Der Schein trügt

■ Im Kino 46: Sechs Filme zu einem Paradoxon: Kino und Blindheit

Das Kino ist das Seh-Medium par excellence, so wie die Wahrnehmung der Welt vom Optischen dominiert wird. Erst recht die Filmwelt: eine manipulierte, kondensierte und rhythmisierte Wirklichkeit. Erfahrungsgemäß fühlen sich nun aber blinde Menschen eher in der Lage, sich die Welt über andere Sinne zu erschließen als etwa Taube, deren hermetischer Ausschluß von der Welt der Töne und Geräusche stärker zur Isolation beizutragen scheint.

Kann man Blinden überhaupt filmische Erlebnisse vermitteln? Und wie werden Blinde in Filmen dargestellt? Als spannungsförderndes Element, mitleidsheischende Abhängige oder emotional verhärtete Einzelkämpfer? Zwei ganz unterschiedliche Wahrnehmungsebenen. Hollywood widmet sich beiden. Zum Beispiel August Coppola, der weniger illustre Bruder von Francis Ford Coppola. August Coppola, Dekan der Blinden-Künste an der Universität von San Francisco, regte 1973 an, Filmkopien mit einer zusätzlichen Sprachspur zu versehen. Dort sollen über Infrarotsignale, nichtsehenden ZuschauerInnen in Kopfkörer eingespielt, zusätzliche Erläuterungen gegeben werden. Weiteres Beispiel: In einem Frankfurter Kino sahen sich 1992 Blinde und Sehende „Angst vor der Dunkelheit“ an. Sich nicht über den Dialog erschließende Erklärungen wurden eingesprochen. Resultat: Blinde ZuschauerInnen konnten der Handlung gut folgen, die anderen registrierten Spannungseinbußen.

Die sechs Filme zum Thema „Kino und Blindheit“, die noch bis zum 23. im Kino 46 zu sehen sind, nähern sich dem Thema auf verschiedene Weise. Die beiden US-Produktionen „Warte bis es dunkel wird“ (1967) von Terence Young und „Blink“ (1994) von Michael Apted sind klassische Genre-Filme. Beide Filme stellen blinde und schöne junge Damen – Audrey Hepburn und Madeleine Stowe – in den Mittelpunkt, beide konfrontiert und bedroht von skrupellosen Gangstern (die allerdings 1967 noch ziemlich gentlemanlike agieren). Während Audrey Hepburn von Anfang bis Ende blind bleibt, greift „Blink“ das Phänomen des sogenannten perceptual delay auf. Die „verzögerte Wahrnehmung“ sorgt dafür, daß sich im Gehirn der Filmheldin Umrisse – zum Beispiel der ihres Verfolgers – erst am nächsten Tag zu einem scharfen Bild verdichten.

Ebenso klassisch: Der australische Beitrag „Proof – der Beweis“ (1990), die Umsetzung einer Dreiecksgeschichte; einer der Eckpunkte ist der blinde Martin. Weil er den Schilderungen der Welt, die seine Freunde ihm liefern, mißtraut, macht er Fotos – und läßt sie sich erklären. Ohne Rührseligkeit und ohne Martin als Sympathieträger zu stilisieren, hat Jocelyn Moorhaus ein feinfühliges Porträt eines blinden Jugendlichen gezeichnet.

Derek Jarmans „Blue“ (1993) bewegt sich hingegen 76 Minuten lang auf einer prätentiösen Metaebene: Keine Bilder, nur die blau leuchtende Leinwand, unterlegt von Kommentaren des – blinden – an AIDS verstorbenen britischen Regisseurs.

Abseits jeder vordergründigen Spannung bewegen sich „Der geflüsterte Film“ (1992) von Nina Rippel und Werner Herzogs „Land des Schweigens und der Dunkelheit“ (1971). „Der geflüsterte Film“ versteht sich als filmische Collage sich überlappender Sinneswahrnehmungen. Herzog nennt seinen Dokumentarfilm eine „Monographie über die Hände einer taubblinden Frau“. Die Kamera begleitet den Alltag von Fini Straubinger, einer taubblinden Frau, die selbst Taubblinde betreut. „Wenn Sie meine Hand auslassen, ist es, als wären Sie 1000 Meilen weit entfernt“, sagt sie. Diese Distanz zu einer Welt ohne Töne und Farbe will Herzogs Film überbrücken helfen.

Alexander Musik

„Warte bis es dunkel ist“ bis 9.1.; „Blink“ 18.-23.1.; „Proof – der Beweis“ 18.-20.1.; „Blue“ 19./23.1.; „Der geflüsterte Film“ 20./22.1.; „Land des Schweigens und der Dunkelheit“ 11.-13.1. Im Kino 46.