: Offenheit gibt Kraft
Je erfolgreicher Greenpeace wird, desto dringlicher stellt sich die Frage: Wieviel Demokratie braucht eine effektive Umweltorganisation? ■ Von Ansgar Klein
Nach den erfolgreichen Kampagnen zu Brent Spar und den französischen Atomtests auf Moruroa hat die Frage nach der Legitimität von Greenpeace an Gewicht gewonnen. Diese Frage konfrontiert die Politik der sozialen Bewegungen der 90er Jahre mit den eigenen, in den 70er und 80er Jahren formulierten Demokratisierungsansprüchen. Sie lenkt den Blick auf den Formwandel der Politik der neuen sozialen Bewegungen insgesamt.
Gesichtspunkte strategischen Handels und effektiver Intervention haben den basisdemokratischen Charme weitgehend verdrängt, der noch in den 80er Jahren für die neuen sozialen Bewegungen kennzeichnend war. Die Bewegung hat sich professionalisiert und institutionalisiert, Organisationen haben weitgehend die Regie bei der punktuellen Protestmobilisierung übernommen. Sie können sich auf eine – an Protestereignissen dokumentierbare – anhaltend hohe Bereitschaft zu unkonventionellen Formen politischer Beteiligung stützen und verfügen zudem über den Resonanzboden angestellter Ökokämpfer.
Der Formwandel der Bewegungspolitik hat die Diskussion ihrer demokratischen Legitimitätskriterien schon seit längerem auf die Tagesordnung gesetzt. Doch bislang scheint die Debatte sich weitgehend in dem unfruchtbaren Gegensatz von Basisdemokratie und Elitendemokratie zu bewegen. So wird das virulente bewegungsinterne Problem politischer Stellvertretung entweder in Richtung einer Kritik an den Bewegungseliten- und Bewegungsorganisationen oder aber in Richtung einer Effektivitäts- und Rationalitätsdebatte vereinseitigt. Auch professionelle Politik kann jedoch radikale Politik sein. Löst man sich von der argumentativen Beschränkung auf diesen Teil der Legitimitätsfrage, so geraten Zukunftsprobleme von Organisationen wie Greenpeace insgesamt in den Blick.
Politische Beteiligung und die Berücksichtigung von Betroffenheit sind aus Sicht partizipativer Demokratie die maßgeblichen Legitimitätskriterien für die neuen sozialen Bewegungen. Sie beziehen sich auf die „Input“-Seite des politischen Prozesses. Bewegungsorganisationen setzen ihrerseits den Rückenwind von Mobilisierung und öffentlicher Aufmerksamkeit voraus. Sie beobachten die behördliche Bearbeitung politischer Probleme und suchen über Verhandlung und Beratung, Lobbying und Öffentlichkeitsarbeit Einfluß auf die politischen Entscheidungen zu nehmen. Sie sind daher vor allem mit der Bearbeitung politischer Probleme und den entstehenden Ergebnissen konfrontiert. Demokratietheoretisch gewinnen vor diesem Hintergrund Kriterien der Effektivität politischer Interventionen und der Rationalität politischer Entscheidungen an Gewicht.
Greenpeace ist der Prototyp einer stark hierarchisierten und zentralistischen „multinationalen Bewegungsorganisation“ (Dieter Rucht). Das Kriterium effektiver Aktionsstrategie hat sich hier auf Kosten innerorganisatorischer Partizipation durchgesetzt. Effektivität wird von Greenpeace zudem vornehmlich aus der Perspektive von Erfordernissen einer internationalen Handlungsarena durchbuchstabiert. Die nationalen und lokalen Ökologiebewegungen nehmen die Aktionen von Greenpeace ebenso wie die Öffentlichkeit zumeist überrascht zur Kenntnis. Sie empfinden die Politik der medialen Inszenierungsagentur Greenpeace als Ausnutzen der eigenen Bemühungen, eine Kritik, die sich zuweilen bis zum Vorwurf des Parasitentums gesteigert hat.
