Alltägliche Gepflogenheit

■ Asylbewerber werden nicht nur bespitzelt

Alles wäre so bequem zu den Akten zu legen. Da hat sich im oberbayerischen Lech der Chef eines Detektei-Sicherheitsunternehmens im Morgengrauen auf die Lauer gelegt, um herauszufinden, welcher asylsuchende Fremdling wann wohin, mit wem und zu welchem Behufe geht. Kann ja mal passieren, daß einem Wachschützer der Diensteifer durchgeht und er – ganz aus freien Stücken – ins Gebüsch steigt, um andere zu bespitzeln. Amtlicher Auftrag? Gott bewahre, den hat ihm niemand erteilt – höchstens manchmal, einen ganz klitzekleinen. Und Geld hat der eifrige 008 auch nie bekommen – höchstens eine Pauschale, regelmäßig, alles inklusive.

Damit wäre der Skandal elegant aus der Welt geschafft. Alles das Werk eines durchgeknallten Möchtegerns. Und gegen schwarze Schafe ist halt keine Gesellschaft gefeit. Was aber, wenn die Gesellschaft in einem ihrer Teilbereiche aus einer ganzen Herde solcher schwarzen Schafe besteht, und zwar dort, wo es um die Behandlung von Asylbewerbern geht?

Dort haben sich die schwarzen Schafe mittlerweile so vermehrt, daß sie in stiller Kumpanei eine Ordnung eingeführt haben, die andere zu Freiwild erklärt. Für Asylbewerber gelten längst eigene Gesetze. Die stehen nirgends geschrieben – außer in der Praxis: Asylbewerber darf man zwangsröntgen, um ihr vermeintliches Alter festzustellen, man darf ihnen Mittel einflößen, damit sie sich stundenlang erbrechen und dabei – vielleicht – ein Päckchen Heroin herausbefördern. Asylbewerber darf man als lebende Mumien verschnüren und so ins Heimatland verschicken, man darf ihnen vorschreiben, in welchen Läden sie einkaufen und was sie essen sollen. Solange es nicht publik wird, darf man ihnen auch das öffentliche Schwimmbad verbieten. Und ganz legal darf man ihnen das Existenzminimum kürzen und jeden von ihnen als potentiellen Verbrecher erkennungsdienstlich behandeln.

Es ist diese gängige Vergabe von zweierlei Gütesiegel für Menschen, die die Bespitzelung von Asylbewerbern in Oberbayern zu einer selbstverständlichen Dienstgepflogenheit machen konnte. Und es ist diese augenzwinkernde Duldung von zweierlei Menschenwürde, die unser Rechtssystem allmählich unterhöhlt. Ginge es nur um diesen einen Fall von behördlich sanktioniertem Denunziantentum – der politische Flurschaden wäre begrenzbar. Aber es geht um die Stabilität der demokratischen und moralischen Eckpfeiler unserer Gesellschaft. Vera Gaserow