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Karatschi – die mörderische Metropole

Die Bewohner der pakistanischen 10-Millionen-Stadt sind gefangen im erbitterten Kampf zwischen der oppositionellen Mohajir-Bewegung und der Regierung Benazir Bhuttos  ■ Von Bernard Imhasly

Delhi (taz) – Pakistans Wirtschaftsmetropole Karatschi war gestern fast völlig lahmgelegt: Die wichtigsten Geschäftszentren, großen Märkte und die Börse hielten ihre Tore verschlossen. Aufgerufen zu dem Generalstreik in der 10-Millionen-Stadt hatte die oppositionelle Mohajir-Qaumi-Bewegung (MQM), die einen erbitterten Kampf gegen die Regierung führt. Allein in den ersten Tagen dieses Jahres starben nach Angaben der Behörden bei politisch motivierten gewaltsamen Auseinandersetzungen 31 Menschen, im vergangenen Jahr waren es über 2.000.

Die MQM vertritt die Urdu sprechende Bevölkerung, die bei der Teilung des indischen Subkontinents 1947 aus dem heutigen Indien nach Pakistan zuwanderte. Sie wirft der pakistanischen Regierung vor, diese „Mohajirs“ zu unterdrücken. Ihr Chef, Altaf Hussain, lebt in London im selbstgewählten Exil.

Zu den prominentesten Opfern der Gewalt in Karatschi gehörten Mitte Dezember der Bruder und ein Neffe Altaf Hussains. Die beiden Geschäftsleute waren gefesselt, mit verbundenen Augen und unzweideutigen Spuren von Folterungen aufgefunden worden. Hussain machte die Regierung für die Morde verantwortlich und ließ gegen den Präsidenten, die Premierministerin, den Gouverneur und Chefminister der Provinz Gerichtsklagen erheben. Gleichzeitig appellierte er an die UNO, eine Beobachtermission nach Karatschi zu senden, um dem „Genozid“ ein Ende zu setzen. Nach dem unaufgeklärten Mord an zwei Angestellten des US-Konsulats kritisierte erstmals auch Washington die „staatlichen Willkürakte“ der pakistanischen Behörden.

Für die Mohajirs jedenfalls, die vor fast fünfzig Jahren zugewanderten Muslime aus Indien, ist die Regierung der eigentliche Feind, und ihre Scharfschützen nehmen immer wieder Polizei und staatliche Institutionen aufs Korn. So vermag die Erklärung des Chefministers der Provinz Sindh, bei den Mördern an den Verwandten des Altaf Hussains handle es sich um Rivalen innerhalb der Mohajir-Bewegung, nicht zu überzeugen. Die Vertreter der „MQM-Haqiqi“, einer von der Armee protegierten Gegenpartei, sind in den letzten drei Jahren von der MQM Altaf Hussains weitgehend eliminiert worden.

Plausibler wirken die Vermutungen pakistanischer Zeitungen, die im Mord einen Racheakt der Sicherheitskräfte sehen, nachdem am 23. November der Bruder des Chefministers durch Unbekannte erschossen worden war.

Die Spirale von gegenseitigen Racheakten hat inzwischen eine Eigengesetzlichkeit entwickelt, unter der die politischen Positionen der Streitparteien begraben werden. Versuche zur Vertrauensbildung durch Gespräche zwischen MQM und Regierung werden immer wieder von neuen Fememorden eingeholt. Die Hoffnung, daß Premierministerin Benazir Bhutto bei ihrem Besuch in Karatschi Ende Dezember eine Wiederaufnahme der im September abgebrochenen Verhandlungen ankündigen werde, erfüllte sich nicht. Die Positionen sind zu verhärtet.

Der Konflikt rührt im tiefsitzenden Gefühl der Enttäuschung und Benachteiligung der ehemaligen Flüchtlinge. Als Pioniere des neuen Staates hatten sie während Jahrzehnten das Rückgrat der Verwaltung Pakistans gebildet. Mit der zunehmenden Artikulation von politischen Parteien und ethnischen Gruppen gerieten sie aber ins Abseits: die Vertreter des bevölkerungsreichen Punjab füllten immer mehr die Ränge von Armee, Polizei und Bürokratie. Und in der Provinz Sindh, wo die große Mehrheit der Mohajirs lebt, zwang die Sindhi-Mehrheit die Parteien, für die Zuteilung von Arbeits- und Studienplätzen nach ethnischen Kriterien zu sorgen.

Die Mohajirs, welche im Islam die einzig gültige Identität eines Pakistaners sehen wollten, kamen in dieser ethnischen Aufteilung des Landes immer mehr unter die Räder. Mit ihrem Anteil von 12 Prozent an der Gesamtbevölkerung und ihrer Konzentration in den Großtädten des Südens – in Karatschi bilden sie mit 54 Prozent die Mehrheit – haben sie zwar politisches Gewicht, das aber weder in der Provinz noch auf nationaler Ebene mehrheitsfähig ist. Die MQM fordert daher, ihre Hochburgen Karatschi und Hyderabad aus der Sindh-Provinz auszugliedern und sie als eigene Provinz anzuerkennen. Dies will die Regierung keinesfalls akzeptieren. Da keinerlei Alternativen angeboten werden, erklärt sich der Trend der MQM zu Mitteln der Gewalt.

Für Benazir Bhutto, die aus Sindh stammt und deren Partei mit dem Ausspielen der Sindhi-Karte groß geworden ist, ist die MQM nicht viel mehr als eine Bande von Killern. Sie hat immer große Mühe bezeugt, die Ängste dieser marginalisierten Mittelklasse ernst zu nehmen. Sie hat sie sogar, in perfider Anspielung auf ihre indische Herkunft, als Landesverräter bezeichnet und der Kollusion mit dem indischen Geheimdienst verdächtigt. Ihre „Pakistan People's Party“ (PPP), die auch in Sindh die Regierung stellt, hat auch nicht gezögert, bewaffnete Milizen auszubilden und sich mit der MQM regelrechte Kleinkriege zu liefern.

All dies schadet dem Image der Premierministerin, die sich besonders gegenüber dem Verbündeten USA als ausgleichende Kraft in einer zunehmend instabilen Region profilieren möchte. Während sie den Finger auf Indien richtet, das ihr diese Rolle mißgönne, gibt es in Indien Stimmen, welche interne Kräfte für die ungehemmte Spirale der Gewalt in Karatschi verantwortlich machen. Sie weisen auf das tiefe Mißtrauen hin, das die islamischen Parteien und auch islamistische Strömungen innerhalb der Streitkräfte der „maßvollen“ Islam-Politik der Premierministerin entgegenbringen; auf die Maßnahmen der Regierung gegen extremistische Elemente unter den Islamisten reagierten diese mit anonymen Attentaten in Karatschi, um Benazir Bhutto weiter zu schwächen.

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