Wundersame Vermehrung

■ Umsetzung heißt das Zauberwort, mit dem Schulsenatorin Raab Lehrerstellen vervielfältigt und keinen Pfennig dazubezahlt Von Patricia Faller

Man nehme 15.500 LehrerInnen, drücke ihnen eine Stunde mehr Unterricht aufs Auge, kürze hie ein paar Lehrerstunden für Teilungsunterricht und reduziere da Schulleiter-, Tutoren- oder Koordinatorenstunden und Stunden für die Betreuung schulischer Sammlungen und Fachräume. Jetzt noch die Begrenzung der Freistellung von Personalratsmitgliedern und die Einführung des bedarfsdeckenden Unterrichts für Referendare, und fertig ist die wundersame LehrerInnenvermehrung in Zeiten des Spardiktats – zusammengebraut von Schulsenatorin Rosemarie Raab.

Die Bilanz: An den Gymnasien sind im August 1996 voraussichtlich 228 Planstellen zuviel, an Berufsschulen sogar 240, dafür gibt es durch die Einführung der sogenannten „Verläßlichen Halbtagsgrundschule“ 237 Planstellen zuwenig, an den Gesamtschulen fehlen 56. Neueinstellungen sind danach rechnerisch nicht notwendig. Die „überflüssigen“ Lehrer werden dorthin verschoben, wo sie gebraucht werden: 115 Stellen geben die Gymnasien und 68 die Berufsschulen an die Grund-, Haupt- und Realschulen (GHR) sowie die Gesamtschulen ab. Letztere – als Durchgangsbahnhof – bedienen den GHR-Bereich mit 39 Lehrerstellen. 222 Verschiebungen – zunächst begrenzt auf zwei Jahre – sind angekündigt.

Da viele Schulen keinen ganzen Lehrer in ihren Organisationsplan einbauen können, weil beispielsweise die Fächerkombination das nur begrenzt zuläßt, werden Teilumsetzungen erwartet. Dabei rechnet die GEW mit 400 bis 500 LehrerInnen, der Deutsche Lehrerverband (DL) mit 500 bis 600, die umgesetzt werden. Im Februar sollen die ersten die Fortbildungsschulbank drücken. Denn: andere Schulen, andere Methoden, andere Themen und eine andere Sprache.

Was bedeutet die Umsetzung für die einzelnen Schulen?

Nur zehn neue LehrerInnen sind für die Gymnasien vorgesehen. „Opa kommt den Gang entlang“, hört der Vorsitzende der Schülerkammer, Steven Galling, schon die künftigen SchülerInnen rufen, weil ihr Lehrkörper zunehmend vergreist: „Bereits jetzt glänzen viele Lehrer dadurch, daß sie in einer vom Schülerleben vollkommen getrennten Welt leben und sich kaum noch mit Problemen der Jugendlichen auseinandersetzen können.“ Die Zahl der Langzeitkranken unter GymnasiallehrerInnen ist mittlerweile laut Personalrat nahezu doppelt so hoch wie die der behördlich vorgesehenen Vertreterstellen. Der DL fürchtet, daß Klassen und Gruppen zusammengelegt werden müssen und die Umsetzungen vor allem zu Lasten der freiwilligen Arbeitsgemeinschaften und des Förderunterrichts gehen.

Berufsschulen werden weiter ausgedünnt. An den Gesamtschulen verliert der pädagogische Reformprozeß, konstatiert die GEW, wenn zwangsversetzte Gymnasial- und BerufsschullehrerInnen dort eingesetzt werden. Aber auch an den Grundschulen reichten die Stellenpläne nicht aus, wie die Praxis mit der erhöhten Stundenzahl für die ersten und zweiten Grundschulklassen zeigt. Viele Kinder und LehrerInnen überschritten täglich die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit, weil ständig Teilungsstunden und Doppelbesetzungen wegen Personalmangels ausfielen. „Die Personaldecke kann man hin- und herziehen wie man will, sie ist einfach zu kurz“, erklärt der GEW-Chef Hans-Peter de Lorent. Für die Qualitätssicherung des Hamburger Schulwesens sind seiner Ansicht nach 500 zusätzliche Stellen notwendig, um ein Minimum an Erneuerungen in Gymnasien und berufsbildenden Schulen zu erhalten und eine zweistündige Doppelbesetzung in der Grundschule pro Klasse und Tag zu garantieren.

Bis zum Jahr 2000 werden durch Pensionierungen 750 Stellen frei, errechnete die Gewerkschaft. Damit könnten jährlich 1000 neue LehrerInnen eingestellt werden. Daß eine vernünftige Personalplanung bereits jetzt beginnen müsse, da sind sich die beiden LehrerInnen-Organisationen ausnahmsweise einig – die Ausbildung von LehrerInnen dauert immerhin zwischen acht und elf Jahren. „Das Dilemma ist nur, daß diejenigen, die jetzt Politik machen, dann nicht mehr in der Verantwortung stehen“, erklärt der DL-Vorsitzende Peter Braasch.