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Zurück zur Natur

Der Landhausstil macht Schluß mit Kunststoff und Metall und bietet eine neue Wohnwelt mit warmen Farben und hellem Massivholz  ■ Von Tanja Hamilton

Glaubt man den Trendsettern in Sachen Wohnkultur und Möbeldesign, so steht es schlecht um die Seelenlage der Nation: „Je schwieriger die Zeiten, desto mehr sehnen sich die Leute nach einer kuscheligen Wohnzimmeratmosphäre“, stellt Erich Naumann, Sprecher des Verbandes der deutschen Möbelindustrie, fest. Das Wohngefühl der Neunziger? Ruhe und Behaglichkeit. Das Heim als Refugium in einer zunehmend feindlichen Umwelt.

Wer heute die Ausstellungen der Berliner Möbelhäuser durchwandert, bekommt tatsächlich eine Wohnwelt aus Urgroßmutters Zeiten präsentiert. Die Ära der kühlen, glänzenden Kunststoff- und Metalleinrichtungen der Achtziger scheint passé. Wuchtige Küchenbüffets und Vitrinenschränke aus hellen, möglichst naturbelassenen Hölzern prägen das Bild.

Der sogenannte „Landhausstil“ greift auf uralte Traditionen bäuerlicher Wohnkultur zurück. Bisher eher in alternativ angehauchten Kreisen beliebt, hat er sich in den letzten drei Jahren zum dominierenden Trend entwickelt. Nach Einschätzung von Naumann wird er mindestens bis zur Jahrtausendwende anhalten.

Der ländliche Look ist schlicht und ursprünglich. Nichts ist durchgestylt. Trödelmarktambiente herrscht vor. Helles Massivholz, Rattan und mattes Eisen sind die wichtigsten Materialien. Zurück zur Natur und zur „Ehrlichkeit des Designs“ lautet die Maxime. Möglichst betagt sollen die Möbel aussehen. Was nicht alt ist, wird auf alt getrimmt: Selbst neue Möbel kann man wahlweise mit oder ohne „Gebrauchsspuren“ kaufen. Um dem Objekt das gewünschte zerkratzte Finish zu verleihen, wird die Oberfläche des Holzes mit Metallbürsten bearbeitet.

Wer hinter soviel Gemütlichkeit schon die Rückkehr zur altdeutschen Wohnstube (Marke „Eiche rustikal“) wähnt, kann beruhigt sein: Der Country-Trend mischt Elemente aus verschiedenen internationalen Landhausstilen. Von puritanischem Shaker- Stil bis zum spanischen Landhaus oder englischen cottage ist alles vertreten. Bei den Farben dominieren gedeckte Erdtöne und transparentes Blau oder Grün. Die Stoffe – fast immer Naturmaterialien – sind weich und fließend. Eckige oder gar geometrische Formen findet man kaum. Die meisten Möbelstücke sind abgerundet.

Der romantische Charakter spiegelt sich auch in den dekorativen Accessoires wider: Trockensträuße, alte bunte Glasflaschen, Töpfe und Teller aus Steingut, Kupfer oder Zinn. Die Wände bleiben roh verputzt, oft betupft mit warmen Ocker oder Aprikosentönen. Auf den abgeschliffenen Dielen kommen je nach Geldbeutel persische Läufer oder alte Flickenteppiche.

Der ländliche Wohnstil ist enorm gefragt. Mittlerweile bieten daher fast alle größeren Anbieter in Berlin Möbel im Country- oder Landhauslook an. Bei Lakenberg im Wedding war man bei der Einführung zunächst noch skeptisch, inzwischen machen die Möbel im Bauernhausstil fast ein Drittel des Gesamtumsatzes aus. „Zu uns kommen immer mehr junge Kunden, die Wert auf biologisch saubere Möbel legen“, sagt Inhaber Manfred Lakenberg.

Ganz billig ist der Trend allerdings nicht. Denn die aufwendige Bearbeitung des Holzes kostet einiges. Wer weniger ausgeben möchte, kann auf preiswertere Angebote zurückgreifen. Dann muß man aber oft bei der Ökologie Abstriche machen: „Wir erheben nicht unbedingt den Anspruch, nur Natur pur anzubieten“, sagt Kurt Rahaus, dessen Serie „Rahaus Country“ vor zwei Jahren wie eine Bombe einschlug. „Hauptsache, es sieht gut aus und das ganze Feeling ist stimmig.“

Selbst Billiganbieter Ikea hat den Trend erkannt und will laut Christian Kampe, Möbelchef von Ikea Berlin, den skandinavischen Landhausstil in den nächsten Jahren vermehrt ins Programm nehmen. „Das Interesse ist riesig“, so Kampe. „Immer mehr Kunden stellen ihre gesamte Inneneinrichtung auf Landhaus um.“ Schluß also mit experimentellen Wohnformen und zurück zu Altbewährtem? Für Erich Naumann hat der neue Provinzlook geradezu politische Dimensionen: „Die meisten Leute haben heutzutage Sorgen. Sie haben Angst vor der Arbeitslosigkeit, Angst um ihre Rente. So was drückt sich immer auch in der Einrichtung aus. Das konnte man schon damals in den Siebzigern bei der Erdölkrise beobachten. Plötzlich hingen überall wieder Hirschgeweihe an den Wänden.“

Miranda Innes: „Country- Style“. Gestalten, Dekorieren, Einrichten. DuMont-Verlag, Köln 1995, 59,80 DM.

Judith und Martin Miller: „Ein Blick über Grenzen. Wohnen im Landhaus. Räume und Einrichtungen“. DuMont-Verlag, Köln 1991, 68 Mark.

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