„Meine Kinder machten mich radikaler“ gema

■ Im Gespräch: Professor Jens Reich über allzu wohlige Befindlichkeiten bei der Aufarbeitung der DDR-Geschichte

Am kommenden Montag wird Jens Reich in Bremen die Einführung zur Ausstellung „Zum Herbst –89, demokratische Bewegung in der DDR“ in der Unteren Rathaushalle halten. Die in Leipzig konzipierte Ausstellung wird zum ersten Mal im Westen gezeigt und arbeitet die Geschichte der DDR an Hand des Widerstands auf. Prof. Jens Reich, Mikrobiologe und ehemaliger Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten, erklärte der taz sein Verhältnis zum Widerstand, dem Umgang mit der Stasi und welchen Einfluß die eigenen Kinder auf das Engagement eines Familienvaters haben.

taz: Waren Sie im Widerstand?

Jens Reich: Nein. Das kann ich mir nicht anmaßen. Ich sehe das jetzt eigentlich sehr ambivalent. Wir haben da recht gut in einer Nische gelebt, obwohl wir ganz genau wußten, was da lief. Und ich hätte eigentlich schon 1970 genau das sagen können, was ich 1990 gesagt habe.

Wie sah das in Ihrer persönlichen Umgebung als Wissenschaftler aus, gab es Leute mit denen man offen reden konnte, und wie fand man das heraus?

Das klärte sich fast von selbst. Man entwicklte ein Gespür dafür, wem man trauen konnte. So sortierte sich ja der ganze Freundeskreis. Zu wem man kein Vertrauen hatte, da ging man eben nicht hin. Ein deutliches Zeichen war immer, wenn jemand sich entschlossen hatte, Karriere zu machen und Parteimitglied wurde. Dann gehörte er halt zu den 20 Prozent und man hielt sich von ihm fern.

Was verbirgt sich hinter dieser Prozentangabe?

Man wußte halt, daß zwölf Prozent der Bevölkerung in der Partei waren und dann gab es noch etwa acht Prozent, die das System unterstützten. Es gab eine Mehrheit, die latent unzufrieden war und im Privaten meckerte, aber die haben sich nicht klar geäußert.

Welche Funktion hat in diesem Zusammenhang, das „Zwischen-den-Zeilen-lesen“, wie man es aus den Theatern kannte, und der berühmte DDR-Witz? Ich hab eigentlich von dem relativ platten DDR-Witz nie viel gehalten. Das ging selten darüber hinaus, daß man sich über Die-da-oben lustig machte. Weitaus besser war da schon die Tradition, in der der intellektuell-jüdische Witz in der Sowjetunion stand. Das war schärfer und kam auf den Punkt.

Wissen Sie noch einen?

(lacht) Einen hab ich ganz früh gehört und auch gern weitererzählt. „Was ist der Unterschied zwischen Kapitalismus und Sozialismus? Im Kapitalismus wird der Mensch durch den Menschen ausgebeutet. Und im Sozialismus, da ist das umgekehrt.“

Welchen Einfluß haben Kinder und Frau auf Ihr Verhalten gehabt?

Die Kinder haben mich radikaler gemacht. Das war natürlich nicht immer so. Wenn die Kinder noch ganz klein sind, dann ist man doch sehr gebunden. Aber wenn sie älter werden, dann fordern die Kinder doch auch eine gewisse Entschiedenheit. Bei meinem Sohn und den Töchter war das so. Dann wird ganz klar: Wenn du jetzt nichts tust, dann gehen die vielleicht in den Westen und verlassen dich.

Welche Funktion hat jetzt die Aufarbeitung des Widerstandes von offizieller Seite?

Vom Westen wird der Topos „Selbstbefreiung und Marsch in die Vereinigung des ganzen Ostdeutschen Volkes“ stark gefördert. Das ist so regierungstreu, da muß man fast aufpassen, daß man keinen Orden bekommt. Die einen saugen eben Kraft daraus, daß sie es angefangen haben, als es noch so gefährlich war und die anderen saugen Kraft draus, daß eine so wunderschöne, friedliche Volksbewegung zu Demokratie und Freiheit geführt hat, was ja noch nie da war in unserer ganzen versauten Geschichte.