Die aus der Ökologiebewegung entstandenen nationalen Bewegungsorganisationen sind aufgrund ihrer stärkeren Mitgliederorientierung in ganz anderer Weise mit den Erfordernissen der Binnenkommunikation konfrontiert. Diese schließt bei Bewegungsorganisationen die Kommunikation innerhalb des Bewegungssektors ein. Nur Binnenkommunikation erzeugt in sozialen Bewegungen Selbstlegitimation, Koordination und eine für effektiven Protest notwendige Klärung gemeinsamer Interessen, Orientierungen und Situationsdeutungen. Eine professionalisierte Ökologiebewegung kann auf den Resonanzboden mobilisierungsfähiger ökologischer Netzwerke nicht verzichten. Der legitimatorische Härtetest liegt aus dieser Sicht in glaubwürdiger Binnenkommunikation.
Legitimität scheint für Greenpeace derzeit jedoch vor allem eine Frage des Medienimages und einer entsprechend diffusen Glaubwürdigkeit zu sein. Doch hat sich die Organisation durch ihre Erfolge selbst unter den Druck hoher Erwartungen gesetzt. Symbolische Politik ist in ihrer asymmetrischen Kooperation mit den Massenmedien von den Selektionskriterien der Medien abhängig und so in besonderem Maße dem Risiko des Verschleißes und der Abnutzung von Dramatisierungen ausgesetzt. Andererseits bringt Greenpeace eine mediale Verstärkerressource mit, von der die gesamte Ökologiebewegung profitieren könnte. Dazu ist es freilich erforderlich, daß sich Greenpeace in einer Weise öffnet, die die Effektivität der eigenen Kampagnenpolitik nicht gefährdet.
Um sich von den Risiken der Medienkonjunkturen unabhängiger zu machen, muß sich Greenpeace kooperativer auf den Bewegungssektor und dessen Organisationen beziehen. Nur wenn Effektivität und Rationalität sich mit Partizipation verbinden – und sei es in der Form einer institutionellen Öffnung zu den Organisationen der Ökologiebewegung –, kann Greenpeace sich vor den Risiken des eigenen Erfolgsmodells schützen.
Denkbar wären etwa eine breitere und mit mehr Kompetenzen ausgestattete Beiratsstruktur, die sich für andere Bewegungsorganisationen öffnet, Manöverkritiken ermöglicht und Fragen der Koordination und Arbeitsteilung in der nationalen und internationalen Arena behandelt. Gemeinsame Arbeitsplanungen und -koordination statt Verbandskonkurrenzen sind schon deswegen erforderlich, weil den Bewegungsorganisationen eine weitere Abschwächung ihres Bewegungscharakters mit allen zugespitzten Problemen der Bürokratisierung droht. Eine mögliche Folge wäre der Kommunikationsabbruch zu einem nur noch punktuell mobilisierungsfähigen Bewegungssektor. Die wechselseitige negative Verstärkung von Vereinzelung und Erosion wäre dann zu erwarten. Die Etablierung einer anspruchsvollen Form politischer Stellvertretung im Bewegungssektor würde untergraben.
Legitimationsengpässe lassen sich durch organisationspolitische Flexibilität möglicherweise mindern, ohne die Vorteile des eigenen Organisationsmodells zu gefährden. Vermutlich gilt der Spruch „Never change a winning team“ doch nur im Sport. Für Greenpeace kommt es darauf an, das eigene Erfolgsmodell durch organisatorische Öffnung auch für die Zukunft offenzuhalten.
Ansgar Klein ist Sozialwissenschaftler und seit 1988 Mitherausgeber und Redakteur der Vierteljahreszeitschrift „Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen“, des bundesdeutschen Diskussionsforums einer sozial- und politikwissenschaftlichen Bewegungsforschung.
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