschen, die ich unheimlich gern habe, und von denen ich auch weiß, daß sie nicht erst seit dem Erfolg immer für mich dagewesen sind. Egal, was war. Und denen bringe ich immer etwas mit. Das mache ich total gerne.

Wenn dich Freunde besuchen, kochst du dann auch?

Immer. Ich bin Tochter eines Kochs.

Wenn du bei Biolek eingeladen würdest zum Kochen, würdest du dann Riso Nero kochen, wie Blixa Bargeld?

Ich glaube, ich würde etwas Vegetarisches kochen. Austernpilze, Pasta, Sahnesaucen ...

... Petersilie, Zitrone ...

Ich mag Zitrone nicht. Ich mag auch kein Zitroneneis. Ich mag mehr so reichhaltige Sachen, Vollmilcheis zum Beispiel. Oder schön schwere Sahnesaucen, aber kein Limettengeschmack. Ich mag auch keine Austern.

Jeder Mensch, der gerne kocht, hat seine drei, vier Grundregeln.

Erstens: Es muß immer sauber sein, bei jedem Schritt des Kochens. Immer alles sauber machen, bevor man den nächsten Schritt macht. Zweitens: Es muß immer mehrere Gänge geben. Das heizt nämlich auch die Gastfreundschaft an. Drittens: Es gibt immer einen guten Wein, wenn wir essen, und Wasser. Viertens: Wenn man dann schön und viel gegessen hat, viel geredet und getrunken, viel geraucht hat, dann wird zusammen aufgeräumt und abgewaschen.

Frische und gute Zutaten und mit Liebe kochen sind keine Grundregeln?

Doch klar, da ich aus mediterranen Verhältnissen komme, bin ich ein totaler Küchenmensch.

Ist ja auch lustig: So ein E-Herd sieht aus wie ein DJ-Besteck – mit den Kochplatten, oder? Fehlt nur der Cross-Fader?

Könnte man assoziieren, ich habe aber einen Gasherd.

Du bist wohl schwer zum Lachen zu bringen.

Ich lache die ganze Zeit, wenn ich koche.

Warum?

Na ja, weil meine Freunde Witze machen.

(Steht auf, bellt wie ein Hund, schreit „Terror!“ und kitzelt sich selbst an der Hüfte.)

Und das machen die wirklich?

Ja, wenn ich es doch sage.

Und was hörst du für Musik, wenn du abwäschst? Richard James alias Aphex Twin hat Musik fürs Staubsaugen und Abwaschen komponiert – mit Frequenzen, die sich gegen Wasserhähne und Staubsauger durchsetzen. Machst du so etwas auch?

Da habe ich mir noch gar keine Gedanken drüber gemacht. Aber wenn ich Musik zu Hause höre, dann stimme ich die schon auf meine Tätigkeiten ab. Wenn viel geredet wird, läuft meistens Klassik, und wenn man mit dem Essen fertig ist, man kurz vor dem Weggehen ist, dann läuft meistens HipHop, um sich zu stimulieren. Aber Techno höre ich zu Hause kaum.

(Das Handy klingelt): Hallo? Wer ist dran? Hey, Gregor! Schatz, wo bist du? Zu Hause in München? Wie geht's, hast du meine Post gekriegt? Habt ihr euch gefreut? Mit wem ich rede? Mit zwei Jungs. Du störst grade, aber ich kann dich später zu Hause anrufen. Okay. Ich gebe dir kurz meine Nummer, dann kannst du mir dein Fax schicken, okay? Ciao!

Das war Gregor, der ist elf Jahre alt, ist ein Fan von mir. Das ist der Sohn von einer Regisseurin, das ist eine total süße Story.

Erzähl mal!

Und zwar: Ich bin mal im Flugzeug von Berlin nach München geflogen, und ich saß neben Gregor und seinem Freund am Fenster. Die haben irgendwann miteinander angefangen zu tuscheln. Es hieß dann: „Sag mal, dürfen wir Sie was fragen?“ Sag ich: „Ja.“ – „Sind Sie Marusha?“ Sag ich: „Ja.“ – Sagen die: „Nein!“ – Sag ich: „Doch!“ Und dann ging das Getuschel von neuem los. Die beiden haben dann noch organisiert, daß wir zu dritt ins Cockpit durften. Seitdem sind wir Freunde. Das mag ich an Kindern, daß die so vorlaut sind. Das ist dieses Ehrliche, nicht aufs Maul Gefallene. Als wir dann in München gelandet waren, hatte ich die beiden richtig in mein Herz geschlossen. Und die beiden mich auch.

Hast du nach nur einem Riesenhit, wie es „Somewhere Over The Rainbow“ war, finanziell schon ausgesorgt?

Nein. Was heißt überhaupt ausgesorgt? Wo ziehst du da die Grenzen?

Nun, daß man gut weiter leben kann für ein paar Jahre.

Man kann auch ohne Geld gut leben.

Sind die Ansprüche gestiegen?

Ich lege heute mehr Wert auf gepflegte Hotels mit gutsortierter Minibar und Kabelfernsehen. Ansonsten bin ich aber nie ein Mensch gewesen, der in so armen Verhältnissen aufgewachsen wäre, daß ich jetzt das Gefühl hätte, etwas nachholen zu müssen.

Also wirst du jetzt nicht von einem Chauffeur nach Hause gebracht?

Nein, nein. Ich fahre mit meinem pinken Skateboard nach Hause. Ganz alleine.

Interview:

Benjamin von Stuckrad-Barre

und Maximilian Dax