Mit welcher Folge?

Daß das angenehme Weltbild des patriotischen und wohlwollenden Bürgers vervollständigt wird. Also gab es im Osten doch eine Bewegungung, die bürgerliche Ideale verteidigte und am Ende gar zum Sieg geführt wurde. Das ist was für die persönliche geistige Hygiene. Das hab ich oft angetroffen, als ich vor zwei Jahren als Präsidentschaftskandidat in Kreisen war, die ich sonst nicht zu sehen kriege, konstituiertes Bürgertum, Banker oder so.

Dieses Wohlgefühl scheinen Sie nicht zu teilen

Für mich gibt es dieses Wohlgefühl aus meiner Vergangenheit nur bedingt. Ich bin der Meinung, daß wir 20 Jahre eher hätten aufwachen können, nicht nur aus einer moralischen Verpflichtung heraus, sondern auch für mich selbst. Mit 30 in die Freiheit entlassen zu werden, wäre schon besser gewesen als jetzt mit 50.

Wir haben uns oft zu sehr zurückgehalten. Auch beruflich gar es eine solche Situation, da war ich ja in der Akademie der Wissenschaften, und Robert Havemann war bei der Akademie der Wissenschaften und ist aufs schmählichste rausgeschmissen worden. Und keine Hand hat sich für ihn gerührt. Niemand hat irgendetwas unternommen, obwohl alle wußten, daß das unmöglich ist, daß Leute wegen Wahrnehmung ihrer Meinungsfreiheit rausgeschmissen werden und kaputtgemacht werden.

Aber mit dieser Einstellung stehen sie ja offensichtlich alleine da. Auch in der Stasi-Diskussion spielt ja ein eigenes Gefühl wie Scham, das Eingeständnis, hier habe ich etwas falsch gemacht, keine Rolle...

In der Stasi-Diskussion hab' ich es etwas leichter. In „Abschied von Lebenslügen“ habe ich alles veröffentlicht, was mir bekannt war . Das war 1991, noch bevor die Akten geöffnet wurden. Das war im wesentlichen der Impuls, das auf dem Tisch zu haben. Ich glaube, es ist richtig, die eigene Geschichte des Kampfes mit der Stasi, die fast jeder hatte, offen auf den Tisch zu legen. Bei mir war die Schwäche im Umgang mit der Stasi, daß ich das Paranoide des Systems nicht klar genug gesehen habe. Daß eine sachliche Diskussion völlig sinn- und gegenstandslos ist. Ich immer noch dachte, man kann das kontrollieren. Ich war zu einem dienstlichen Gespräch vorgeladen, das dann bald ins Private rutschte,weil es für die keine Trennung gab. Die Verhöre habe ich nicht genügend abgeblockt. Und auch Fehler gemacht in dem, was ich erzählt habe. Zwar ist niemand verhaftet worden, aber wenn, wäre ich in eine böse Falle getappt.

Sie beschäftigt das noch ...

Ich hab das damals aufgeschrieben, damit es nicht eines Tages im „Spiegel“ steht. Und so hat es sich auch bestätigt, in den Stasiakten steht das gleiche drin, was ich geschrieben habe. Das war auch salvatorisch gemeint, damit mir das nicht hintenrum reingehauen wird wie Monika Maron.

Wie erklären Sie sich das, daß viele es vorziehen, scih erwischen zu lassen?

Das muß jeder für sich wissen. Einigen ist diese Katharsis im Nachhinein nicht bekommen. Aber im Fall de Maizière wäre es sicher richtig gewesen, daß er es offengelegt hätte, was er gemacht hat und nicht den Verstockten gespielt und dann abgetreten wäre.

Und Stolpe ist sicher politisch zu hoch angesiedelt, als daß er es sich leisten könnte. Und bei Monika Maron sprach wohl ihr Stolz dagegen, ihr wäre es wohl so vorgekommen, als würde sie sich prostituieren müssen. Andere ziehen sich doch auch nicht öffentlich aus, war ihre Rede. Aber dann wäre das natürlich im „Spiegel“ natürlich nur halb so süffig gekommen.

Fragen: Susanne Raubold